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Was geschah mit Frauke Liebs?


Mordfall in Ostwestfalen
Was geschah mit Frauke Liebs?

Aktualisiert am 16.12.2018Lesedauer: 6 Min.
Ohne Spur vom Täter: In einem Wald wurde die skelettierte Leiche von Frauke Liebs im Oktober 2006 gefunden.Vergrößern des Bildes
Ohne Spur vom Täter: In einem Wald wurde die skelettierte Leiche von Frauke Liebs im Oktober 2006 gefunden. (Quelle: Tyler Larkin)

Eine junge Frau verschwindet aus einem Pub. Noch eine Woche lang meldet sie sich mit rätselhaften Sätzen am Handy. Monate später wird ihre Leiche gefunden. Es gibt keine Verdächtigen und keine neuen Spuren.

Frauke Liebs kehrt im Sommer 2006 nicht nach Hause zurück. Eine Woche lang meldet sich die junge Frau dann nur noch über Handy und SMS. Im Herbst wird ihre Leiche gefunden, doch es gibt keinen Hinweis auf den Mörder.

Das Stück Deutschland dort, wo Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen zusammenstoßen, ist ruhig und sicher. Es ist ländlich grün hier, katholisch, dünn besiedelt. Die Metropolen am Rhein und Hannover sind jeweils mehr als 100 Kilometer weg. Bis Berlin sind es drei Autostunden. Die Kriminalitätsrate der beiden größeren Städte der Region, Bielefeld und Paderborn, liegt unter dem Durchschnitt.

Wenn Schwerkriminalität die Ostwestfalen überhaupt beunruhigt, dann sind es wenige Delikte, dafür spektakuläre. Wie die Morde im "Horrorhaus" von Höxter. Das Täterpaar Wilfried und Angelika W. wurde gerade verurteilt. Oder der Fall der Frauke Liebs. Frauke Liebs geht den Leuten am Fuß des Eggegebirges nicht aus ihren Köpfen. Was ist mit der Schwesternschülerin passiert, die 2006 verschwand?

Letzte Sicht im Pub "Auld Triangle"

Sommer 2006. Diese 31 WM-Tage bringen die Republik in Partylaune. Das Land zeigt sich der Welt von einer neuen Seite. Locker, leicht, kreativ. Junge Leute treffen sich zum Rudelgucken wie in Paderborn an einem heißen Dienstagabend. An diesem 20. Juni spielt Englands Nationalelf gegen die von Schweden. Im irischen Pub "The Auld Triangle" am Rand der Altstadt ist die Stimmung ausgelassen. Frauke Liebs, die ihre Bekannten als offen gegenüber allen Menschen bezeichnen, feiert gerne mit.

Isabella, ihre Freundin, hat die 21-Jährige, die im St. Vincenz-Hospital lernt, gelockt: "Wir sitzen im Pub. Gute Sicht auf die Leinwand". Frauke liest Isabellas SMS, als sie mit ihrer Mutter und ihrem Mitbewohner Chris in einem Restaurant beim Essen ist. Die drei machen das ab und zu so. Fünf Jahre sind Frauke und Chris ein Paar gewesen. Jetzt sind sie noch gute Freunde und teilen sich seit Monaten die kleine WG in der Borchener Straße 56, nur eine Viertelstunde Fußweg vom "Auld Triangle". Ingrid Liebs und Chris setzen die junge Frau gegen 21 Uhr vor dem Pub ab.

Zwei Stunden später, das Spiel ist vorbei, macht sie sich müde auf den Heimweg. Chris muss heute bis zu ihrer Rückkehr warten, um sie in die Wohnung zu lassen. Er hatte sich ihren Haustürschlüssel geliehen. Doch in der Borchener Straße wird Frauke nie ankommen. Irgendwo unterwegs steigt sie in ein Fahrzeug. Am 4. Oktober wird ein Jäger ihre verweste Leiche in unversehrter Bekleidung zehn Meter neben der Landstraße L 817 südöstlich von Paderborn finden, zwischen Herbram-Wald und Asseln. Nach kurzer Zeit steht fest: Der Fundort ist nicht der Tatort. Alle Spuren sind verwischt. Die Todesursache ist nicht mehr feststellbar.

Eine Leiche, doch keine Spur

"Es gibt Fälle, die sind auf gut Deutsch einfach beschissen" hat Ralf Östermann später gesagt. Er ist der Chef der federführenden Bielefelder Mordkommission. 900 Personen hat sie überprüft. 40 Durchsuchungen hat es gegeben und einen "Prüfvorgang" noch nach einem Jahrzehnt. Ein paar Hinweise sind ernsthaft gewesen. Am Ende: Nichts. Kein Verdächtiger. Dafür ungeklärte Fragen und manche nicht erklärbaren Vorgänge.

Ganz unerklärlich: Frauke Liebs, offenbar längst in der Gewalt ihres Entführers, durfte oder konnte konnte sich nach ihrem Verschwinden am Abend des 20. Juni noch eine Woche lang melden. Per SMS oder telefonisch. Sieben Kontakte gab es. Mit einer Ausnahme immer spät nach 22 Uhr. Mit abnehmend schwacher Stimme. Manchmal wie in Trance. Auch mit rätselhaften Andeutungen. Gesprächspartner waren vor allem ihr alter Freund Chris, aber auch ihre Geschwister Frank und Karen.

Hinweise führten ins Leere

Chris hat dabei zunächst wenig erfahren. Er hat mehrfach Fraukes Satz gehört, dass "ich heute nach Hause komme". Dass Frauke "nicht sagen" könne, wo sie sei und auch nicht, wer bei ihr sei. Aber einige Male schien die Verschwundene verkappte Hinweise geben zu wollen. Beim ersten Anruf redete sie ihn mit Christo an – was sie nur machte, wenn es mal schwierig wurde. Also ein Notruf? "Bist du verletzt?" fragte Chris zwei Tage später: "Nein, ich bin in Paderborn, ich bin in Paderborn, ich bin Paderborn". Drei Mal Paderborn. Auch hier: Hatte das was zu bedeuten?

Es sind die Tage nach dem Verschwinden. Freund und Familie zermartern sich das Hirn. Wollte sie weg? Hat sie jemanden kennengelernt? Wurde sie entführt? Wieso ruft sie an? Will der Täter Lösegeld? Ist sie in Lebensgefahr? Montags kommt kein Anruf. Es wird Dienstag, der 27. Juni 2006.

Im Achtelfinale spielt Frankreich gegen Spanien 3:1. Karen und ihre Eltern sind am Abend bei Chris, aber die Eltern sind schon gegangen. Endlich meldet sich Frauke. "Wo bist du?", fragt Chris. "Mama", erhält er zur Antwort. "Wo bist du?" "Mama". Noch ein drittes Mal reagiert sie so. Die Mama, das ist Ingrid Liebs. Sie arbeitet in dieser Zeit als Schulleiterin in Bad Driburg, auf der anderen Seite des Eggegebirges, in der Nähe liegt eine Ortschaft namens Nieheim. War das ein Hinweis auf den Ort, an dem ihr Mörder sie versteckt hielt?

Die Stille kommt aus Nieheim

Ein "Ciao" Fraukes am Schluss dieses fünf Minuten langen Gesprächs war das letzte Lebenszeichen, was Familie und Freunde von ihr bekamen. Danach: Kein Anruf mehr, keine SMS. Vielleicht war eine ihrer Reaktionen falsch, denken sich Angehörige und Fahnder seither. "Wirst du festgehalten?", hatte Chris gefragt. "Ja", sagte Frauke spontan – um schnell nachgeschoben das Gegenteil zu behaupten: "Nein! Nein!" War ein "Ja" zu viel ein plötzliches Risiko für den Entführer? War das ihr eigenes Todesurteil?

Mit dem Leichenfund im Oktober wurde die Vermisstensuche nach Frauke Liebs zur Mordsache. Ralf Östermann und seine Ermittler schalteten sich ein. Sie arbeiteten 700 Spuren ab, darunter alle digitalen Kontakte der 21-Jährigen, die im Netz als "Sweet Corry" unterwegs gewesen war. "Sie chattete mit Gott und der Welt", sagt Östermann. Sein Team klopfte die Alibis von Chris ab und vom 32-jährigen Niels, den sie ein paar Wochen vorher kennengelernt und mit dem sie noch aus der Kneipe gechattet hatte. Sämtliche Alibis waren wasserfest. Zielführende Zeugenaussagen? Auch Fehlanzeige.

So blieben wenige digitale Fährten. Die Fahnder checkten die Herkunft der Anrufe anhand der Handy-Einloggungen. Sie erhielten Standorte und Verbindungsdaten. Die erste SMS, zwei Stunden nach dem Verschwinden, kam aus dem Bereich des Sendemastes Nieheim-Entrup, 40 Kilometer östlich, die an den Folgetagen aus verschiedenen Gewerbegebieten rings um Paderborn. Stunden nach dem letzten Gespräch eine letzte Ortung: Wieder aus Nieheim-Entrup. Dann war Stille.

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Keine Zusammenhänge mit Höxter-Fall

Nieheim, so stellten Profiler des Landeskriminalamtes in Düsseldorf in ihrer Fallanalyse aufgrund der Resultate der Mordermittler fest, muss die Region gewesen sein, in der Frauke Liebs eine Woche festgehalten wurde. In einer Wohnung? Einem Haus? Einem Wohnwagen? Das ist bis heute Spekulation. "Täter und Opfer sind fast täglich in den späten Abendstunden in einem Fahrzeug weggefahren und später zurückgekehrt", glaubt die Polizei. Nach Paderborn zum Telefonieren. Der Entführer – sehr wahrscheinlich ein Einzeltäter, wie die Profiler annahmen – , wollte damit womöglich vom eigentlichen Tatort ablenken.


Dezember 2018. Ein Gespräch mit Ralf Östermann, dem Bielefelder Chef-Fahnder. Frauke Liebs ist jetzt seit zwölf Jahren tot. Er ist längst mit anderen Fällen beschäftigt. "Wir haben definitiv keine neuen Spuren", sagt der erfahrene Kriminalbeamte. Die Tat passt in keine Serie. Vor zwei Jahren, als es zum Prozess gegen die Höxter-Täter Wilfried und Angelika W. kam, da haben seine Leute noch einmal ein "Bauchgefühl" gehabt. Sie sind in einem Prüfvorgang der Frage nachgegangen, ob Wilfried W., der 2006 wenige Kilometer von Nieheim im Örtchen Schlangen gelebt hatte, auch als Mörder von Frauke Liebs infrage kommen könnte. Sie haben recherchiert und Zeugen befragt. Ohne jedes Ergebnis. Zusammenhänge, sagt Östermann, habe man nicht gefunden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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