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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozess wegen 13 Überfällen startet Ex-Terroristin Klette lächelt vor Gericht
Es ist so weit: Daniela Klette steht vor Gericht. Beim Prozessauftakt lächelte die ehemalige Terroristin in Richtung Publikum.
In Celle hat am Dienstag der Prozess gegen die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette begonnen. Die Umgebung rund um das Oberlandesgericht gleicht einem Hochsicherheitsbereich, wie man ihn sonst nur aus Mafia-Filmen kennt. Draußen sperren vermummte und schwer bewaffnete Polizisten Straßen ab. Drinnen lächelt die weißhaarige 66-jährige Angeklagte und gestikuliert in Richtung Publikum. Sie trägt einen schlichten schwarzen Strickpulli.
Der Andrang ist groß, Journalisten konnten nur per Losverfahren Zugang zum Gerichtssaal erhalten. Die zugelassenen Reporter müssen sich aufwendigen Kontrollen unterziehen, sogar Smartwatches wurden eingezogen.
Vor Prozessbeginn wurde Klette in einem grauen Transporter mit getönten Scheiben aus der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta zum Gericht gebracht.
Aus Sicherheitsgründen und aufgrund von Platzproblemen findet der Prozessauftakt nicht in den Räumen des Landgerichts Verden statt, sondern im Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle.
Klette ist wegen 13 Raubüberfällen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft der 66-Jährigen zudem versuchten Mord und unerlaubten Waffenbesitz vor. Ihre mutmaßlichen Komplizen, die ehemaligen RAF-Mitglieder Ernst-Volker Staub (70) und Burkhard Garweg (56), sind auf der Flucht.
Laut Anklage soll das Trio von 1999 bis 2016 Geldtransporter und Kassenbüros in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein überfallen haben. Dabei seien die drei "arbeitsteilig und äußerst konspirativ" vorgegangen. Klette soll bei den Überfällen meistens das Fluchtauto gefahren haben.
Das Trio habe Zeichnungen der Objekte angefertigt, sagte die Staatsanwältin. Klette, Garweg und Staub hätten die zeitintensive Planung und die Ausführung der Raubüberfälle als ihre Arbeit angesehen. Demnach wollten sie mit den Straftaten "ihren Lebensunterhalt" finanzieren. Klette sei als "Mitglied einer Bande" zu werten.
Missglückter Überfall brachte Polizei auf Klettes Spur
Klette lebte jahrelang im Untergrund. Erst ein missglückter Raub, der Teil einer brutalen Überfallserie war, brachte die Wende. Am 6. Juni 2015 hatte ein weißer Bulli am Real-Markt in Groß Mackenstedt direkt am Autobahndreieck Stuhr an der A1 den schwarzen VW-Transporter einer Geldtransportfirma blockiert. "Drei Maskierte kletterten heraus und schossen sofort", sagte damals ein Polizeisprecher vor Ort.
Die Kugel durchschlug trotz Panzerung eine Seitenscheibe und verfehlte den Mitarbeiter der Sicherheitsfirma dabei nur knapp. Anders als bei zwei vorherigen Überfällen in Elmshorn und Osnabrück ein halbes Jahr zuvor kamen die Gangster nicht an die Beute und flüchteten.
Der Fluchtwagen wurde in derselben Nacht in einem nahegelegenen Wald gefunden. Die zweite Panne bei diesem Überfall: Der Versuch, das Auto vollständig ausbrennen zu lassen, schlug fehl. Die Polizei konnte im Fluchtwagen DNA-Spuren sichern. Die Ermittler identifizierten die mutmaßlichen Täter als Staub, Garweg und Klette.
Alle drei gehörten der sogenannten dritten Generation der RAF an und sollen 1993 am Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt beteiligt gewesen sein. Seit mehr als 20 Jahren fehlte von ihnen jede Spur – bis zum Überfall am Provinz-Supermarkt vor den Toren Bremens.
Klette konnte Garweg noch per SMS warnen
Doch eine bundesweite Fahndung mit den Fotos der drei Ex-RAF-Terroristen führte nicht zum Ziel, auch Videos aus dem Jahr 2017 brachten keine entscheidenden Hinweise.
Jahrelang tappten die Ermittler im Dunkeln, im Hintergrund arbeiteten Zielfahnder des LKA Niedersachsen weiter. Bis zum Abend des 26. Februar 2024. Immer wieder waren die Beamten Zeugenaussagen über angebliche Sichtungen der drei Ex-Terroristen nachgegangen, jetzt hatte sie die Information eines weiteren Hinweisgebers nach Berlin-Kreuzberg geführt.
Dieses Mal war es ein Volltreffer: Klette öffnete die Wohnungstür, sperrte noch den Hund weg, dann kam sie mit zur Wache. Dort brachte ein Abgleich der Fingerabdrücke die Gewissheit: Die Fahnder hatten tatsächlich die Richtige erwischt.
Im Nachgang gab es Kritik an dem Einsatz: Klette hatte bei ihrer Festnahme noch ihren mutmaßlichen Komplizen Garweg per SMS warnen können. Als die Polizei einige Tage später in einer Bauwagensiedlung in Berlin-Friedrichshain nach Garweg suchte, fand sie nur noch Spuren in seinem Bauwagen – er selbst war bereits geflohen.
Waffen und Munition, Angst vor Befreiungsaktion
In Klettes kleiner Wohnung in der Sebastianstraße in Berlin stellten die Ermittler ein Arsenal an Waffen und Munition sicher, außerdem 240.000 Euro Bargeld und mehr als ein Kilo Gold. Bei den Waffen soll es sich laut dem LKA um eine Kalaschnikow, eine Maschinenpistole, eine Panzerfaustgranate, 450 Schuss Munition sowie Spreng- und Brandvorrichtungen gehandelt haben.
Auch diese Funde tragen zu der Angst bei, dass Staub und Garweg oder gewaltbereite Sympathisanten der RAF nun eine gewalttätige Befreiungsaktion starten könnten.
- Reporter vor Ort
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa