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Hamburg: Polizei schießt auf psychisch kranken Angreifer – Ärztin klärt auf


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Polizei schießt auf psychisch kranken Angreifer
"Dann muss die Person entlassen werden"


Aktualisiert am 21.06.2024Lesedauer: 3 Min.
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Polizisten feuern mit einer Schusswaffe auf den bewaffneten Angreifer. (Quelle: Social Media)

In Hamburg hat ein psychisch kranker Mann die Polizei bedroht und ist daraufhin angeschossen worden. Die Familie übt Kritik: Er hätte in Behandlung gehört. Warum ist das nicht geschehen? Eine Ärztin klärt auf.

Ein 39 Jahre alter Mann hat Passanten und Polizisten am Rande eines Spiels der Fußball-Europameisterschaft mit einem Schieferhammer und einem Molotowcocktail bedroht. Die Polizei schoss ihm ins Bein. Jetzt wurde er in eine psychiatrische Klinik gebracht.

Nach Angaben der Mutter habe der 39-Jährige an Suchtproblemen gelitten und sei deshalb schon einige Male in psychischen Ausnahmezuständen gewesen. Zudem sei er seiner Familie gegenüber gewalttätig gewesen. Diese habe vergeblich versucht, ihn einweisen zu lassen. Mehr als sechs Wochen sei er jedoch nie in Behandlung gewesen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Laufen zu viele gefährliche Menschen frei herum?

Was sagen Psychiaterinnen und Psychiater zur Kritik? Gibt es Handlungsbedarf? Nein, sagt Christa Roth-Sackenheim, zweite Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater (BVDP) auf Anfrage von t-online. "Im Grunde sind die Unterbringungsregelungen eindeutig und ausreichend geregelt." Bei Zwangseinweisung gebe es je nach Bundesland andere Regeln.

In akuten Situationen kann die Polizei Menschen in eine psychiatrische Akutaufnahme bringen, wo ein psychiatrischer Befund erhoben wird. "Wenn Kriterien für eine Zwangsunterbringung erfüllt sind, wird ein richterlicher Beschluss erwirkt, in der Regel innerhalb von 24 Stunden. Kriterien sind Eigen- oder Fremdgefährdung aufgrund einer psychischen Erkrankung", sagt Roth-Sackenheim.

Dr. med. Christa Roth-Sackenheim, 2. Vorsitzende des Berufsverbandes DeutscherFachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
(Quelle: Privat)

Zur Person

Dr. Med. Christa Roth-Sackenheim ist Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie. Sie ist die zweite Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater (BVDP). Seit 1995 hat sie eine eigene Praxis im rheinland-pfälzischen Andernach. Außerdem ist sie als Autorin verschiedener Publikationen im Gesundheitswesen tätig.

Die Länge der Einweisung ist aus Sicht der Expertin keine Überraschung: "Richterliche Beschlüsse zur Unterbringung werden häufig für sechs Wochen ausgesprochen. Sind die Kriterien für eine Verlängerung nicht gegeben, muss die Person entlassen werden", so Roth-Sackenheim. Grundsätzlich gebe es keine maximale Länge bei Klinikaufenthalten. Stattdessen gelte, dass Menschen in der Psychiatrie bleiben, "so lange, wie es medizinisch notwendig ist".

Sofern erkennbar sei, dass eine Person eigen- oder fremdgefährdend ist, sei diese "im Grunde nicht entlassungsfähig", sagt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. "Es kann aber sein, dass Menschen in der Klinik ihre Medikamente nehmen, gut stabilisiert sind und entlassen werden." Danach können nicht genommene Medikamente aber nach kurzer Zeit dazu führen, dass sie erneut erkranken, erklärt Roth-Sackenheim.

Problem: Zu wenig ambulant tätige Psychiater

Wo Familien von psychisch kranken Menschen Hilfe finden können, sei ebenfalls von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Meistens liefe das über die Gesundheitsämter, die Polizei oder die Ordnungsämter, so Roth-Sackenheim.

Probleme sieht die Ärztin weniger bei den Gesetzen und Regeln als vielmehr bei einem anderen Thema: "Aus meiner Sicht das größte Problem ist aber, dass es zu wenig ambulant tätige Psychiater gibt, die die Behandlung direkt nach der Klinik aufnehmen und weiterführen." Zudem gebe es auch an Kliniken Probleme wegen Personalmangels.

Fachkräftemangel führt zu Gefährdungslagen

Das bestätigte zuletzt im Januar auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): "Wir haben mit einem erheblichen Fachkräftemangel zu rechnen". Laut Gutachtern der Bundesregierung dürfte der allgemeine Fachkräftemangel und das Älterwerden der Gesellschaft dazu führen, dass es nicht mehr Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie andere Angehörige von Gesundheitsberufen gibt, aber der Bedarf in der Bevölkerung an Versorgung zunimmt.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege, Michael Hallek sagte dazu: "Wir müssen beginnen, mit der Ressourcenverschwendung aufzuhören." Soll heißen: vorwiegend mehr ambulant statt stationär. Der Hamburger Forscher Jonas Schreyögg sieht in weniger Belegungstagen in den Kliniken den Schlüssel für Verbesserungen. Sonst würden dort so viele Medizinerinnen und Mediziner sowie Pflegekräfte gebraucht, dass sie insgesamt fehlten.

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit Dr. Med. Christa Roth-Sackenheim
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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