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AfD | Björn Höcke vor Gericht: "Alles für Deutschland"


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Strafbare Losung
"Alles für Deutschland": Höcke und die Unwissenden


Aktualisiert am 18.04.2024Lesedauer: 6 Min.
Björn Höcke: Weil er die SA-Losung "Alles für Deutschland" gebrauchte, steht er ab Donnerstag in Halle vor Gericht.Vergrößern des Bildes
Björn Höcke: Weil er die SA-Losung "Alles für Deutschland" gebrauchte, steht er ab Donnerstag in Halle vor Gericht. (Quelle: IMAGO/Frank Ossenbrink/imago)

Björn Höcke steht vor Gericht wegen der einstigen SA-Losung "Alles für Deutschland". In der AfD sind vor ihm schon einige damit aufgefallen – und konnten sich herausreden. Höcke will aber mehr.

"Alles für Deutschland"? Für das Oberlandesgericht Hamm war da die Sache im Februar 2006 klar: Das sei ein Ausruf, bei dem es "sich, wie allgemein bekannt ist, um die Losung der SA (...) im sogenannten Dritten Reich handelt". Jetzt steht der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke vor Gericht, weil er die Parole öffentlich gesagt hat. Und es stellt sich die Frage: Muss Politikern bewusst sein, was sie da sagen?

Höcke und einer seiner Verteidiger spielen die Bedeutung und Bekanntheit der Losung herunter. Mit dieser Argumentation sind in den vergangenen Jahren mehrfach AfD-Politiker ungeschoren davongekommen, während sich Spitzenfunktionäre davon distanziert haben.

Höcke sitzt seit dem heutigen Donnerstag auf der Anklagebank in Halle wegen Situationen, in denen der Ausspruch fiel und ihm deshalb das Verwenden der Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen wird. Die erste Situation reicht zurück ins Jahr 2021, als er eine Rede in Merseburg mit den Worten "Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland" beendete. Der zweite Fall trug sich zu im Dezember 2023, als er bei einem Bürgerdialog in Gera von dem bevorstehenden Prozess wegen der Formulierung erzählte und seine Zuhörer ermunterte, die verhängnisvolle Parole zu vollenden. Was das Publikum unter Gejohle tat – und die Anklage wurde um den Fall erweitert. Zu Prozessbeginn wurde bekannt, dass die beiden Fälle doch wieder entkoppelt werden. Wegen des großen Andrangs begann die Verhandlung verspätet.

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Bei besagtem Ausruf handelt es sich um die letzten Worte von Wilhelm Keitel, des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, ehe sich am 16. Oktober 1946 in Nürnberg die Falltür am Galgen unter ihm öffnete. Er findet sich hunderttausendfach in Stahlklingen geätzt: Mitglieder der Sturmabteilung, des ursprünglichen paramilitärischen Flügels der NSDAP, erhielten SA-Dienstdolche mit dem Text, sie waren integraler Bestandteil der SA-Uniform.

Der Präzedenzfall: Der verurteilte Neonazi Sascha Krolzig

Dass Höcke wegen der Verwendung der Parole vor Gericht gelandet ist, hat auch etwas mit Sascha Krolzig zu tun. Höcke (52) ist ehemaliger Lehrer und Landesvorsitzender der AfD Thüringen. Sascha Krolzig (36) ist Verleger der Zeitschrift "N.S. Heute", war Bundesvorsitzender der neonazistischen Partei "Die Rechte" und ist in Dortmund Kreisvorsitzender der unter neuem Namen auftretenden NPD. Er benutzte den Ausruf 2005 als 17-jähriger Neonazi bei einer Rede in Dortmund, nachdem er gerade eine Woche Jugendarrest wegen Volksverhetzung hinter sich hatte. Er habe ausreichend Zeit zur Verfügung gehabt, seine Rede auf mögliche strafbare Inhalte zu überprüfen, fand das Amtsgericht.

Doch das Urteil von einem halben Jahr Jugendstrafe ohne Bewährung wegen dieser Formulierung sowie der Körperverletzung bei einer 16-Jährigen wollte Krolzig nicht hinnehmen. Er legte Revision ein, das Oberlandesgericht Hamm kam ins Spiel – und bestätigte 2006 die Verurteilung vollauf. Seither wird das Urteil als Präzedenzfall herangezogen, wenn etwa der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags von der Strafbarkeit der Formulierung schreibt.

Die nicht angeklagten NPD-Politiker aus Sachsen

Krolzig hatte vielleicht einfach Pech, dass er angezeigt wurde: 2001 hielt der Bericht des Verfassungsschutzes zwar über den sächsischen NPD-Landesvorsitzenden Winfried Petzold fest, dass er die Parole verwendet hatte. Ein Beitrag in der "Sachsen Stimme" endete mit "Kameraden, alles für das ewige Leben unseres Volkes! Alles für Deutschland! Ihnen gilt unser Kampf! Ihnen gilt unser Einsatz!"

Allerdings wurde über strafrechtliche Ermittlungen nichts bekannt. Ähnlich war es auch 1999 bei seinem Parteikameraden Jürgen Günz, der in Riesa ein NPD-Mandat im Stadtrat gewann und das mit dem Motto "Alles für Riesa, alles für Deutschland". Das ist nicht weit entfernt von dem, was Höcke in Merseburg beim Wahlkampf der AfD Sachsen-Anhalt sagte. Doch Höcke wurde angezeigt, vom damaligen Landesvorsitzenden der Grünen, Sebastian Striegel.

Strafe auch bei Ähnlichkeit möglich

Beim Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen kommt es nicht zwingend darauf an, dass diese völlig identisch sind mit historischen Vorlagen. So entschied das Bundesverfassungsgericht im Fall eines NPD-Funktionärs in einem T-Shirt mit dem Aufdruck "Sohn Frankens, die Jugend stolz/die Fahnen hoch". "Die Fahnen hoch" sei dem Titel und Textbeginn des Horst-Wessel-Liedes ("Die Fahne hoch"), der Parteihymne der NSDAP, zum Verwechseln ähnlich. Paragraf 86a soll entsprechende Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens verbannen und so ein kommunikatives "Tabu" errichten. Allerdings musste der Bundesgerichtshof klarstellen, dass damit nicht gemeint ist, wenn Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen klar ablehnend genutzt werden: Bei Aufklebern, bei denen Hakenkreuze in den Mülleimer geworfen werden, drohte zuvor Verurteilung.

Der nicht angeklagte AfD-Landesvize Kay-Uwe Ziegler

In Sachsen-Anhalt müsste bei der AfD Problembewusstsein vorhanden gewesen sein. "Der Landesvorstand distanziert sich generell von derartigen Äußerungen", erklärte der Landesvorsitzende Martin Reichardt 2020 und kündigte an, mit seinem Stellvertreter Kay-Uwe Ziegler müsse im Vorstand geredet werden. Ziegler hatte am 9. November 2020 "Alles für Deutschland" bei einer Gedenkveranstaltung der Landesvorstände der AfD Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gesagt und wurde angezeigt. Die Formulierung habe er aber vor lediglich vier Personen genutzt, teilte die Staatsanwaltschaft Magdeburg t-online mit.

Demnach habe keine öffentliche Verwendung der Parole vorgelegen, so die Behörde. Zwar gab es ein Video, doch es sei nicht nachweisbar, dass Ziegler an der Verbreitung mitgewirkt habe. Das Verfahren wurde eingestellt, und es ging gar nicht mehr um Zieglers Argument, er habe den historischen Hintergrund des Zitats nicht gekannt.

Der nicht angeklagte AfD-Kreisrat in Bayern

19 Plakate mit der Aufschrift "Wir tun Alles für Deutschland" stellte die Polizei Passau vor der Wahl im vergangenen Jahr sicher, Kreistagsmitglied Johann Meier wurde als Urheber ausgemacht. Der bayerische AfD-Chef Stephan Protschka stellte klar: "Es gibt gewisse Sprüche, die werden einfach nicht verwendet – und da gehört 'Alles für Deutschland' dazu." So etwas habe in der AfD nichts verloren.

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Die Ermittlungen sind inzwischen eingestellt, so die Staatsanwaltschaft Passau zu t-online: "Der für die Strafbarkeit erforderliche Vorsatz konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden." Nach den Ermittlungen seien Zweifel verblieben, dass der Beschuldigte die Bedeutung der Wortfolge als Wahlspruch der SA gekannt oder zumindest billigend in Kauf genommen habe.

Der nicht angeklagte Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme

Im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 hatte auch der Chemnitzer AfD-Politiker Ulrich Oehme Plakate mit "Alles für Deutschland" aufgehängt. Als er angezeigt wurde, überklebte er diese, ließ aber über eine Sprecherin erklären, man werde "die Einschränkung der Redefreiheit bekämpfen". Eingestellt wurden die Ermittlungen dann aber im April 2018, nachdem Oehme erklärt hatte, den Hintergrund nicht gekannt zu haben: Die Staatsanwaltschaft Chemnitz sagte der "taz", ihm sei nicht nachzuweisen gewesen, "dass er gewusst hatte, dass es sich bei der Losung um die einer verbotenen NS-Organisation handelt". Es handele sich um "keine allgemein bekannte Parole nationalsozialistischer Organisationen", es ergebe sich "auch aus dem Wortlaut kein Bezug zum NS-Regime".

Der angeklagte Landesvorsitzende Höcke

Zumindest die schlagzeilenträchtigen Fälle von Oehme und Ziegler lagen allerdings vor Höckes Äußerungen. Dass bei ihm Anklage erhoben wurde, könnte damit zu tun haben – oder mit seiner Vita. Höckes früherer Bundesvorsitzender Jörg Meuthen sagte etwa in der ZDF-Sendung "Markus Lanz", Höcke wisse, was er sage. "Der mag nicht die hellste Kerze auf der Torte sein, aber er ist Geschichtslehrer. Und dann weiß er, was 'Alles für Deutschland' heißt und dass das eine SA-Konnotation hat."

Der frühere Bundesrichter Thomas Fischer kommentierte beim Portal "Legal Tribune Online": "Wenn der Angeklagte das nicht wüsste, wäre er wesentlich ungebildeter als ein hessischer Oberstudienrat nach der gerichtlichen und Lebenserfahrung sein könnte."

Die Höcke-Seite stellt dies anders dar: Der Jurist Henning Vosgerau aus Höckes Verteidigerteam sprach auf der Plattform X im Zusammenhang mit der Formulierung von "der Öffentlichkeit völlig unbekannten geschichtliche[n] Randtatsachen und Seitendetails". Bekannt wurde Vosgerau durch die Teilnahme an der Runde mit Martin Sellner in der Potsdamer Villa Adlon und sein weitgehend erfolgloses Vorgehen gegen die Berichterstattung von Correctiv.

Höcke selbst nannte die Parole im Schlagabtausch mit Thüringens CDU-Chef Mario Voigt einen "Allerweltsspruch". Kurz nach Bekanntwerden der Anklage hatte er rechten Portalen erklärt, er habe sich bei der Äußerung auf den Slogan der örtlichen AfD "Alles für unsere Heimat!" bezogen. Es habe sich um eine "bloße rhetorische Figur" gehandelt, die er "ohne jeden Vorsatz der 'Verhetzung'" ausgesprochen habe.

Der Vorfall fand sich auch in einer Materialsammlung des Verfassungsschutzes. Die AfD kritisierte in ihrer Klage gegen die Einstufung als Verdachtsfall fehlenden Kontext: Es sei nicht erwähnt, dass Höcke zu einer Präsenzsitzung des Bundesvorstands geladen worden sei, um sich insbesondere zu der Aussage zu erklären.

Das Ziel von Höcke im Hintergrund

Höcke geht es aber offenbar nicht nur um die Frage einer Verurteilung, sondern um die Strafbarkeit an sich. "Er will Nazi-Sprache wieder sprechbar machen als einen Schritt hin zu einer NS-Revolution", schreibt der Soziologe Andreas Kemper, einer der intensivsten Beobachter Höckes, in einem Blogbeitrag. Kemper hat Höcke als den Autor identifiziert, der unter dem Pseudonym Landolf Ladig NS-verherrlichende Texte in NPD-Postillen geschrieben hat. "Höcke hat betont, dass er die Paragrafen 130 (Volksverhetzung) und 86 abschaffen will. Daher provoziert er mit der SA-Parole", so Kemper. 2015 schrieb Höcke per Mail: "Wir brauchen keine Begriffstabuisierung, keine Antidiskriminierungsgesetze und keine politische Strafjustiz."

Diese Haltung klang an, als Höcke auf X in englischer Sprache über seinen bevorstehenden Prozess schrieb. Als Elon Musk ihn dort fragte, warum die Verwendung illegal sei, erklärte Höcke: "Weil jeder Patriot in Deutschland als Nazi diffamiert wird, da Deutschland Straftatbestände hat, die es in keiner anderen Demokratie gibt. Sie zielen darauf ab, Deutschland daran zu hindern, sich wiederzufinden."

Höckes juristischer Beistand Vosgerau schrieb kürzlich auf X, er persönlich würde das Zeigen des Hakenkreuzes tendenziell erlauben. Wer das "als authentischen Ausdruck seiner politischen Überzeugungen" ansehe, solle in einer entwickelten Demokratie nicht gezwungen sein, in dem Punkt zu lügen, so Vosgerau. Dann hätten AfD-Politiker ein Problem weniger. Dann dürften aber auch das IS-Banner oder die Hamas-Flagge wieder gezeigt werden – die fallen auch unter den Artikel 86a.

Verwendete Quellen
  • Anfragen an Staatsanwaltschaften Passau und Magdeburg
  • openjur.de: OLG Hamm, Urteil vom 01.02.2006 - 1 Ss 432/05
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