Vor 75 Jahren Die letzte Hinrichtung im Westen Deutschlands
Vor 75 Jahren wurde zum letzten Mal eine Todesstrafe in Westdeutschland ausgeführt. Mit einer Guillotine wurde ein Mechaniker getötet.
Das Fallbeil fiel im Hof des Tübinger Gefängnisses um 6.00 Uhr morgens: Der 28 Jahre alte gelernte Mechaniker Richard Schuh hatte ein Jahr zuvor einen Lastwagenfahrer getötet und die Reifen von dessen Fahrzeug gestohlen – für den Raubmord sollte er nun mit dem Leben bezahlen. Am 18. Februar 1949, vor 75 Jahren also, wurde an ihm das letzte von einem westdeutschen Zivilgericht angeordnete Todesurteil vollstreckt – durch Enthaupten.
Zweifel an Täterschaft und Motiven kamen vor Gericht nicht auf. Das Schwurgericht Tübingen erklärte ihn des Mordes mit schwerem Raub für schuldig – "Todesstrafe", verkündete die Justiz. Während die Todesstrafe in Westdeutschland nur 95 Tage nach Schuhs Tod am 23. Mai abgeschafft wurde, galt sie in der DDR bis 1987.
Abschaffung der Todesstrafe wurde im Grundgesetz festgelegt
Während Schuh auf seinen Tod wartete, diskutierte die Politik in Bonn über die Abschaffung der Höchststrafe. Bei einer Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats forderte der Justizminister des Landes Württemberg-Hohenzollern, Carlo Schmid (SPD), dem Töten von Amts wegen ein Ende zu setzen. Schließlich mit Erfolg: Die Abschaffung der Todesstrafe wurde im Grundgesetz festgelegt.
Im damaligen Zwergstaat Württemberg-Hohenzollern hatten die Gerichte seit der Kapitulation am 8. Mai 1945 bis zur Abschaffung fünf Todesurteile gesprochen, von denen das gegen Schuh als einziges ausgeführt worden sei, erzählt Hans-Joachim Lang, Professor für Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen. Der Leichnam von Schuh sei nach der Hinrichtungsprozedur in einen Sarg gelegt und den Mitarbeitern des Anatomischen Instituts übergeben worden, schreibt Lang in seiner Veröffentlichung "Die Hinrichtung des Raubmörders Richard Schuh am 18. Februar 1949 in Tübingen und die Verwendung seiner Leiche für zweifelhafte wissenschaftliche Zwecke: ein Wendepunkt in der westdeutschen Justizgeschichte" (2022).
"Schuhs Kopf kam schließlich ins Anthropologische Institut und wurde dort quasi als Trophäe aufbewahrt, geforscht wurde damit nie", berichtet Lang. Die anderen Körperteile der Leiche wurden vermutlich in den 1950er Jahren bei Präparier-Übungen von Medizinstudierenden verwendet, die Reste auf dem Anatomie-Gräberfeld X des Tübinger Stadtfriedhofs begraben. "Aber den in Formalin konservierten Schädel holten die Wissenschaftler erst 2004 aus dem Regal. Sie ließen ihn kremieren und anschließend ebenfalls anonym auf dem Friedhof beisetzen." Kein Name weist laut Lang auf den Getöteten hin.
In 20 Ländern gibt es noch Hinrichtungen
Laut Amnesty International (AI) hat die Mehrzahl der Staaten in der Welt die Todesstrafe abgeschafft oder vollzieht sie nicht mehr. Dennoch gab es laut der Organisation (Stand Mai 2023) im Jahr 2022 mindestens 883 Hinrichtungen in 20 Ländern. Am häufigsten wurde die Todesstrafe demnach in China, im Iran, in Saudi-Arabien, Ägypten und den USA vollstreckt – in dieser Reihenfolge. Im Jahr 2022 kamen die folgenden Hinrichtungsmethoden zur Anwendung: Enthaupten, Erhängen, Giftinjektion und Erschießen. Zum Jahresende 2022 hätten sich weltweit mindestens 28.282 Menschen im Todestrakt befunden.
Die erste Hinrichtung in den USA in diesem Jahr erregte besonders viel Aufsehen: Erstmals wurde ein zum Tode verurteilter Mensch mit einer neuen Stickstoff-Methode hingerichtet. Der 58 Jahre alte Kenneth Eugene Smith wurde in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Alabama mittels sogenannter Stickstoffhypoxie exekutiert. "Die Todesstrafe entspricht einem archaischen Bedürfnis nach Rache in der Bevölkerung", sagt Strafrechtswissenschaftler Jörg Kinzig, der Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht ist.
"Es sollte einem Staat nicht erlaubt sein, einem seiner Bürger das Leben zu nehmen. Und wir haben ja nun in den USA eine Fülle von Beispielen, bei denen sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass die betreffende Person die Tat, wegen der sie zu Tode gebracht wurde, hingerichtet wurde, gar nicht begangen hat", sagt Kinzig. Es sei nicht hinreichend nachgewiesen, dass mit der Todesstrafe besondere generalpräventive Effekte verbunden seien.
Fallbeil wurde auch von NS-Regime verwendet
Das Fallbeil – die Guillotine also – wurde zum Symbol der Schreckensherrschaft der Revolutionszeit in Frankreich. Die mechanische Maschine hatte Hinrichtungen in Serie ermöglicht und wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts auch im Strafvollzug verschiedener deutscher Bundesstaaten – unter anderem in Bayern, Hamburg, Württemberg und Sachsen nach und nach eingeführt. In Deutschland bestimmte damals das Reichsstrafgesetzbuch das Enthaupten mittels Guillotine als Exekutionsart für die zum Tode Verurteilten. Delinquenten, über die nach den Paragrafen des Militärstrafgesetzbuches die Todesstrafe verhängt worden war, wurden erschossen.
Auch die Machthaber des Dritten Reiches ließen ihre Scharfrichter bei Todesurteilen in Strafprozessen mit der Guillotine arbeiten; politische Widersacher ließ Hitler später am Galgen hinrichten. Das Fallbeil stand auf deutschen Boden bis 1968 im Einsatz, und zwar in der DDR. Erst dann wurde Erschießen als Exekutionsart eingeführt.
Zur Hinrichtung von Schuh erklang auf Weisung des Gerichts das Totenglöcklein. "Die Glocke hat seit der letzten Hinrichtung keine Aufgabe mehr, wird also nie benutzt. Das alte Seil war auch verschwunden, bis man in den 1990er Jahren ein neues (Draht-) Seil anbringen ließ. Außer zu Demozwecken bei Führungen ist die Glocke nicht mehr zu hören", erzählt der Leiter des Stadtarchivs Tübingen, Udo Rauch. Vor ein paar Jahren habe er eine in den USA lebende Tochter von Schuh getroffen, die nach Tübingen angereist kam. "Sie wollte sich nach dem Schicksal ihres Vaters erkundigen und kam deswegen ins Archiv", erzählt Rauch. Dabei hatte sie eine Fotokopie vom Bild ihres Vaters.
- Nachrichtenagentur dpa