Gab es einen zweiten Todesschützen? Ex-Agent enthüllt neue Details über Kennedy-Attentat
Der Mord an John F. Kennedy ist ein US-amerikanisches Trauma. Nach jahrzehntelangem Schweigen meldet sich nun ein ehemaliger Personenschützer – und stellt die offizielle Erzählung infrage.
Das Attentat auf den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1963 war seither der Stoff für Legenden und Verschwörungstheorien. War es in Wahrheit ein Mordkomplott von Kennedys politischen Gegnern? Gab es einen zweiten Todesschützen? Die offizielle Version der damaligen Ereignisse bestreitet das. Sie lautet verkürzt: Lee Harvey Oswald war der alleinige Mörder von JFK., er hatte keine Komplizen. Doch die Schlussfolgerung der damals ermittelnden Warren-Kommission könnte nun ins Wanken geraten.
Ein Ex-Agent des US-amerikanischen Secret Service, der 1963 beim Kennedy-Attentat dabei war, sorgt in seinen bald erscheinenden Memoiren für neue Diskussionen. Paul Landis, heute 88 Jahre alt, zweifelt sechs Jahrzehnte nach dem Kennedy-Attentat an der berüchtigten "Theorie der magischen Kugel" – und wirft die Frage auf, ob es nicht noch doch mehrere Schützen gegeben haben könnte. Das berichtet die "New York Times".
Zweifel an der offiziellen Version
Die "magische Kugeltheorie" besagt, dass Lee Harvey Oswald drei Kugeln auf die Präsidenten-Limousine abfeuerte, als diese 1963 durch Dallas fuhr. Die erste Kugel verfehlte demnach ihr Ziel. Erst die zweite Kugel traf Kennedy hinten am Hals, trat vorne wieder aus und durchdrang anschließend den Körper von John Connally, dem Gouverneur von Texas, der direkt vor Kennedy saß.
Connally wurde an der Schulter, der Brust, am Handgelenk und am Oberschenkel verwundet, was auf eine eigenartige Flugbahn der Kugel hindeutet (daher die Bezeichnung "magische Kugel"). Die dritte Kugel traf Kennedy tödlich am Kopf.
Doch stimmt die Theorie? Schon damals wurden Zweifel an der offiziellen Erklärung laut: Dass die Kugel in Connallys Körper wohl mehrfach von ihrer Flugbahn abgelenkt worden ist, um so mehrere Körperteile treffen zu können, schien der Tatsache zu widersprechen, dass das Projektil intakt blieb. Der frühere Secret-Service-Agent Paul Landis, der an diesem Tag die First Lady Jackie Kennedy beschützte, gibt den Zweifeln neues Futter: In einem Interview mit der "New York Times" über sein Buch enthüllt er brisante Details, die bisher der Öffentlichkeit nicht bekannt waren.
Landis war an dem Tag für den Schutz der First Lady Jackie Kennedy zuständig. Seinen Erzählungen zufolge habe er sich nur wenige Schritte von Präsident Kennedy entfernt befunden, als die tödlichen Schüsse fielen. Er habe gesehen, wie Kennedy im hinteren Teil der offenen Limousine zusammengesackt sei, so Landis. Inmitten des Chaos hätten sich die Secret-Service-Agenten jedoch nur um den Präsidenten gekümmert, niemand habe den Tatort gesichert.
So konnte es geschehen, dass Landis auf der Rückbank der Limousine – wo Kennedy saß – eine Kugel sah.
Er habe befürchtet, dass dieses wichtige Beweisstück verloren geht, und daher zu sich gesagt: "Paul, du musst eine Entscheidung treffen." Er habe die Kugel genommen und sie auf die Krankenliege des Präsidenten gelegt, damit die Ermittler sie untersuchen könnten. Das 6,5 Millimeter kleine Projektil wurde später als "magische Kugel" bekannt – also als die Kugel, die erst Kennedy und dann den vor ihm sitzenden Gouverneur Connally getroffen haben soll.
Wurde die Kugel vertauscht?
Landis vermutet, dass die Kugel versehentlich von Kennedys Krankenliege auf Connallys Krankenliege gewechselt sein könnte, als diese ins Krankenhaus gefahren wurden. Die Ermittler hätten daraus geschlossen, dass die Kugel aus Connallys Körper fiel und erst dadurch auf die Theorie der "magischen Kugel" kamen. Die Warren-Kommission schloss jedoch aus, dass die Kugel von Kennedys Krankenliege stammte.
Landis glaubt hingegen, dass die Kugel Kennedy getroffen hat, aber nicht tief genug in seinen Körper eingedrungen ist und wieder herausfiel, bevor der verwundete Kennedy aus der Limousine getragen wurde. Gegenüber der "New York Times" sagt der Ex-Agent, er sei zwar immer der Überzeugung gewesen, dass Lee Harvey Oswald der einzige Schütze an dem Tag gewesen ist. Doch nach sechs Jahrzehnten beginne er, sich unbequeme Fragen zu stellen.
"Beginne, an mir selbst zu zweifeln"
"An diesem Punkt fange ich an, an mir selbst zu zweifeln", so Landis. Der Ex-Agent wurde nie von der Warren-Kommission befragt. Seine Enthüllungen hat er in seinen bald erscheinenden Memoiren "Der letzte Zeuge" niedergeschrieben. Der US-Anwalt James Robenalt, der Landis bei seinen Memoiren geholfen hat, glaubt, dass Landis' Buch neue Fragen zum Tod Kennedys aufwerfen werde.
Es werde wahrscheinlich "die Frage nach einem zweiten Schützen, wenn nicht sogar mehreren" gestellt werden, sagte Robenalt zur "New York Times". Wenn die "magische Kugel" im Rücken von Präsident Kennedy gestoppt wurde, bedeute dies, "dass die zentrale These des Warren-Berichts, die Einzelkugel-Theorie, falsch ist". Das hieße, dass Gouverneur Connally von einer separaten Kugel – und damit von einem zweiten Todesschützen getroffen worden sein könnte.
- nytimes.com: "J.F.K. Assassination Witness Breaks His Silence and Raises New Questions" (englisch, kostenpflichtig)