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Zum journalistischen Leitbild von t-online.18-Jähriger verbrennt im Unfallauto Zeuge postet auf Facebook – wählt aber nicht den Notruf
Die Empörung ist groß: Statt Rettungskräfte zu alarmieren, postet ein Zeuge einen Unfall in den sozialen Medien. Ein junger Mann kommt ums Leben. Hätte er gerettet werden können?
Bei einem schweren Unfall nahe Lauenburg in Schleswig-Holstein stirbt ein 18-Jähriger. Sein Auto fängt bei dem Frontalzusammenstoß am Mittwochnachmittag Feuer – der junge Mann verbrennt in seinem Fahrzeug auf der Landstraße 200. Vier weitere Menschen in zwei weiteren Fahrzeugen werden leicht verletzt.
Hätte der junge Mann gerettet werden können? Berichte in regionalen Medien scheinen das nahe zu legen. Bereits um 17.13 Uhr habe ein Augenzeuge mit einem Facebook-Post auf den Unfall hingewiesen, ohne einen Notruf abzusetzen, berichten die "Lübecker Nachrichten" und "SHZ.de" einhellig. Die Rettungskräfte hätten erst um 17.18 Uhr von dem schweren Unglück erfahren.
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Gingen entscheidende Minuten durch einen Augenzeugen verloren, der lieber seine Freunde informierte als die Retter? Möglicherweise. Das Problem: Die in den Zeitungen geschilderten Abläufe stimmen in wichtigen Punkten nicht mit den Schilderungen der Rettungskräfte überein. t-online.de ließ sich den Hergang des Einsatzes minutiös von Polizei und Feuerwehr schildern.
Die Chronik des Einsatzes
Um 17.12 Uhr geht der erste Notruf bei der Polizeidienststelle in Lübeck ein. So schildert es der Sprecher der zuständigen Polizeidirektion in Ratzeburg. Daraufhin habe die Polizei den Notruf umgehend an die Einsatzleitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst in Bad Oldesloe weitergeleitet.
Um 17.13 Uhr setzt ein der Polizei namentlich bekannter Mann ein Facebook-Posting ab, in dem er vor dem Unfall warnt. Mit genauer Ortsmarkierung. Er ist nicht derjenige, der den Notruf gewählt hat. Er informiert die Rettungskräfte auch später nicht.
Um 17.14 Uhr kommt der Notruf, der von der Polizei in Lübeck weitergeleitet wird, bei der Einsatzleitstelle für die Rettungskräfte durch. Die kurze Verzögerung erklärt der Diensthabende Schichtleiter dort so: Der Anrufer sei im ersten Anlauf nicht zu hören gewesen, möglicherweise im Funkloch. Anschließend rücken die Rettungskräfte aus – allerdings ohne genaue Angaben über den Unfallort. Mehrere Straßen kommen zu diesem Zeitpunkt infrage.
Spätestens um 17.18 Uhr erreicht der Rettungswagen den Unfallort. Auch darin stimmen die Schilderungen der Polizei und der Feuerwehr überein. Die Rettungskräfte sehen: Eines der drei beteiligten Fahrzeuge hat Feuer gefangen. Es gibt mehrere Verletzte.
Um 17.21 Uhr wird laut Einsatzleitstelle die Feuerwehr alarmiert. Die Löschzüge rücken aus.
Um 17.26 Uhr erreicht auch die Feuerwehr laut Protokoll der Einsatzleitstelle den Unfallort. Das Auto steht "in Vollbrand", sagt ein Sprecher noch einem Reporter der "Lübecker Nachrichten" vor Ort. Da sei nichts mehr zu machen gewesen. Der junge Fahrer stirbt.
Viele dieser Angaben zu den zeitlichen Abläufen widersprechen den Schilderungen in den regionalen Medien. Könnte der 18-Jährige noch leben, hätte der Augenzeuge den Notruf gewählt, statt den Unfall auf Facebook zu posten? Die Polizei zumindest prüft nun Ermittlungen gegen den Augenzeugen wegen des Verdachts der unterlassenen Hilfeleistung.
Dabei ist allerdings weitgehend unklar, ob sein Notruf tatsächlich den zeitlichen Ablauf des Einsatzes verändert hätte. "Es ist noch nicht bekannt, wie viel der Mann überhaupt mitbekommen hat", sagt ein Sprecher der Polizei. "Den zeitlichen Ablauf des Einsatzes hätte sein Notruf vermutlich nicht erheblich verändert."
In der Einsatzleitstelle der Rettungskräfte sieht man das zumindest etwas anders. "Der Mann hatte offenbar genaue Kenntnis von der Lage des Unfallorts. Die hatte der Anrufer hingegen nicht. Das hätte entscheidend sein können", sagt der Diensthabende Schichtleiter. "Einen Versuch wäre es wert gewesen."
- eigene Recherchen
- Lübecker Nachrichten: "Tödlicher Unfall: Facebook-Post fünf Minuten vor der Alarmierung"