Panorama "Costa"-Unglück: "Kapitän, geben Sie die Rettung auf?"

Während die Zahl der Toten und Vermissten nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" weiter steigt (sechs Tote, 29 Vermisste), erscheint das Verhalten des Kapitäns während der Katastrophe in immer schlechteren Licht. Mitschnitte von Telefonaten mit der italienischen Hafenbehörde belasten Francesco Schettino schwer und erhärten den von Zeugen geäußerten Verdacht, der Kapitän habe das Unglücksschiff sehr früh sich selbst überlassen. Unter den Todesopfern der Katastrophe befindet sich auch ein Deutscher.
Schettino hatte sein Schiff mit mehr als 4200 Menschen an Bord dicht an die kleine toskanische Insel Giglio gelenkt. Das 112.000 Tonnen schwere Schiff war um kurz vor 22 Uhr gegen einen Felsen gelaufen, leckgeschlagen und dann auf die Seite gekippt.
Der Kapitän soll den Kreuzfahrtriesen verlassen haben, als die Evakuierungen in vollem Gange waren - vor den meisten Passagieren. Unterschiedlichen Augenzeugen zufolge habe er bereits gegen halb zwölf das Schiff verlassen beziehungsweise wurde gegen 0.30 Uhr auf einem Felsen auf der rechten Seite des Schiffes gesehen. Die jetzt veröffentlichten Telefonate mit der Hafenbehörde wurden aber erst um viertel vor zwei geführt, die Evakuierung der "Costa Concordia" war laut italienischer Polizei erst um 4.46 Uhr beendet.
Gestützt auf die Aussagen zahlreicher Augenzeugen hatte die italienische Staatsanwaltschaft Schettino bald nach der Havarie am Freitag festnehmen lassen. Hunderte von Zeugenaussagen - Passagiere, Crewmitglieder und Retter - seien zum Hergang bereits aufgenommen worden, erklärte Staatsanwalt Francesco Verusio. Mehr Details zum Hergang des Unglücks erhofft er sich von der Auswertung der Blackbox des Schiffs, die ähnlich wie in Flugzeugen die Kommunikation auf der Brücke und Steuerbefehle aufzeichnet.
"Kapitän, was machen Sie?"
Die italienische Nachrichtenagentur Ansa hat jetzt Mitschnitte von Telefonaten veröffentlicht, die auf dieser Blackbox gespeichert waren. Sie stützen den Vorwurf der Augenzeugen und den Verdacht der Ermittler. Darin weist ein entsetzt klingender Offizier der Hafenmeisterei auf Giglio Kapitän Schettino unter anderem an, sich zurück auf das Schiff zu begeben.
Demnach erreichte der Offizier Schettino erst um 1.46 Uhr auf dessen Handy, als noch hunderte Menschen an Bord des sich langsam, aber stark zur Seite neigenden Schiffes waren. Darin forderte der Mitarbeiter des Hafens: "Jetzt begeben Sie sich zum Bug, Sie klettern die Rettungsleiter hoch und leiten die Evakuierung!" Der Offizier wurde im Verlauf des Telefonats immer ungehaltener. "Sie müssen uns sagen, wie viele Leute da noch sind, Kinder, Frauen, Passagiere, die genauen Zahlen in jeder Kategorie!", forderte er Schettino auf.
"Was machen Sie? Geben Sie die Rettung auf?", fragte dann der Offizier. "Nein, nein, ich bin da, ich koordiniere die Rettung", antwortete Schettino, der von den Zeugen allerdings schon vor Mitternacht am Ufer gesehen wurde. Der Offizier sagte, es gebe "bereits Leichen". "Wie viele?", fragte Schettino zurück. Der Offizier darauf: "Das müssen doch Sie mir sagen! Was machen Sie? - Jetzt kehren Sie nach da oben zurück und sagen Sie uns, was wir machen können!"
"Es herrschte nur Chaos"
Schon um 1.42 Uhr hatte der Kapitän in einem anderen Telefonat mit der Hafenmeisterei gesagt: "Wir können nicht mehr an Bord des Schiffes gehen, weil es zur Heckseite kippt." Der Offizier fragte völlig überrascht: "Kommandant, haben Sie das Schiff verlassen?" Der Kapitän darauf: "Nein, nein, natürlich nicht!" Schettino hat bisher den Vorwurf, das Schiff früh verlassen zu haben, zurückgewiesen - im Gegenteil: "Wir haben als letzte das Schiff verlassen", hatte er Reportern gesagt.
Nach einem Zeitungsbericht war der Kapitän extra nah an der Insel Giglio vorbeigefahren, um einem auf dem Schiff arbeitenden Kellner einen Gefallen zu tun. Laut der Zeitung "Corriere della Sera" ließ Schettino kurz vor dem Unglück Oberkellner Antonello Tievoli auf die Kommandobrücke rufen. "Antonello, schau mal, wir sind ganz nahe an Deinem Giglio", habe er zu dem Kellner gesagt, zitierte das Blatt Zeugen. Daraufhin habe Tievoli gewarnt: "Vorsicht, wir sind extrem nahe am Ufer." Unmittelbar darauf lief das Schiff auf Felsen auf.
Dem Bericht zufolge hatte Tievoli einige Tage vor dem Unfall frei bekommen sollen, musste aber wegen Personalproblemen an Bord bleiben. Schettino habe ihm deshalb eine Freude machen wollen, indem er wenigstens nahe an Tievolis Heimatinsel vorbeifuhr. Dem "Corriere" zufolge soll der Oberkellner von der Staatsanwaltschaft zu dem Vorfall vernommen werden.
"Bringen Sie mich weg von hier"
Einem unbestätigten Bericht der italienischen Zeitung "Il Fatto Quotidiano" soll der Kapitän später, als er sich bereits an Land geflüchtet hatte, ein Taxi gerufen haben. "Bringen Sie mich weg von hier", soll er dem Taxifahrer gesagt haben. Der Kapitän habe einen weißen Gala-Dinner-Anzug getragen, heißt es in dem Bericht. Der Fahrer habe den Kapitän mit zu sich nach Hause genommen. Schettino sei benommen, aber nicht in Panik gewesen, erzählte der Taxifahrer weiter. Der Kapitän habe daraufhin mehrere Anrufe der Küstenwache von Livorno erhalten, die ihn aufgefordert habe, an Bord zurückzukehren, der Kommandant aber habe sich geweigert.
Inzwischen gehen auch Vertreter des italienischen Kreuzfahrt-Unternehmens Costa Crociere immer mehr auf Distanz zu dem Kapitän, nachdem sie ihn kurz nach dem Unglück noch in Schutz genommen hatten. Er habe seine Route eigenmächtig geändert, erklärte der deutsche Geschäftsführer von Costa Crociere in Hamburg, Heiko Jensen. Falsche Seekarten seien nicht Schuld an dem Unglück gewesen. Jensen erklärte: "Der Kapitän war zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Brücke und hat das Schiff manuell gesteuert."
Staatsanwalt Verusio bestätigte, dass der von dem Unglücksschiff gerammte Felsen eindeutig auf Karten vermerkt sei, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa. Der Kommandant der "Costa Concordia", Francesco Schettino, hatte behauptet, die Felsen seien nicht eingezeichnet.
Costa-Geschäftsführer Jensen sagte, die Einschätzung des Kapitäns bei dem Unglück habe nicht "den von Costa vorgegebenen Standards" in einem solchen Notfall entsprochen. Die Crew dagegen habe sehr umsichtig gehandelt. Viele Passagiere allerdings sprachen von einem großen Durcheinander und klagten über unzureichende Sicherheitsausrüstung. Das bestreitet Costa. "Die Schiffsführung hat total versagt", sagte Passagier Herbert Rohwedder aus Schleswig-Holstein. "Es herrschte nur Chaos."
Viel Kritik am Kapitän
Ein "menschlicher Fehler" ist auch nach Auffassung des italienischen Chefs von Costa Creciere, Pierluigi Foschi, nicht zu bestreiten. Zwar werde die Kreuzfahrtgesellschaft dem Kapitän nach der Havarie juristische Unterstützung geben, sagte Foschi in Genua. "Das Unternehmen hat jedoch auch die Pflicht, seine 24.000 Beschäftigten zu schützen", sagte er der Agentur Ansa. Zuvor waren auch die Eigner des Kreuzfahrtschiffes auf Distanz zu ihrem Kapitän gegangen.
"Es scheint, dass der Kommandant Beurteilungsfehler gemacht hat, die schwerste Folgen gehabt haben", hieß es in einer Erklärung der Kreuzfahrtgesellschaft am Sonntagabend. "Die Route des Schiffs führte offenbar zu nahe an der Küste vorbei (...)" Der Kapitän sei 2002 als Sicherheitsoffizier zu Costa gekommen und 2006 zum Kapitän ernannt worden. "Wie alle Costa-Schiffsführer absolvierte er regelmäßige Trainings."
Zahl der Vermissten verdoppelt
Inzwischen hat die italienische Küstenwache die Zahl der Vermissten gegenüber vorherigen Angaben verdoppelt: 29 Menschen würden noch vermisst, 25 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder. Zwölf der Vermissten sollen Deutsche sein, darunter stammen fünf Passagiere aus Hessen, je zwei aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie eine Frau aus Bayern. Diese Zahlen kommen von der deutschen Polizei. Die italienische Küstenwache geht von zehn vermissten Deutschen aus.
Wegen vorübergehend schwereren Seegangs mussten die Rettungsarbeiten am Montagnachmittag unterbrochen werden. Offensichtlich hatten die Wellen den havarierten Riesen in Bewegung versetzt. Die Taucher hätten das Wrack vorübergehend verlassen, nachdem es sich um neun Zentimeter bewegt habe, erklärte der Sprecher der Rettungsmannschaften, Luca Cari. Auch für die Nacht zum Dienstag wurde die Suche aus Sicherheitsgründen wieder eingestellt.
Am Dienstagmorgen dann wurde dementiert, dass die Leiche eines siebten Todesopfers geortet worden sei. Die lokalen Behörden gehen jetzt davon aus, dass das Wetter bis Mittwoch gut bleibt. Die Rettungsarbeiten könnten bis dahin auf jeden Fall fortgesetzt werden.
Der italienische Umweltminister Corrado Clini sagte am Montagabend, bislang gebe es keine Anzeichen dafür, dass Treibstoff ins Meer geflossen sei. Jedoch sieht er ein sehr hohes Risiko für eine Umweltkatastrophe, deshalb müssten die Tanks des Schiffes schnell leergepumpt werden.
Entschädigung zugesichert
Costa-Kreuzfahrten sicherte den Opfern der Schiffshavarie Entschädigung zu. "Wir nehmen mit jedem einzelnen Gast Kontakt auf", sagte Jensen. Die Bergung des Wracks wird nach Einschätzung von Hans Hopman, Professor für Schiffsbau an der Technischen Universität Delft, möglicherweise Monate dauern.