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Messerangriffe: Waffe ist "cool" vor allem bei jungen Männern


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Gefährliche Bewaffnung
Steigt die Zahl der Messerangriffe?


Aktualisiert am 13.02.2024Lesedauer: 4 Min.
Messerangriff (Symbolbild): Messerattacken sind potenziell lebensbedrohlich.Vergrößern des Bildes
Messerangriff (Symbolbild): Attacken mit Messern sind potenziell lebensbedrohlich. (Quelle: Ulrich Roth/imago-images-bilder)
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Immer wieder machen Messerangriffe Schlagzeilen. Steigt die Anzahl der Angriffe? Sind sie eine besondere Gefahr?

In den letzten Jahren sind sie zunehmend ein mediales Thema: Messerangriffe. Erst letzte Woche kam es in einer Schule in Pforzheim zu einem Vorfall, bei dem zwei Schüler schwer verletzt wurden. Wegen solcher Attacken erfasst das Bundeskriminalamt (BKA) seit 2020 das Phänomen in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) separat. Das Ergebnis: Waren es 2021 rund 7.000 Fälle mit gefährlichen und schweren Körperverletzungen, stieg die Zahl ein Jahr später auf knapp 8.100 an. Ist der Anstieg ein Grund zur Sorge?

Verschwörungserzählungen zu Messertaten

Nein, sagt Thomas Hestermann, Professor an der Hochschule Macromedia in Hamburg. Dass sich das BKA gesondert mit Messerangriffen beschäftigt, habe "vor allem emotionale Gründe". Rechtspopulisten hätten mit ihrem Mythos vom vermeintlichen "Messermigranten" eine tief sitzende Angst weiter geschürt. Der bei vielen Themen geäußerte Verdacht: Polizei und Medien würden etwas verschweigen. "Um diesem Unsinn zu begegnen, hat man eben die statistische Erfassung von Messerdelikten begonnen", sagt Hestermann. Schusswaffen seien jedoch sehr viel gefährlicher.

Die Angst vor Messern sei dennoch nachvollziehbar: "Messer finden sich in jeder Küchenschublade und können sich aus dem Nichts heraus in eine tödliche Waffe verwandeln [...]. Das macht Messer eben so gruselig", erklärt der Dozent.

Keine Häufung bei der Tätergruppe

Auch das BKA sieht keine besondere Gefahr in Messerangriffen: "Kommt es zu einem Anstieg von Gewaltdelikten insgesamt, ist folglich auch ein Anstieg der Messerdelikte zu erwarten", heißt es auf Anfrage von t-online. Messerangriffe unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht nicht von sonstigen Gewaltdelikten, erklärt das BKA und beruft sich dabei auf einen wissenschaftlichen Artikel.

Messerangriffe

Als Messerangriffe werden in der polizeilichen Kriminalstatistik Taten gezählt, bei denen eine Messerattacke gegen eine Person angedroht oder ausgeführt wird. Das Mitführen von Messern wird dabei nicht erfasst.

Laut BKA gebe es auch keine besondere Häufung bei den Tätern. Bei einer Auswertung von Strafakten zwischen 2013 und 2018 in Rheinland-Pfalz hätten sich im Vergleich mit anderen schweren Gewalttaten "keine signifikanten Unterschiede mit Blick auf das Geschlecht, die Staatsbürgerschaft und den sozioökonomischen Status der Tatbegehenden" ergeben.

Lassen sich Messer verbieten?

Ohnehin können Messerangriffe mit den richtigen politischen Entscheidungen eingedämmt werden, erklärt Thomas Hestermann. Das lasse sich anhand des Rückgangs solcher Taten in Nordrhein-Westfalen belegen. Von 2019 bis 2022 ist die Zahl der erfassten Messerdelikte in dem Bundesland von 5.780 auf 4.191 gesunken. Ein Rückgang von knapp 28 Prozent. Den Grund sieht Hestermann bei der 2021 eingeführten "Verordnung über das Verbot des Führens von Waffen". In bestimmten Vierteln sei es seitdem verboten, Messer, Schlagstöcke, Elektroschocker oder Pfefferspray mit sich zu tragen. "Damit sind die Delikte deutlich zurückgegangen", so Hestermann.

"Wenn der Anteil von Nichtdeutschen bei vielen Delikten deutlich höher ist, als es dem Anteil an der Bevölkerung entspricht, hat das ganz andere Gründe, vor allem soziale", sagt Hestermann. Messer seien die Waffen der Unterschicht. Zahlen der Kriminologie zeigten beispielsweise, dass Hauptschüler deutlich öfter Waffen tragen als Gymnasiasten. Eine Personengruppe sei bei Gewalttaten aber weltweit auffällig: "Es sind vor allem Männer, die sich bewaffnen und mit Waffen andere verletzten."

Das Messer als Statussymbol an Schulen

Doch wie erklärt sich die Vielzahl von Messerangriffen an Schulen, wie zuletzt in St. Leon (Baden-Württemberg), wo eine 18-jährige Schülerin getötet wurde? Das liege an einem verhängnisvollen Trend, sagt Thomas Hestermann: "Vor allem männliche Jugendliche finden es zunehmend cool, ein Messer bei sich zu tragen." Nach Angaben des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sei die Zahl der Jugendlichen, die zumindest selten ein Messer mitführen, von 2019 bis 2022 um mehr als einen Prozentpunkt auf 20,6 Prozent gestiegen. Fast jeder dritte männliche Jugendliche (31,1 Prozent) gehe immer mal wieder mit einem Messer aus. Zudem sei trotz aller Klischees der Anteil von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund deutlich höher als der bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Das bestätigt auch der Kinder- und Jugendpsychologe Christian Lüdke: "Das Messer unterstreicht die Männlichkeit". Zumindest sei dies in erster Linie bei männlichen Heranwachsenden die Wahrnehmung. Sie hätten im Vergleich mit jungen Frauen größere Probleme, ihre eigene Identität zu entwickeln. Der Grund: "Es fehlt an männlichen Vaterfiguren", so Lüdke. In Kindergärten und Schule gebe es durch Erzieherinnen und Lehrerinnen vor allem weibliche Vorbilder. Deshalb werde zu Symbolen wie Messern und Autos gegriffen.

Der Ursprung solcher Störungen liege in der Kindheit und Jugend. Werte seien nicht von den Eltern vorgegeben worden oder die Beziehung zu ihnen sei nicht intakt. Nicht alle Kinder seien bedingungslos geliebt worden, und die Eltern hätten sich nicht ausreichend gekümmert. Dann reagierten die Kinder entsprechend: "Wenn ich nicht geliebt werde, dann wenigstens gehasst", so Lüdke. Es sei der Wunsch solcher Kinder, dass sie als Person wahrgenommen werden. Mit acht Jahren, in der dritten Klasse, trete solches Verhalten erstmals in Erscheinung. "Jeder kennt sie: Arschlochkinder", erklärt Lüdke.

Bevor es zu Gewalt kommt, kann sich der "Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit" auch anders ausdrücken: durch auffällige Kleidung, Frisur, eine Essstörung, Alkohol, Tattoos oder Piercings. Funktioniere das nicht, steigt die Risikobereitschaft, führt Lüdke aus. Gerade bei männlichen Jugendlichen sei diese enorm. Das liege daran, dass sie sich massiv selbst überschätzen. Kommt dann noch ein Gefühl der Ohnmacht hinzu, steigere sich die Aggression. So werde die Ohnmacht zu vermeintlicher Allmacht. Dann fühlen sich die Betroffenen als "Herr über Leben und Tod", sagt Lüdke.

Verwendete Quellen
  • E-Mail-Interview mit dem BKA
  • E-Mail-Interview mit Thomas Hestermann
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