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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Journalisten im Auftrag des Staates Auch Johannes B. Kerner steht auf der Liste
Journalisten haben sich für Moderationen von der Bundesregierung bezahlen lassen. Auch der bekannte ZDF-Journalist Johannes B. Kerner ist darunter. Das könnte problematisch werden.
In Berlin kursiert in diesen Tagen eine Liste. Sie ist 30 Seiten lang, veröffentlicht wurde sie von der Bundesregierung, nach einer Anfrage der AfD-Fraktion. Von "Journalist 1" bis "Journalist 200" ist darin sauber tabellarisch aufgezählt, wer für welche Dienstleistung wie viel Geld von der Bundesregierung gezahlt bekam. Mal geht es um die Redigatur von Texten, mal um Moderationen. t-online enthüllte zum Teil, wer sich hinter den Nummern 1 bis 200 verbirgt. Warum könnte das Engagement für die Regierung noch problematisch werden? Ein Überblick.
Um welche Journalisten geht es?
Unter den Journalisten finden sich diverse prominente Namen. Besonders ragt unter anderem "Journalist 97" heraus: Gemeint ist die ehemalige "Tagesschau"- und heutige ProSieben-Moderatorin Linda Zervakis. Zervakis ist besonders prominent – und hat offenbar besonders gut verdient: Sie soll vom Kanzleramt 12.044 Euro erhalten haben für zwei Gespräche, die sie moderierte.
Auch die "Tagesschau"-Moderatorin Judith Rakers hat Medienberichten zufolge mehrfach Honorare von der Bundesregierung erhalten. Mal sollen es etwas über 4.000 Euro für das Arbeitsministerium von Hubertus Heil gewesen sein, ein anderes Mal knapp 6.000 Euro für das Wirtschaftsministerium.
Hinter einer der Nummern soll sich auch der ZDF-Moderator Johannes B. Kerner verbergen: Er soll t-online-Informationen zufolge mit "Journalist 114" ist gemeint sein. Kerner hat im September 2018 und 2019 das Musikfest der Bundeswehr moderiert. Sein Honorar belief sich jeweils aber wohl nur auf einen dreistelligen Eurobetrag. Im Detail lassen sich die Summen nicht rekonstruieren, weil die Bundesregierung sie gesammelt ausweist.
Hinzu kommen noch die Namen von weniger prominenten Journalisten. Unter anderem sollen auch Monika Jones (Deutsche Welle), Anja Heyde (ZDF) und Andrea Thilo, die lange als Redakteurin für öffentlich-rechtliche Formate arbeitete, für Ministerien tätig gewesen sein. Etliche andere Namen wurden noch nicht enthüllt.
Um welche Summen geht es?
Insgesamt haben das Kanzleramt, die Bundesministerien und ihre Bundesbehörden der Liste zufolge in den vergangenen fünf Jahren fast 1,5 Millionen Euro für journalistische Aufträge ausgegeben. Mit rund 875.000 Euro floss der Großteil an Journalisten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. An Mitarbeiter privater Medien gingen rund 597.000 Euro. Das Geld erhielten die Journalisten demnach vor allem für Moderationen, aber auch etwa für Lehrgänge.
Das meiste Geld haben mit einigem Abstand das Landwirtschaftsministerium mit 303.100 Euro und das Bildungsministerium mit 295.000 Euro ausgegeben. Das Wirtschaftsministerium zahlte insgesamt 199.100 Euro an Journalisten. Über 100.000 Euro gaben das Arbeitsministerium, das Umweltministerium und das Verkehrsministerium aus. Am wenigsten kaufte sich der Liste zufolge das Gesundheitsministerium ein: Dort sind nur 3.300 Euro vermerkt.
Ab wann – und warum könnte das problematisch sein?
Es gibt viele Konstellationen, unter denen es kein Problem darstellt, wenn Journalisten eine Veranstaltung eines Ministeriums moderieren oder textliche Hilfestellungen bei Publikationen geben. Für viele Journalisten ist das sogar ein wichtiges Standbein für die Finanzierung ihres Lebens, denn gerade freie Journalisten, also diejenigen, die keinen festen Arbeitgeber haben und für viele Zeitungen oder Sender arbeiten, sind darauf angewiesen.
Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands und CDU-Mitglied, ist sogar überzeugt, dass Journalisten besonders gut dafür geeignet sind. "Die Kolleginnen und Kollegen sind dafür ausgebildet. Vielleicht ist es sogar besser, wenn ein Journalist oder eine Journalistin moderiert als ein Beamter aus dem Ministerium." Problematisch wird es, wenn der Journalist "zu einem Mikrofonhalter" wird, sagt Überall t-online. "Man muss sich gut auf solche Veranstaltungen vorbereiten und dann auch kritische Fragen stellen", sonst werde man seiner Rolle nicht gerecht.
Das Honorar ist auch ein entscheidender Faktor, wie ein Auftrag eines Ministeriums an einen Journalisten zu bewerten ist. Es darf laut Überall nicht zu niedrig sein, denn "das ist richtig Arbeit, sich vernünftig vorzubereiten". Wenn es aber zu hoch ist, dann bekomme das Ganze den Anschein eines "Dankeschön-Honorars". Allein schon dieser Anschein müsse vermieden werden.
Dazu sei es auch nötig, sagt Überall, dass Transparenz geschaffen werde, zum einen gegenüber dem Sender, für den man frei arbeite, im besten Falle aber auch gegenüber den Kollegen. Dann könne sich jeder sein eigenes Bild machen. Im Fall Zervakis sei das nicht gut gelaufen. "Gegen eine Veröffentlichung des Honorars juristisch vorzugehen, ist ein Einfallstor für Kritik", sagt Frank Überall.
Besonders schwierig wird es, wenn man für ein Ministerium arbeitet und dann gleichzeitig über ähnliche Themengebiete schreibt. So sei ein Fall bekannt geworden, in dem ein Journalist die Rede für einen Dax-Vorstand geschrieben habe, dann aber auch über genau die Veranstaltung berichtete. Und sogar noch von einer "starken Rede" des Vorstandes schrieb. "Hier muss eine Brandmauer her", fordert Überall. Im politischen Raum sei das fatal. Ein Verbot von Nebentätigkeiten sei arbeitsrechtlich aber schwierig. Jeder Einzelfall müsse genau geprüft werden.
Gibt es einen Unterschied zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Journalisten?
Den gibt es. Denn die Grundlage für die Arbeit der öffentlich-rechtlichen Sender ist der Medienstaatsvertrag. Dort heißt es im Paragraf 6: "Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein." Faktisch unterwerfen sich auch Journalisten, die für privatwirtschaftliche Zeitungsverlage oder Rundfunksender arbeiten, ähnlichen Grundsätzen.
Aber gerade, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den vergangenen Jahren immer mehr unter Druck gerät, bekommen diese Sätze aus dem Staatsvertrag eine besondere Bedeutung für die Journalisten, die bei ARD, NDR und den anderen Sendeanstalten arbeiten. Manchen von ihnen wird eine zu große Nähe zur Politik unterstellt. Teils zu Recht, teils zu Unrecht.
In Zeiten, in denen immer wieder der Vorwurf erhoben wird, Medien und Politik steckten "unter einer Decke", ist die professionelle Distanz besonders wichtig. Deshalb ist der Eindruck im einen oder anderen Fall von zu großer Nähe besonders fatal.
- Eigene Recherche
- Auswertung der Antwort auf die Kleine Anfrage der AfD-Fraktion an die Bundesregierung, Drucksache 20/5822