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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Polizei räumt Lützerath Der Traum ist aus
Die Räumung in Lützerath beginnt mit einem Knall, doch kurz darauf liegt nur noch der Geruch von Schwarzpulver in der Luft. Eindrücke aus dem umkämpften Kohle-Dorf.
Als die Polizei durch die ersten Barrikaden bricht, knallt es. Ein junger Mann feuert eine Silvesterrakete auf mehrere Beamten. Dabei allerdings trifft er nicht nur die Polizeikette, sondern auch eine Gruppe aus Journalisten, die sich eilig in Sicherheit bringt.
Nach der Aktion stürmt die Polizei nach vorne, erobert die Barrikade aus Metall und Holz, hinter der sich der Aktivist verschanzt hat. Kurz darauf ist es wieder ruhig in Lützerath, nur der Geruch des abgefeuerten Schwarzpulvers liegt noch in der Luft.
In dem einst bewohnten Dorf beginnt an diesem Mittwochmorgen die wohl letzte Schlacht um die Kohle im Rheinischen Braunkohlerevier. Der Ort liegt direkt an der Abbruchkante zum Tagebau Garzweiler II, der einzige, dessen Abbaufläche bis 2030 noch wachsen soll.
Dafür jedoch müssen ganze Dörfer weichen – Lützerath ist das letzte von ihnen. Seit etwa zwei Jahren besetzen deshalb Klimaaktivisten die leer stehenden Häuser im Dorf, die längst dem Energiekonzern RWE gehören. Ihr Ziel: das Abbaggern der Kohle so lange wie möglich hinauszögern. Ihre Überzeugung: Will Deutschland seine Klimaziele erreichen, muss sämtliche Kohle links des Rheins im Boden bleiben.
Die Polizei kontrolliert schnell die Zufahrtswege
RWE sieht das anders. Schon Ende des vergangenen Jahres hatte der Konzern darauf gedrängt, die Aktivisten aus den Häusern zu vertreiben. Das Unternehmen will endlich mit dem weiteren Abbau der Kohle beginnen, dafür müssen die Protestler weg.
- Aktivisten gegen Milliardenkonzern: Wie wichtig ist Lützerath für RWE wirklich?
Der Start der Räumung gegen 8.30 Uhr ist eine nasse Angelegenheit. Es gießt in Lützerath, als die ersten Polizisten auf das Gelände kommen. Dazu peitscht ein scharfer Wind den Regen durch das Dorf.
Nachdem die Polizei Lützerath mit Mannschaftswagen umstellt hat, brechen erste Züge von Beamten durch die aufgestellten Blockaden. Nach etwa anderthalb Stunden kontrolliert die Polizei alle offenen Flächen im Dorf: Wege, Straßen und Wiesen. Für viele Beobachter geht all das schneller als gedacht – und das, obwohl sich die Besetzer erbittert gegen den Räumungsversuch wehren. Sie werfen Steine, Flaschen und mindestens einen Molotowcocktail auf die Einsatzkräfte.
Ton, Steine, Scherben und veganes Essen
Sind hier also nur Chaoten am Werk, Randalierer, die sich Scharmützel mit der Staatsmacht liefern wollen? Ganz so einfach ist es wohl auch nicht.
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Denn Lützerath ist auch an diesem ersten Tag der Räumung, für die die Polizei mehrere Wochen veranschlagt, weit mehr als nur Krawall: Nach dem ersten Kampf gegen die Staatsgewalt tönt Musik aus den rund 30 Baumhäusern, die die Umweltaktivisten gebaut haben. Der Ton-Steine-Scherben-Hit "Der Traum ist aus" schallt durch das Dorf, am Boden kochen sich einige Aktivisten veganes Essen.
Einer der Aktivisten nennt sich "Nasenbär". Seit den frühen Morgenstunden sitzt er auf einem sogenannten Monopod. Gemeint ist damit: eine selbst gebaute, vertikale Barrikade aus Metall. Er wird damit selbst zu einem lebenden Hindernis gegen die Räumung von Lützerath.
Nasenbär ist seit Freitag im Dorf. "Ich will bleiben, bis die Räumung vorbei ist oder abgebrochen wird", sagt er. Für ihn sei Lützerath ein wichtiges Symbol der Klimabewegung, bei dessen Verteidigung er helfen möchte. "Die Situation hier in Lützerath zeigt doch mal wieder, dass derjenige mit dem meisten Geld die größte Macht hat", so der junge Mann. "Dabei will ich doch nur, dass alle in Frieden leben können und eine sichere Zukunft haben."
Erfahrungen aus dem Hambacher Wald
Es ist nicht das erste Mal, dass RWE sein Recht auf Eigentum mithilfe der Polizei durchsetzen muss. Einige der Beamten haben bereits Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Klimaaktivisten. Entsprechend anpassen konnten sie deshalb auch ihr Vorgehen:
Während sich die Beamten bei der Räumung des Hambacher Waldes im Jahr 2018 noch Meter für Meter vorankämpfen mussten, sind sie in Lützerath in einer so starken Überzahl, dass sich Züge auffächern können und in Kleingruppen durch den Ort gehen. Offensichtlich rechnet die Einsatzleitung am Mittwochvormittag nicht mit offensiven Aktionen der Besetzer des Dorfes.
Zum direkten Kontakt zwischen Polizisten und Demonstranten kommt es vor allem auf der Zufahrtsstraße zum Dorf. Ein Mann und eine Frau liegen dort gegen Mittag im Schlamm, umringt von einer Traube Polizisten. "Wir gehören zum Aktionsbündnis 'Die Kirche im Dorf lassen'", erklärt die Frau. Sie umklammert ein Buch von Papst Franziskus: "Laudato si – die Umwelt-Enzyklika des Papstes".
Kritik an der katholischen Kirche
Der Mann neben ihr hält eine Kerze fest, die er bei der Räumung der Eibenkapelle retten konnte. Diese stand direkt am Eingang des Dorfes und war ein Anlaufpunkt für den christlichen Protest gegen die Zerstörung der Dörfer im Rheinischen Kohlerevier.
"Die katholische Kirche redet die ganze Zeit vom Klimaschutz und macht sich dann nicht dafür stark, dass Lützerath nicht abgebaggert wird", ruft die Frau am Boden. "Deshalb rufe ich alle Christinnen und Christen auf, nach Lützerath zu kommen – dann können wir den Ort vielleicht retten!"
Ein Reporter steht neben der Frau am Boden und witzelt: "Da muss der Glaube aber ziemlich stark sein". "Mir vollkommen egal, wie stark der Glaube ist", erwidert die Frau. "Wir müssen in Deutschland massiv runter mit den Emissionen." Klimaschutz müsse endlich umgesetzt und gesetzlich verankert werden, sagt sie noch. "Wenn das nicht passiert, muss die Regierung mit Widerstand rechnen. Mit massivem, aber friedlichem Widerstand!"
Der Protest wird Lützerath überdauern
Dieser Widerstand wird Lützerath aller Voraussicht nach überdauern. Wenn die Polizei das enorme Tempo beibehält, mit dem sie die Räumung am Mittwoch begonnen hat, ist Lützerath schnell geräumt. Zwar rechnete Aachens Polizeipräsident Weinspach mit einer Einsatzdauer von sechs bis acht Wochen, allerdings scheint die Polizei diesen Zeitansatz deutlich zu unterbieten.
Womöglich geht dieses Mal also alles viel schneller als noch im Hambacher Forst und womöglich muss es bei den Protestaktionen auch nicht zu großer Gewalt kommen. Ob die Aktivisten sich das so vorgestellt haben?
Einige sagen schon jetzt, sie würden sich dann neue Projekte suchen, die sie unterstützen können. "Weil wir für eine gerechtere Welt kämpfen", erklärt einer auf einem Monopod. "Eine Welt, in der keine Kohle abgebaggert wird und in der nicht automatisch der mit dem meisten Geld die Regeln für alle macht".
- Eigene Beobachtungen vor Ort