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Räumung in Lützerath: "Wenn man mal muss, gibt’s ja zum Glück Windeln"


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Lützerath vor der Räumung
Vorbereitung auf den Kampf an der Abbruchkante

von Tobias Eßer, Lützerath

Aktualisiert am 10.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Polizisten in Lützerath: Der Ort soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden. (Quelle: Federico Gambarini/dpa)
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Die Räumung des kleinen Ortes steht kurz bevor: Polizei und Aktivisten bereiten sich beide vor – auf unterschiedlichen Wegen.

Eine gespenstische Ruhe liegt über Lützerath. Der Wind pfeift über die Zufahrtsstraße, die ins Dorf am Braunkohletagebau Garzweiler II führt. Auf der Straße steht ein großes Polizeiaufgebot den Aktivisten gegenüber, die das Dorf besetzen.

Letztere haben Barrikaden errichtet: Große Äste, Steinhaufen, sogar Straßenschilder sollen der Polizei eine Räumung der Straße so schwer wie möglich machen. In sogenannten Tripods, meterhohen Gestellen aus Holz, haben sich Aktivistinnen eingehängt.

Es ist Montagabend. In der Mitte der Straße verhandeln drei Polizisten mit einer Frau, die für die Lützerath-Aktivisten den Kontakt zur Polizei hält. Es geht um einen Lastwagen, den die Umweltorganisation Greenpeace als Mahnwache am Ortsrand aufgebaut hat. "Die Greenpeace-Veranstaltung ist bis 23.59 Uhr am Montagabend angemeldet", sagt einer der Polizisten – und macht ein Versprechen: "Wenn wir in der nächsten Zeit sehen, dass die Barrikaden so weit geräumt werden, dass der LKW durchfahren kann, wird kein Zugriff auf die blockierenden Personen erfolgen". Auch andere Barrikaden will die Polizei nicht anrühren, erklärt der Beamte.

Aktivisten harren aus

Zugeständnisse kann die Aktivistin im Gespräch mit der Polizei allerdings nicht machen. Es werde noch über das Angebot diskutiert, erklärt sie. "Wenn sich hier nichts tut, müssen wir die Straße später räumen", erwidert der Beamte. Die Räumung der Straße findet bis zum späten Abend allerdings nicht statt.

Was sich in der Nacht zum Dienstag im Rheinischen Braunkohlerevier abspielt, lässt sich leicht als die sprichwörtliche "Ruhe vor dem Sturm" bezeichnen. Die Luft, diesen Eindruck gewinnt man als Beobachter vor Ort schnell, flirrt: Auf beiden Seiten – unter den Polizisten, bei den Aktivisten – herrscht Anspannung: Wann kommt es zum großen Knall, wann zur Räumung? Und vor allem: Wie heftig werden die Auseinandersetzungen um die Kohle, die der Energiekonzern RWE in Lützerath aus der Erde schaufeln will?

Video | Diese deutschen Orte sind verschwunden
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Quelle: t-online

Luisa Hansen stellt sich auf einen längeren Aufenthalt ein. Die Aktivistin hat sich im Tripod mit Seilen festgemacht. Seit Stunden sitzt sie dort, bei Nieselregen, Böen und einer Temperatur von deutlich unter zehn Grad. "Es ist schon ziemlich kalt", sagt sie. "Aber das geht schon alles". Sogar mit den einfachsten menschlichen Bedürfnissen geht man in Lützerath anders um, erzählt sie: "Wenn man auf dem Tripod mal muss, gibt’s zum Glück Windeln".

Hansens Ziel ist es, die Räumung von Lützerath so lange wie möglich hinauszuzögern. "Am besten wäre natürlich, wenn die Räumung so lange dauert, dass die Polizei abbrechen muss", erklärt sie. Vor der Räumung an sich habe sie Angst, sagt Hansen. "Ich habe in der letzten Woche viel geweint. Aber nichts, was mir hier oben passieren kann, ist so schlimm wie das Leben in der Klimakatastrophe."

Steine und ein Katapult?

Neben den Tripods blockieren auch Steine die Zufahrtsstraße nach Lützerath. Ob sie nur Hindernisse oder doch Wurfgeschosse sind, ist nicht klar. Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang erwartet "gewalttätige Krawalle" während der Räumung, wie er im Gespräch mit der Zeitung "taz" am Montag sagte.

Davon geht auch der Einsatzleiter der Polizei Aachen, Wilhelm Sauer, aus. Aufseiten der Polizei ist er derzeit der einzige, der sich offiziell äußert. Beamte vor Ort verweisen Reporter derweil auf die Pressestelle, die wiederum an Sauer verweist – auch das ein Zeichen dafür, wie angespannt die Situation ist. Sauer erklärte am Montag auf einer Pressekonferenz, Aktivisten könnten sogar "Steinkatapulte, Steinschleudern und Feuerwerkskörper" gegen die räumenden Polizisten einsetzen.

Von einem Katapult war am Montag nichts auf der Zufahrtsstraße nach Lützerath zu sehen. Dafür die Barrikaden, die Sauer als "Widerstandsstrukturen" bezeichnet. An den Hindernissen arbeiteten Aktivisten den ganzen Montag. Mit lauten Rufen hieven sie einen meterlangen Baumstamm in die Barrikaden.

"Das ist schon krass", sagt eine vermummte Besetzerin über die Aktion. "Wir schaffen hier einfach richtig viel zusammen. Und das, obwohl hier alle ganz verschiedene Hintergründe haben." Vor dem anstehenden Räumungsversuch hat sie Angst – aber: "Der Zusammenhalt ist hier einfach besonders. Selbst wenn wir die Räumung nicht verhindern können, werden einige hier sicher weiter gegen die Kohle kämpfen."

In den Barrikaden auf der Zufahrtsstraße ins Dorf hängt auch ein Teil eines Bauzauns. Mehrere Leute aus der Protestgruppe hätten ihn am Montagmittag vom nahen RWE-Werksgelände geklaut, erzählt ein Journalist. Es sei fast zu einer Rangelei mit den vom Energiekonzern angestellten Sicherheitskräften gekommen.

Sollte es bei solchen Zwischenfällen oder bei dem anstehenden Räumungsversuch zu Verletzungen kommen, sind unabhängige Sanitäter meistens zuerst zur Stelle. Als "Demo-Sanis" gehören sie zu keiner größeren Organisation wie dem Deutschen Roten Kreuz oder den Johannitern, sondern sind auf eigene Faust nach Lützerath gereist. "Wir sind alle einzeln gekommen und organisieren uns hier selbst", erzählt einer von ihnen. Sie wollen anonym bleiben. "Wir haben alle einen medizinischen Hintergrund. Es ist nicht immer gut, wenn Vorgesetzte wissen, dass man hier ist."

"Für mich ist der Ort einfach sehr wichtig geworden"

Während der Räumung erwarten die Sanitäter viel Arbeit. "Ich war schon im Hambacher Wald dabei", erzählt einer von ihnen. "Da war viel zu tun, weil die Polizisten Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt haben. Hier könnte das ähnlich werden."

Abseits der Barrikaden sitzt ein Vermummter auf einem Stuhl und beobachtet die Arbeit an den Hindernissen auf der Straße und die Polizei. Neben ihm steht eine weitere Person, die sich einen Pullover um den Kopf gebunden hat, um ihr Gesicht zu verdecken.

Sie seien schon länger in Lützerath – wie lange genau, wollen sie nicht sagen. "Für mich ist der Ort einfach sehr wichtig geworden", sagt der Sitzende. "Es gibt mir viel Kraft, diese unterschiedlichen Menschen für eine gerechtere Welt ohne Rassismus und ohne Sexismus kämpfen zu sehen".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort
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