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"Spiegel" prüft eigene Recherchen: War das tote Flüchtlingskind eine Erfindung?


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"Spiegel"-Berichterstattung
War das tote Flüchtlingskind eine Erfindung?

  • Carsten Janz
Von Carsten Janz

Aktualisiert am 25.11.2022Lesedauer: 4 Min.
Syrische Familie auf der FluchtVergrößern des Bildes
Die Gruppe syrischer Flüchtlinge bei der Flucht nach Europa. Hier aus einem Beitrag des britischen Nachrichtensenders "Channel 4".
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Der "Spiegel" hat mehrere Artikel zunächst von seiner Webseite genommen. Es gibt den Verdacht, dass eine Flüchtlingsfamilie aus einem Bericht ein totes Kind erfunden haben könnte.

Es ist eine Geschichte, die europaweit Schlagzeilen machte. Eine Gruppe syrischer Flüchtlinge will nach Griechenland. Zumindest ist das der Plan. Angeblich werden sie von türkischen Soldaten dazu gedrängt, den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros zu überqueren. Auf der griechischen Seite werden sie aber nicht freundlich empfangen, sondern abgewiesen. Die Gruppe strandet auf einer kleinen Flussinsel und muss dort zwei Wochen verharren – ohne Wasser, Nahrung und Unterschlupf. Medien berichten über den Fall, auch über den angeblichen Tod des fünfjährigen Mädchens Maria aus der Flüchtlingsgruppe.

Bei diesem Fall geht es um die Frage, ob Journalisten auf die herzzerreißende Geschichte einer Flüchtlingsfamilie hereingefallen sind und die vorliegenden Aussagen zu wenig gegengeprüft wurden, oder ob die griechische Regierung ein Problem mit kritischer Berichterstattung hatte und jetzt Druck auf deutsche und britische Medien ausübt.

Ein Griechenland-Korrespondent des "Spiegel" ist gefühlt hautnah bei der Flucht der Syrer dabei. Er schreibt mehrere nachrichtliche Artikel darüber, spricht auch in einem Podcast über den Fall. Das betreffende Mädchen Maria soll an einem Skorpionstich gestorben sein und die griechischen Behörden hätten der Flüchtlingsgruppe auf der Insel jegliche Unterstützung verweigert. Ist das alles unwahr?

Ist die Geschichte erfunden?

Wenn man nun auf der Webseite des "Spiegel" nach diesen Artikeln sucht, dann stößt man auf einen Hinweis der Redaktion. "An dieser Stelle befand sich ein Beitrag über das Schicksal einer Flüchtlingsgruppe am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros im Sommer 2022", heißt es dort. Und weiter: "Mittlerweile gibt es Zweifel an der bisherigen Schilderung der damaligen Geschehnisse. Wir haben daher mehrere Beiträge zu diesem Thema vorläufig von unserer Website entfernt."

Griechischen Medien fiel das zuerst auf. Ab dem 18. November gab es dort Berichte. Zwischenzeitlich meldete sich auch Failos Kranidiotis, Vorsitzender der Partei Nea Dexia (Neue Rechte). Er hatte nach seinen Angaben Strafanzeige erstattet, wegen des Falls Flüchtlingshilfsorganisationen scharf angegriffen und sieht sich nun bestätigt. Über einen Bericht des Portals "Medieninsider" erreichte der Fall dann auch die deutsche Öffentlichkeit.

Die Geschichte des toten Flüchtlingsmädchens hatte aber nicht nur der "Spiegel" aufgegriffen. Auch der britische Nachrichtensender Channel 4 hatte darüber berichtet. Dort sind auch Videos der Gruppe der Geflüchteten zu sehen und auch die angeblichen Eltern kommen zu Wort. Und: Es ist von mehreren Schlangenbissen und Skorpionstichen die Rede. Marias Verletzungen sind dort aber nur als Standbild zu sehen. Und das Mädchen lebt zu diesem Zeitpunkt noch. Später berichten Marias Eltern, ihre Tochter sei gestorben. Verbreiten die Journalisten den Tod des Mädchens möglicherweise ungeprüft?

UNHCR kritisiert Griechenland

Die Berichterstattung über ein gestorbenes Kind schlägt in jedem Fall Wellen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nimmt die Berichterstattung umgehend auf. Sie kritisiert die griechische Regierung für die sogenannten "Push-Backs", also das Zurückweisen von Flüchtlingen und auch für die unterlassene Hilfeleistung auf der Flussinsel. Zudem rügt das Flüchtlingswerk der UNHCR die griechische Regierung.

Der "Spiegel" schreibt t-online auf Nachfrage, dass es mittlerweile den Verdacht gebe, "dass die Flüchtlinge in ihrer Not den Tod eines Mädchens erfunden haben könnten." Und: "Einige ursprüngliche Berichte hatten die Schilderungen der Flüchtlinge, die bis heute am Tod des Mädchens festhalten, als Tatsache übernommen." Das klingt zunächst einmal nach deutlichen Zweifeln an der eigenen Geschichte.

Die werden durch griechische Darstellungen genährt, dass die Eltern Angebote abgelehnt hätten, im Grenzgebiet nach dem Leichnam des Kindes zu suchen, um es in Griechenland würdevoll zu bestatten. Das hatte der griechische Migrationsminister Notis Mitaraki erklärt. Die Familie und andere Flüchtlinge aus der Gruppe hätten auch keine Fotos des toten Kindes oder eine Grabstätte präsentiert.

"Spiegel"-Autor ist überzeugt von der Richtigkeit

t-online hatte auch versucht, den Autor der Beiträge zu kontaktieren. Er hatte sich schon im August öffentlich mit möglichen Zweifeln an seiner Geschichte beschäftigt und bei Twitter einen langen Thread veröffentlicht. Darin erklärt er, dass es Berge von Belegen gebe, er mit dem Auslesen von Metadaten der ihm vorliegenden Bilder den genauen Standort der Familie hätte verifizieren können und dass es auch Videotelefonate der Familie mit Reportern gegeben habe. Außerdem gebe es eidesstattliche Versicherungen der Flüchtlinge, dass die Geschichte so stattgefunden habe. Auf t-online-Nachfrage verwies er an den "Spiegel", deutete aber an, zu einem späteren Zeitpunkt gerne Auskunft zu geben.

Setzt Griechenland Redaktionen unter Druck?

Klar ist: Die griechische Regierung hatte die Darstellung des Reporters, aber auch die des Fernsehsenders Channel 4 zurückgewiesen. Der "Spiegel" teilte t-online mit, dass er sogar einen Brief des zuständigen griechischen Ministers bekommen habe und sie deswegen im Austausch mit dem britischen Fernsehsender Channel 4 stehen. Auch der soll Post aus Griechenland bekommen haben.

Der "Spiegel"-Reporter hat offenbar eine klare Haltung zu den Zweifeln an seiner Geschichte. Er sagt, er habe gehört, dass die griechischen Behörden Flüchtlinge dazu drängen, ihre Aussagen über das angeblich tote Mädchen zurückzuziehen. t-online wollte auch mit der griechischen Regierung über das Thema sprechen. Bislang gab es keine Reaktion. Der "Spiegel" möchte seine internen Prüfungen im Dezember abschließen.

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