Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tücke bei der Cannabis-Freigabe Wer Marihuana kauft, macht sich strafbar
Die Cannabis-Legalisierung ist in Deutschland beschlossene Sache. Doch wer mit Cannabis in der Tasche kontrolliert wird, könnte aktuell theoretisch immer noch in Haft kommen.
Punkt Mitternacht gingen am 1. April 2024 vor dem Brandenburger Tor in Berlin die Feuerzeuge an: Tausende Menschen versammelten sich, um ihren ersten legalen Joint in Deutschland zu rauchen. Dabei hat die Teillegalisierung ein fundamentales Problem. Denn seit Anfang April darf man Cannabis zwar legal besitzen, bislang allerdings nicht legal kaufen. Im schlimmsten Fall kann dies sogar zu Gefängnisstrafen führen.
Sogenannte Anbauvereinigungen dürfen ab dem ersten Juli legal Cannabis an ihre Mitglieder verkaufen. Seit dem 1. April dürfen Deutsche privat bis zu drei Cannabis-Pflanzen anbauen, so sieht es das Gesetz (CanG) vor. "Aufgrund der erforderlichen Wachstums- und Trocknungsphase sind insoweit konsumfähige Erzeugnisse zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen", schreibt hierzu das Polizeipräsidium Freiburg auf Anfrage von t-online. (Theoretisch dürfte also in Deutschland noch niemand mit legalem Cannabis kiffen.)
Während der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis straffrei ist, bleibt der Verkauf an Dritte weiterhin genauso verboten, wie der Erwerb außerhalb der Anbauvereinigungen. Findet die Polizei bei einer Kontrolle zum jetzigen Zeitpunkt also Cannabis, kann die betroffene Person als Zeuge in einem Strafverfahren gegen Unbekannt geführt werden. Sie sind „Zeugen im Verfahren gegen die nicht bekannten, zweifellos illegalen Verkäufer. Diese Zeugen sind auch grundsätzlich zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet", so eine Sprecherin der Polizei Freiburg.
Was bedeutet es Zeuge zu sein?
Wer in Deutschland als Zeugin oder Zeuge geführt wird, ist dazu verpflichtet, vor Gericht wahrheitsgemäß und vollumfänglich auszusagen. Einzige Ausnahme: Der Zeuge ist mit der Angeklagten verwandt, verlobt oder verschwägert. Außerdem müssen keine Angaben gemacht werden, welche die Zeugen selbst belasten würden. Dann dürfen sich die Befragten auf das Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Wer als Zeuge falsche Angaben macht, dem droht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Im Falle einer Vereidigung sogar bis zu 15 Jahre.
Sollte sich ein Zeuge oder eine Zeugin dazu entscheiden, vor Gericht nicht aussagen zu wollen, kann dies weitreichende Folgen haben. Im schlimmsten Fall können die Behörden eine Erzwingungshaft angeordnet. Betroffenen drohen dann bis zu sechs Monate Haft, um die Herausgabe von Informationen über Beschuldigte zu erzwingen. Wie alle Maßnahmen der Ermittlungsbehörden ist auch diese an das Gebot der Verhältnismäßigkeit gebunden.
"Wenn feststeht, dass die Person das Cannabis innerhalb der legalen Besitzmengen von dem Dritten erworben hat, besteht jedoch grundsätzlich keine solche Gefahr", so ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums auf Anfrage. Illegal wäre es beispielsweise, wenn das Marihuana aus dem Ausland eingeführt worden wäre.
Cannabiskonsumgesetz stellt Kauf unter Strafe
Wirft man jedoch einen Blick in das Konsumcannabisgesetz (KCanG), heißt es unter § 2 (Umgang mit Cannabis): "Es ist verboten sich Cannabis zu verschaffen oder Cannabis zu erwerben oder entgegenzunehmen." Unter § 34 Abs. 11 heißt es dann weiter: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 2 Absatz 1 Nummer 11 sich Cannabis verschafft." Per Gesetz hätte also jeder das Recht sich auf das Aussageverweigerungsrecht zu berufen, da der Erwerb prinzipiell unter Strafe steht und sich Betroffene so selbst belasten würden.
Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Dirk Peglow, verwies am 24. März in einem Tagesschau-Interview jedoch darauf, dass die Herkunft des Cannabis nicht durch die Polizei überprüft werden müsse und die Polizei einer solchen Aufgabe auch nicht nachkommen wird. Darauf verwies auf Anfrage von t-online, Kai-Friedrich Niermann, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied von LEAP Deutschland.
Unbekannt ob es bisher zu Erzwingungshaft kam
Die Organisation sprach des Weiteren von einem "offensichtlichen Dilemma", in Hinblick auf die derzeit schwierige rechtliche Situation. LEAP steht für "Law Enforcement Against Prohibition Deutschland e.V.", einem Verein, der sich auf die "schädlichen Folgen der Drogenprohibition und des „Krieges gegen die Drogen” aufmerksam" macht. Alle Mitglieder haben "berufliche Erfahrungen in Strafverfolgungsbehörden oder auf dem Gebiet der Strafrechtspflege gesammelt."
Wie häufig es zu Erzwingungshaft in Verbindung mit Cannabisdelikten kommt, konnte bis zuletzt nicht beantwortet werden. Weder das Bundesministerium der Justiz, noch die Landeskriminalämter, noch den Polizeistellen liegen hierzu detaillierte Zahlen vor – das ergaben umfangreiche Anfragen. Lediglich aus dem Saarland konnte das Landeskriminalamt bekannt geben, dass es seit dem ersten April keine Erzwingungshaft in Verbindung mit einem möglichen Cannabisdelikt gegeben hat. Die Polizei Berlin teilte mit, dass bisher 44 Personen als Zeugen in diesem Zusammenhang erfasst wurden. Anfragen an die Landesjustizministerien warten derzeit noch auf Beantwortung.
- Anfragen an Landeskriminalämter, Bundeskriminalamt, Bundesministerium der Justiz, div. Polizeipräsidien und Staatsanwaltschaften
- bundesgesundheitsministerium.de: "Cannabisgesetz (CanG)"
- bussgeldkatalog.de: "Wann kann Erzwingungshaft in Deutschland angeordnet werden?"
- gesetze-im-internet.de: "§ 96 Anordnung von Erzwingungshaft"
- hilfe-info.de: "Was Zeugen dürfen, was Zeugen müssen"