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Ostern in West und Ost: Wie unterscheiden sich Deutschland und Russland?


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Ostern in West und Ost
Im deutschen Hühnerstall herrscht Chaos, Russland kennt nicht einmal Hasen

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 05.04.2021Lesedauer: 5 Min.
Ostern in Deutschland und Russland: Bemalte Eier gibt es in beiden Ländern, aber auch Unterschiede, schreibt Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Ostern in Deutschland und Russland: Bemalte Eier gibt es in beiden Ländern, aber auch Unterschiede, schreibt Wladimir Kaminer. (Quelle: Ventura69/Tana Chugunova/ITAR-TASS/getty-images-bilder)
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Der Osterhase versorgt uns mit bunten Eiern, in Russland müssen die Menschen das selbst erledigen. Einer, der es es wissen muss, beschreibt für t-online österliche Bräuche in West und Ost.

Wie unterscheiden sich die Ostertage in Russland und in Deutschland? Laufen die Russen auch dem Hasen hinterher, fragten mich meine Nachbarn in Berlin und wunderten sich, als ich ihnen erzähle, dass es in meiner Heimat keine Osterhasen gibt.

Es mag verrückt klingen, ist aber wahr: Die Russen haben die bunten Ostereier, sie werden aber nicht von Hasen gebracht, sondern in eigener Produktion hergestellt. Tatsächlich haben die Menschen in meiner Kindheit trotz ihrer kommunistischen Erziehung die Eier gefärbt und mit ihnen angestoßen. Der, dessen Ei als erstes kaputtging, hatte verloren.

Im Wald verschollen?

Auch haben sie Kuchen gebacken, keinen mageren deutschen Zupfkuchen, sondern richtig fett und süß, eine Quarkspeise mit Rosinen drauf. An einen Hasen, geschweige denn an Jesus, kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, es gab die beiden in der Sowjetunion gar nicht. Auch Osterspaziergänge, dieses leichtsinnige Umherirren im Wald, lag meinen Landsleuten keineswegs. Wenn sie spazieren gingen, dann verschwanden sie in der Regel für längere Zeit.

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit rund 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Am 19. April 2021 erscheint sein neuestes Buch "Der verlorene Sommer. Deutschland raucht auf dem Balkon".

Das hiesige deutsche Ostern habe ich erst in Berlin kennengelernt, als meine Kinder in den Kindergarten "Freche Früchtchen" gingen. Die Erzieherinnen stammten mehrheitlich aus Sachsen, deswegen konnten uns die Kinder schon bald im perfekten sächsischen Dialekt die ganze Wahrheit über den Osterhasen erzählen, der jedes Jahr pünktlich zum Osterfest zwei Dutzend Überraschungseier versteckte.

Und zwar immer an der gleichen Stelle, auf dem Kinderspielplatz neben dem Eingang in die Schrebergartenkolonie "Bornholmer Hütte". Irgendwo dort in den Hütten sollte der Hase nach der Version der sächsischen Erzieherinnen zwischen den Osterfeiertagen überwintern, um jedes Jahr schnell zur rechten Zeit seine Geschenke auf dem Spielplatz zu verstecken.

Die Kinder glaubten das. Die Schrebergartenkolonie kam ihnen damals wie der Dschungel Amazoniens vor, voller wilder Hasen. In Wahrheit war diese Kolonie alles andere als ein Dschungel, eher ein Musterbeispiel an deutscher Ordentlichkeit, das letzte Bollwerk des Spießbürgertums in einer sich ständig wandelnden Welt. Die Leute dort jagten die Mäuse mit Giftbeuteln und bestreuten die Schnecken mit Salz, damit sie sich qualvoll auflösten.

Der Osterhase hatte keine Chance

Einen Hasen, sollte er sich wirklich in der Schrebergartenkolonie verlaufen, hätten sie sofort gefangen und zum Bier gegrillt. Aber wir wollten die Kinder nicht enttäuschen und verschwiegen ihnen die schlichte Wahrheit. Je länger die jungen Seelen vor den Belanglosigkeiten der Welt geschützt bleiben, umso besser, dachten wir.

Die Kinder hatten keine Mühe, die Ostereier zu finden, mehrere Jahre gingen sie tagein, tagaus auf denselben Spielplatz, sie kannten alle infrage kommenden Verstecke im Umkreis von hundert Metern, einschließlich jener geheimen Baumhöhle, wo die Kiffer aus dem Gymnasium auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihr Grass versteckten. Der Osterhase konnte sich sonstwie anstrengen, innerhalb von fünf Minuten waren alle Eier gefunden und aufgegessen.

Später in der Schule gerieten meine Kinder in den katholischen Religionsunterricht. Ihre Mutter war der Meinung, sie müssten auch die harten Seiten des Lebens kennenlernen, ein wenig über die Religion erfahren, immerhin hat das Christentum unsere europäische Gesellschaft stark beeinflusst. Und wenn man wissen will, warum unsere Mitmenschen manchmal so komisch sind, muss man sich damit beschäftigen.

Die Mutter bestand also auf einem katholischen Unterricht für die Kinder, denn in ihren Augen war der Katholizismus die richtige religiöse Religion und nicht so larifari wie der Protestantismus. Der evangelische Pfarrer hatte selbst im Laufe eines Vorgespräches verkündet, dass er mit den Kindern nicht über Gott reden möchte, sondern nur über allgemein menschliche Werte, dass man seinen Nächsten achten und dessen Werte wenn nicht teilen, dann doch tolerieren solle. Das Fach Lebenskunde fand meine Frau dann ebenfalls zu lasch.

Hierarchie kam ins Rutschen

Also vertieften sich die Kinder in die Bibel und erfuhren eine alternative Ostergeschichte. Dort war der Hase nicht willkommen, Jesus trat an seine Stelle, mit seiner mitleiderregenden Geschichte qualvoller Tötung, einer späten Auferstehung mit abschließendem Verschwinden für zweitausend Jahre. Trotzdem warteten wir noch immer auf seine Wiederkehr.
Die Kinder suchten vergeblich nach dem Hasen in der Bibel.

Heute sind die Kinder längst erwachsen, wir haben mit den Ostereiern leichtes Spiel, wir leben in Brandenburg auf dem Land zusammen mit Hühnern und wissen von daher genau, wo man Eier suchen muss: Im Hühnerstall, wo sonst? Da kann uns der Hase nichts erzählen.

Nach einer Abmachung mit dem Nachbarn dürfen seine Hühner auf unserem Grundstück herumlaufen. Dafür bekommen wir eine Packung Eier pro Woche umsonst, zu Ostern sogar drei. Dieses Jahr hat er sich allerdings beschwert, die Hühner legten kaum noch. Ob wegen Corona oder der allgemeinen Verwahrlosung der Welt – jedenfalls ist die ganze Hierarchie durcheinandergekommen. Der alte weiße Hahn hat den Winter nicht überlebt: Er wurde geschlachtet.

Die "Eier der Freiheit"

Die zwei neuen Junghähne erwiesen sich als progressive Bestien. Sie hatten anscheinend beschlossen, den ganzen Hühnerstall gendergerecht umzugestalten.

Gemäß der alten Ordnung liefen die Hühner dem Hahn hinterher, der konnte mit ihnen machen, was er wollte. Die neuen Gockel haben anscheinend nichts mit der Vermehrung im Sinn, die Hühner ignorieren sie auch weitgehend, sie legen ihre Eier, wann und wo sie wollen. Die meisten tun sogar so, als würden sie an ihrer Existenz als Legehuhn zweifeln: Sie wollen nicht mit der Eierproduktion in Verbindung gebracht werden. Mein Nachbar nannte sie sexistisch "divers".

Diese "diversen Hühner" haben im Hühnerstall eine extra Stange für sich erobert, sie wollen nicht neben den anderen sitzen. Doch ab und zu legen auch sie und wundern sich dann, wie das passieren konnte. Die beiden Gockel haben sich zusammengetan, sie laufen die ganze Zeit nur einander hinterher. Der Nachbar ist ein Mann der alten Ordnung, er kann mit dieser Diversität und dem Genderfluid nichts anfangen. Alles fließt, überall, schimpfte er.

"Es wird sich schon trocknen", klärte ich ihn auf. Nicht umsonst hatte meine Tochter Gender Studies an der Uni belegt und mir ein Buch über das flüssige Geschlecht zum Lesen gegeben. Aus Solidarität mit der neuen, gerechteren Welt habe ich dem Nachbar gesagt, ich möchte zu Ostern nur die Eier von den diversen Hühnern bekommen, auch wenn es weniger sind und länger dauert, denn ihre Eier sind echte Eier der Freiheit.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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