Im Instrumentenkasten aus Japan? Die unglaubliche Flucht des Ex-Nissan-Managers
Als sich Carlos Ghosn am Montag aus dem Libanon meldete, war die Verblüffung groß, stand der verurteilte Ex-Nissan-Chef in Japan doch unter strengen Kautionsauflagen. Wie konnte ihm die Flucht gelingen?
Ein Kontrabass-Koffer, eine Gruppe falscher Musiker und jede Menge offener Fragen – die Flucht des ehemaligen Nissan-Chefs Carlos Ghosn aus Japan böte schon jetzt genug Stoff für eine Hollywood-Verfilmung. Derzeit arbeiten Ermittler in mehreren Ländern fieberhaft daran herauszufinden, wie die spektakuläre Nacht-und-Nebel-Aktion gelingen konnte.
In Tokio wurde am Donnerstag die Wohnung Ghosns durchsucht. In Istanbul, wo der Ex-Manager zwischengelandet war, verhörte die Polizei unter anderem vier Piloten. Der Libanon, wohin Ghosn flüchtete, teilte mit, der Ex-Automanager werde nun per Fahndungsaufruf von der internationalen Polizeiorganisation Interpol gesucht.
Die genauen Umstände der Flucht sind noch unklar. Laut türkischen Medienberichten landete am frühen Montagmorgen ein Privatjet aus Osaka auf dem Istanbuler Flughafen Atatürk, der von Fracht- und Privatmaschinen genutzt wird. 45 Minuten später hob demnach ein anderer Privatjet Richtung Beirut ab.
Flucht im Kontrabass-Koffer?
Die Polizei verhörte am Donnerstag in Istanbul sieben Verdächtige, wie die türkische Nachrichtenagentur DHA berichtete. Neben den Piloten seien dies ein Angestellter einer Frachtfluggesellschaft und zwei Mitarbeiter des Bodenpersonals.
Medienberichten zufolge könnte eine Gruppe Paramilitärs, die sich als Musiker verkleidet hatten, den Ex-Manager in einem Kontrabass-Koffer aus seinem Haus geschmuggelt haben. Der Ex-Automanager könnte allerdings auch mit diplomatischer Hilfe die Kontrollen umgangen haben.
In einem Statement widersprach Ghosn Spekulationen, seine Familie könnte in die Planung seiner Flucht verwickelt gewesen sein. "Es war ich ganz allein, der meine Ausreise organisiert hat", so Ghosn. Anderslautende Berichte seien unwahr. "Meine Familie hat keine Rolle gespielt."
Im Libanon ist sein Aufenthaltsort unbekannt. Der Ex-Manager besitzt ein Luxusanwesen in Beirut. Er hat die französische, die brasilianische und die libanesische Staatsangehörigkeit.
Japan beantragt Auslieferung – Libanon sieht keinen Grund
Die japanischen Fernsehsender zeigten am Donnerstag live, wie Ermittler in dunklen Anzügen die Wohnung Ghosns in Tokio betraten. Erwartet werde, dass sie die dort installierten Überwachungskameras auswerten, berichtete der Sender NHK. Die Polizei verdächtige "mehrere Personen", ihm "illegalerweise" bei der Flucht geholfen zu haben.
Japan beantragte bei Interpol eine sogenannte Rote Notiz zur Festnahme und Auslieferung Ghosns – das Schreiben traf am Donnerstagnachmittag im Libanon ein. Das Land hat aber kein Auslieferungsabkommen mit Japan. Die libanesische Regierung hat zudem bereits verlauten lassen, Ghosn sei "legal" eingereist – mit einem französischen Pass und einem libanesischen Personalausweis. Die Generalstaatsanwaltschaft erklärte, es gebe keinen Grund für eine juristische Verfolgung im Libanon.
Ghosn soll Firmengelder gestohlen haben
Ghosn war im November 2018 in Japan festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, Firmenkapital zweckentfremdet und private Verluste auf Nissan übertragen zu haben. Er selbst sprach von einer Verschwörung bei Nissan, um ihn loszuwerden. Grund sei, dass er Nissan noch näher an den französischen Autobauer Renault heranführen wollte.
Er saß rund vier Monate in Haft, war aber im Frühjahr unter strikten Auflagen aus der Haft entlassen worden. Ghosns Verteidiger hatten mehrfach versucht, ihren Mandanten gegen Zahlung einer Kaution frei zu bekommen. Sie scheiterten zunächst damit, weil die Staatsanwaltschaft Fluchtgefahr sah. Ghosn hatte eine Fluchtabsicht bestritten und erklärt, er wolle sich vor Gericht verantworten, um seine Unschuld zu beweisen. Seine Anwälte argumentierten zudem, er sei viel zu bekannt, um unerkannt das Land verlassen zu können.
Wie die Nachrichtenagentur AFP aus Ermittlerkreisen erfuhr, hatte Ghosn eine Sondergenehmigung eines japanischen Gerichts und trug seinen französischen Zweitpass in einer Art Etui bei sich, das durch einen nur seinen Anwälten bekannten Geheimcode verschlossen war. Da sich Ghosn innerhalb Japans relativ frei bewegen konnte, habe er diesen Pass als Nachweis für seinen Aufenthaltsstatus benötigt.
Für seine Ausreise aus Japan nutzte Ghosn diesen Pass aber offenbar nicht. Frankreichs Regierung erklärte, sie würde Ghosn nicht ausliefern, sollte er dorthin einreisen. "Wenn Monsieur Ghosn in Frankreich ankommt, werden wir ihn nicht ausliefern, weil Frankreich niemals seine Staatsbürger ausliefert", sagte Wirtschaftsstaatssekretärin Agnès Pannier-Runacher im Sender BFM.
- Nachrichtenagenturen AFP, dpa