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"Arschgeweih": Was ist aus dem "Lower-Back-Tattoo"-Trend geworden?


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Zweifelhafter Tattoo-Trend
"Ohne Ende weggelasert"


Aktualisiert am 28.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Eine Frau mit "Arschgeweih": Was ist aus dem Hype geworden?Vergrößern des Bildes
Eine Frau mit "Arschgeweih": Was ist aus dem Hype geworden? (Quelle: Christin Klose)
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Tattoos polarisieren – besonders gilt das für Motive am Steißbein, die in den 90er- und 2000er-Jahren boomten. Und wie steht es heute um den Hype?

Es war im Jahr '97, vielleicht auch '96 oder '98, so genau weiß Frauke das nicht mehr. Damals ließ sie sich ein "Lower-Back-Tattoo" stechen, besser bekannt als "Arschgeweih". Die Gelegenheit war günstig: Frauke kannte jemanden mit einer Tätowiermaschine, die Stelle am Steiß war frei – und versteckt. Das war ihr damals noch wichtig. Heute sagt die 44-Jährige aus Berlin: "Das waren die 90er. Die Einzige war ich damals nicht."

Tatsächlich war in den späten 90er- und Anfang der 2000er-Jahre das "Arschgeweih" ein beliebter Tattootrend. Das hatte auch mit der damaligen Mode zu tun: Bauchfreie Tops und tief sitzende Hosen zogen die Blicke auf den unteren Rücken. Den Höhepunkt erreichte der Körperschmuck, als die "Bild"-Zeitung 2004 das schönste "Arschgeweih" Deutschlands suchte.

"Bye, Bye Arschgeweih"

Wenig später geriet das auffällige Motiv allerdings zunehmend in Verruf: Die, die damit einst im Trend waren, ernteten nun spöttische Kommentare. Comedians machten sich darüber lustig und die Moderatorin Ina Müller sang "Bye, Bye Arschgeweih, ich geb' dich zum Lasern frei". Dann wurde es still um das besondere Tattoo.

Aber hat sich die Gesellschaft wirklich vom "Arschgeweih" verabschiedet – oder steht es womöglich vor einem Comeback? Blickt man sich im Schwimmbad oder in der Sauna um, scrollt man durch Instagram und TikTok, scheint es, als sei die Körperstelle gar nicht so verpönt wie angenommen. Inzwischen blitzen dem Eindruck nach auch bei jüngeren Menschen die Tattoos am unteren Rücken wieder öfter auf.

Auffällige Motive

Thomas Sembt, Betreiber eines Ärzte-Netzwerkes für Tattoos und Tattooentfernung und Leiter der AG Tattooentfernung im Bundesverband Tattoo e.V. (BVT), stellt im Gespräch mit t-online die Gegenfrage: "Ist das 'Arschgeweih' denn jemals ganz von der Bildfläche verschwunden?" Ihm zufolge gebe es in der Branche immer wieder Anfragen für Motive oberhalb des Pos. Wie viele genau, ist nicht bekannt.

Dass das "Arschgeweih" erst so beliebt und dann so umstritten wurde, liegt aber nicht nur an der Körperstelle, an der es platziert ist, sondern auch am gängigen Motiv: dem "Tribal", das an ein Hirschgeweih erinnert und dem Steißbeintattoo damals zum Synonym "Arschgeweih" verhalf. "Tribals" sind schwarze Muster und Ornamente, die auf uralte Völkerstämme zurückzuführen sind.

Manch einer mag beim "Arschgeweih" aber auch an Blumen, Schmetterlinge oder Sterne denken. Gemein haben alle Motive: Sie sind auffällig – und sorgen für den ein oder anderen Blick beim Freibadbesuch, am Strand oder, wenn eine tätowierte Person bauchfrei trägt.

Auch Stars tragen "Arschgeweihe"

Auch auf Social Media werden immer wieder Fotos von derartigen Tattoos gepostet; nicht zuletzt von Stars wie Miley Cyrus, die ihren Körperschmuck im Sommer 2021 stolz auf Instagram präsentierte.

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Den Rücken von Angelina Jolie ziert ebenfalls seit Jahren ein "Lower-Back-Tattoo". Verstecken? Fehlanzeige. Auf dem roten Teppich setzt die Schauspielerin oftmals auf rückenfreie Outfits, die ihr Tattoo in Szene setzen.

"Ich finde ein 'Arschgeweih' einfach cool"

Auch Meggy ist begeistert vom "Arschgeweih". Die 24-Jährige aus Rostock hat sich erst kürzlich eins stechen lassen, allerdings in abgewandelter Form: Ihren unteren Rücken schmückt kein "Tribal", sondern die ägyptische Göttin Isis. "Ich fand die Stelle schon länger schön, aber wusste kein Motiv. Als ich dann zufällig auf das jetzige Motiv gestoßen bin, war die Sache für mich klar", erzählt sie t-online. "Ich finde ein 'Arschgeweih' einfach cool."

Und wie reagieren Menschen in ihrem Umfeld auf das Tattoo? Einige seien irritiert, wenn sie ihnen von ihrem "Arschgeweih" erzählt, sagt Meggy. Aber sobald sie das Motiv zeige, seien die meisten begeistert – und erleichtert. Sie habe noch nichts Negatives darüber gehört. Sie bekomme aber mit, dass viele Menschen gegenüber einem klassischen "Tribal" Vorbehalte hätten. "Zuerst habe ich auch darüber nachgedacht, mir so was stechen zu lassen, aber die Ägypterin hat dann doch besser zu mir gepasst", sagt Meggy.

Unabhängig vom Motiv ist sich die 24-Jährige sicher: "Auf jeden Fall ist der Hype ums 'Arschgeweih' zurück!" Sie habe einige Freundinnen, die sich auch eins stechen lassen wollen, sie seien im gleichen Alter. Allgemein flammten die Trends aus den 2000ern wieder auf, findet Meggy. "Low-waist-Hosen, diese kleinen Westen, kleine Schals, bunte kleine Haarspangen, Blocksträhnen – da reiht sich für mich ein 'Arschgeweih' ein."

Lebt der Hype wirklich wieder auf?

Branchenkenner wie Thomas Sembt berichten davon, dass immer mal wieder Ornamental Tattoos, Mandalas oder Ähnliches oberhalb des Gesäßes gestochen würden. Aber ist das schon ein Wiederaufleben des alten Hypes? Profis sind uneins.

"Einen richtigen Trend sehe ich nicht wiederkommen", sagt etwa der österreichische Tätowierer Stephan aus Hohenems, Vorarlberg, t-online. Er tätowiere seit sieben Jahren und habe bisher nur drei Steißbein-"Tribals" gestochen – mal bunt, mal schwarz. Aber er habe auch schon zwei überdeckt.

Luisa, eine Tätowiererin aus Rostock, setzt dem entgegen: "Der Trend ist auf jeden Fall zurück." Insbesondere in den Großstädten sei es schon wieder mehr angekommen. Auf Instagram sehe man in den USA wieder viele "Tribal-Arschgeweihe", das sei in Deutschland noch nicht so sehr der Fall. Hierzulande seien die Motive sehr individuell.

Luisa tätowiert seit einem Jahr und hat bislang ein Tattoo über dem Gesäß gestochen. "Wir brauchen hier in Mecklenburg-Vorpommern wahrscheinlich wie immer ein bisschen länger, bis der Trend sich durchsetzt", sagt sie. Aber "Tribals" sehe man trotzdem wieder häufiger. Auch Luisa führt diese Entwicklung darauf zurück, dass der Style aus den 90ern und 2000ern insgesamt wieder zurückkomme. "Low-waist-Jeans sind wieder in, also kann man auch wieder 'Arschgeweihe' stechen – denn nun sieht man sie ja wieder. Bei High-waist-Jeans war das nicht möglich."

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"Auch sonst war es kein Meisterwerk"

Doch einige, die damals mit dem Trend gegangen sind, haben ihm inzwischen "Bye bye" gesagt. So auch Frauke: Sie ließ sich ihr Steißbeintattoo schon 2002 schwarz übertätowieren. Warum sie sich für diese Art der Kaschierung entschied, weiß sie heute auch nicht mehr. Nur eins stand damals fest: Das "Arschgeweih" musste weg.

Es sei von vorneherein recht groß gewesen, habe über die Hüfte hinaus fast bis zur Körperfront geragt, erzählt sie. "Auch sonst war es kein Meisterwerk." Die Seiten seien schief gewesen. Seit ein paar Jahren lässt sie die schwarze Fläche nun mit weißen Blumen verzieren. Bereut hat sie die Entscheidung für das "Arschgeweih" dennoch nicht. "Aber noch mal würde ich es nicht machen, zumindest nicht am Stück." Nach vier Stunden Tätowieren seien ihre Lymphknoten angeschwollen. "Das war zu viel", erinnert sie sich.

"Ohne Ende weggelasert"

Eine andere Möglichkeit, ein Tattoo verschwinden zu lassen, ist das Lasern. Auch davon machen manche Besitzerinnen und Besitzer eines "Lower-Back-Tattoos" Gebrauch. "Unsere Ärzte haben seit Anfang der 2000er 'Arschgeweihe' ohne Ende weggelasert", sagt Thomas Sembt. Konkrete Zahlen gibt es dazu nicht, aber damals hatte der 90er-Hype seinen vorläufigen Höhepunkt überschritten. Heute entfernen Sembts Laser-Ärzte hingegen eher Partner-Tattoos, Daten oder Namen und schaffen Platz für ganz neue Tattoo-Motive.

Generell gilt: Unabhängig vom Motiv steht die Mehrzahl der Tätowierten auch noch Jahre später zu ihrem Körperschmuck, laut einer aktuellen Umfrage des "Playboy"-Magazins 89 Prozent. Jeder dritte in Deutschland ist derselben Umfrage zufolge mindestens einmal tätowiert. 44 Prozent von ihnen sind in der Altersgruppe zwischen 18 und 45 Jahren.

"Die breite Masse möchte alles so fein wie möglich"

Der Trend zu Tattoos ist seit etlichen Jahren ungebrochen und inzwischen in vielen Bevölkerungsgruppen weit verbreitet. Zwischen 2009 und 2016 hätten sich auch viele Frauen und ältere Menschen für ihn geöffnet, stellte etwa die Psychologin Ada Borkenhagen in einer Studie von 2016 fest. Sie hätten damit zu einer Normalisierung beigetragen, sagte sie kürzlich der Deutschen Presse-Agentur. Borkenhagen forscht seit vielen Jahren zu Tattoos.

Was aber ist nun mit dem vermeintlichen Comeback des "Arschgeweihs"? Abschließend beantworten lässt sich die Frage nach einer möglichen Renaissance nicht. Fest steht nur: Die Motive haben sich verändert. Wo früher vermehrt dicke Stränge und tiefschwarze "Tribals" am unteren Rücken zu finden waren, sind inzwischen öfter auch filigrane Linien zu sehen. Tätowiererin Luisa erklärt: "Die Stilrichtungen sind sehr unterschiedlich, aber die breite Masse möchte alles so fein wie möglich."

Dazu passt, was Tattoo-Expertin Borkenhagen sagt: "Der Körper ist für viele junge Menschen heute eine Art Kunstwerk und Leinwand. Viele Tattoo-Willige suchen neue Motive und wollen sich von ihren Eltern unterscheiden" – von den Eltern, deren Rücken womöglich ein "Arschgeweih" ziert. Wie präsent das Steißbeintattoo in diesem Jahr wieder ist und wie genau es aussieht, wird wohl erst die Freibadsaison zeigen.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an den Bundesverband Tattoo e.V. (BVT)
  • Schriftliches Interview mit Tätowierer Stephan
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