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EU | Insekten in Lebensmitteln? "Ich kann den Ekel nicht nachvollziehen"


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Insekten in Lebensmitteln
"Ich kann den Ekel nicht nachvollziehen"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 31.01.2023Lesedauer: 5 Min.
Getrocknete Heuschrecken: Sie gehören zu den Klassikern in der Insektenküche.Vergrößern des Bildes
Getrocknete Heuschrecken: Sie gehören zu den Klassikern in der Insektenküche. (Quelle: imageBROKER/J. Pfeiffer/Imago)

Die EU erlaubt immer mehr Insekten in Lebensmitteln. Ist das Irrsinn – oder unsere Zukunft? t-online hat einen Insekten-Experten gefragt.

Andere haben in Videocalls Bücherregale oder den Strand als Hintergrundbild. Bei Heinrich Katz ist es die schwarze Soldatenfliege bei der Paarung. "Pornografie", sagt er, lacht und hält erst einmal einen kleinen Vortrag über Besonderheiten, wenn die Tiere sich fortpflanzen.

Katz züchtet in Brandenburg seit Jahrzehnten Insekten für Tierfutter und ist Gründungsmitglied eines Verbands, der sich in Brüssel dafür starkmacht, dass sie auch verstärkt in Lebensmitteln eingesetzt werden. Dabei haben er und seine Mitstreiter in den vergangenen Jahren zunehmend Erfolge zu verbuchen.

Denn erst waren es vor allem Wanderheuschrecken und Mehlkäfer, jetzt kommen auch Hausgrillen und Larven des Getreideschimmelkäfers hinzu: Immer mehr Insekten dürfen in unseren Lebensmitteln landen. Und das in Teigwaren, Suppen, Soßen, Fleischersatzprodukten – ganz alltäglichen Produkten also.

Wie werden die Tiere gehalten? Welche Rolle werden sie in Zukunft spielen? Und kann das unsere Welt verändern? Ein Gespräch mit dem Insekten-Experten Katz über Ängste, Schlachtformen und eine Wette, die er gerne verlieren würde.

Heinrich Katz: Er arbeitet seit 30 Jahren mit Insekten.
Heinrich Katz: Er arbeitet seit fast 20 Jahren mit Insekten. (Quelle: Privat)

Zur Person

Heinrich Katz, 64 Jahre alt, ist ein Pionier in der Arbeit mit Insekten: Seit 2006 stellt sein Unternehmen Hermetia in Brandenburg aus Insekten Futtermittel für Tiere her. Wichtigstes Tier dabei: die schwarze Soldatenfliege. Katz ist außerdem Gründungsmitglied und Schatzmeister des Lobbyverbands International Platform of Insects for Food and Feed (IPIFF), der unter anderem in Brüssel für Insekten in Lebensmitteln wirbt.

t-online: Herr Katz, wie schmeckt eine Grille?

Heinrich Katz: Grillen schmecken etwas nussig, die Konsistenz ist ganz fest. Wie Kartoffelchips mit Eigengeschmack. Es kommt bei Insekten aber sehr auf die Zubereitung an. Das ist ganz ähnlich wie beim Fleisch. Das eigentliche Protein schmeckt nach nichts, das Braten, die Gewürze und das Fett sind entscheidend.

Viele Leute ekelt die Vorstellung, Insekten zu essen.

Natürlich haben viele Bilder wie im "Tatort" im Kopf: Da liegt eine Leiche und drüber krabbeln lauter Insekten. Aber so funktioniert eben die Natur! Und die hat Filter eingebaut, damit das, was gefährlich für uns ist, nicht bei uns ankommt. Ich kann den Ekel nicht nachvollziehen. Wir essen ja ständig indirekt Insekten. Frei laufende Hühner picken Insekten, nehmen das Protein auf, wir wiederum essen dann das Huhn. Insekten sind außerdem aus denselben Molekülen zusammengesetzt wie Gemüse, Milch oder Tierfleisch. Da gibt es kaum einen Unterschied.

Also birgt es gar keine Risiken, Insekten zu essen?

Für die meisten Menschen: nein. Nur wer allergisch auf Schalen- oder Krustentiere ist, sollte aufpassen. Experten warnen, dass diese Menschen auch auf Insekten allergisch reagieren könnten. Dazu laufen derzeit noch Untersuchungen.

In der Massentierhaltung ist die starke Verwendung von Antibiotika ein Problem. Werden bei Insekten auch Medikamente eingesetzt, um sie in Massen halten zu können?

Nein, wir setzen die bei unseren Tieren auf jeden Fall nicht ein. Die schwarze Soldatenfliege ist so robust, dass das nicht nötig ist.

Gilt das für alle Insektenarten?

Es gibt eine Million bekannte Insektenarten - und da gibt es gewaltige Unterschiede. Aber um eine Zulassung zu erhalten, muss immer sichergestellt werden, dass es ein sicheres Lebensmittel ist. Entsprechende Prozessschritte sind durchzuführen. Ich würde ohne Bedenken jedes so zugelassene Insekt essen.

Was füttert man den Insekten?

Viel vegetarische Substrate, Milch- und Eiprodukte. Keine Speisereste, keine Lebensmittel mit Fisch- und Fleischbestandteilen – und Fäkalien sind streng verboten.

Wie werden die Tiere gehalten?

Das unterscheidet sich stark von Art zu Art. Manche Arten sind sehr robust, die werden in Bioreaktoren aufgezogen und gemästet. Andere, wie Grillen, sind sensibler. Da gibt es hohe Hygieneanforderungen, es braucht Schleusen und spezielle Anzüge für Angestellte, um keine Keime einzuschleppen.

Und wie werden sie getötet?

Auch da gibt es mehrere Methoden: einfrieren zum Beispiel, blanchieren oder eine Hochfrequenztechnik wie in der Mikrowelle. Wir töten unsere Fliegen in heißem Wasser ab, da sind sie in unter einer Sekunde tot. Danach werden sie mit Heißluft getrocknet und dann in einer Schneckenpresse entfettet. Alternativ können die Larven zerkleinert, aufgekocht und dann durch eine Zentrifuge geschickt werden. Es gibt aber viele Methoden – und es wird noch viel entwickelt. Wir sind schließlich noch eine sehr junge Branche.

Insekten in Lebensmitteln sind aber nicht erst jetzt, sondern schon viel länger erlaubt. In welchen Lebensmitteln sind sie heute eh schon drin?

Es gibt Riegel und Meat Balls mit Insekten. Die wurden zeitweise auch im Supermarkt angeboten. Aber die Produkte waren teuer, viele Kunden haben sie mal aus Neugier gekauft – das war's dann. So sind sie im Regal immer weiter nach hinten gerutscht und schließlich ganz verschwunden.

Die EU erlaubt einen bestimmten Anteil Insektenpulver auch in Backwaren, Soßen, Schokolade, Nudeln und anderen Produkten. Karminrot, ein Farbstoff aus ausgekochten und zerquetschten Scharlachschildläusen, soll zum Beispiel auch in M&M's, Trollis und Mentos verwendet werden.

Die EU hat nun Mehl aus Grillen und Schimmelkäfern zugelassen, das hat damit nichts zu tun. Dieser rote Farbstoff wurde und wird vor allem in der Kosmetik eingesetzt – zum Beispiel in roten Lippenstiften. Wo und warum er in Lebensmitteln verwendet wird, weiß ich nicht. Aus meiner Sicht macht das wenig Sinn. Insekten sind teuer und haben geschmacklich gesehen keinen Vorteil.

Für den Fall, dass sich das ändert, fordern Verbraucherschützer schon jetzt eine deutlichere Kennzeichnung auf den Produkten. Zum Beispiel: "Brötchen mit Insektenpulver" auf der Front.

Dann müssten auch andere, viel ungesündere Bestandteile groß gekennzeichnet werden – zum Beispiel Zucker oder Fett. Sollten Insekten in einem Produkt enthalten sein, müssen sie schon jetzt wie alle anderen Zusätze aufgelistet werden. Das genügt, finde ich. Sie sind ja nicht gefährlich.

Was würde es der Welt bringen, wenn wir verstärkt Insekten essen würden?

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In Europa importieren wir zurzeit 78 Prozent des Proteinbedarfs – zum Beispiel durch Soja oder Fischmehl. In Südamerika und Asien werden für die Anbauflächen ganze Wälder abgeholzt. Insekten könnten das zumindest teilweise ersetzen.

Warum nur teilweise?

Soja ist extrem billig, das kostet 500 Euro die Tonne. Da kommen Insekten nicht heran, die kosten mindestens das Fünffache, selbst wenn sie hierzulande hergestellt werden. Und stabile Lebensmittelpreise sind wichtig. Stellen Sie sich vor, die wären so stark gestiegen wie die Kosten für Gas im vergangenen Jahr. Das wäre ein riesiges Problem und hätte viele, viele Menschen in Hunger gestürzt.

Könnten Insekten den Klimawandel stoppen?

Sie können dazu einen kleinen Teil beisteuern, aber werden nicht die alleinige Lösung sein. Da müssen wir die Kirche im Dorf lassen.

Würden Sie deutschen Landwirten vor dem Hintergrund empfehlen, jetzt umzusteigen: von Kuh und Schwein auf Fliege und Grille?

Ich bekomme im Schnitt drei Anrufe pro Woche von Landwirten, die fragen: Wir würden gerne umstellen, kannst du uns helfen? Aber das macht nicht immer Sinn, es kommt sehr auf den Einzelfall an. Welche Vorbedingungen herrschen auf dem Hof, welche Erlaubnisse hat der Landwirt schon? Das ist stark davon abhängig.

Welche Prognosen gibt es für den Insekten-Markt, wie viel Geld schlummert darin?

Meine Kollegen träumen davon, dass sie Insekten dahin bringen, wo Sushi heute ist. Meine Eltern hätten nie rohen Fisch gegessen, ich esse das heute gerne. Es ist ein Nischenprodukt – aber sehr gut etabliert. Da wollen auch meine Kollegen hin. Ich wette noch dagegen, ich kann mir das für Europa nicht vorstellen. Aber ich hoffe, dass ich diese Wetten verliere. Das wäre mir die paar Flaschen Schampus wert.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Heinrich Katz
  • Mit Material von dpa
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