US-Wahlkampf Dagegen ist Trump machtlos
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Amerika wählt, wir fiebern mit. Unser Kolumnist weiß nicht, ob Trump gewinnt oder Harris. Aber er ist davon überzeugt, dass am Ende die Demokratie obsiegt – auch wenn sich der Wahlkampf wie ein Bürgerkrieg mit Worten anfühlt.
Hat Sie auch das Fieber des Wahlkampfs befallen? Unsere Medien sind jedenfalls schwer infiziert: Trump oder Harris? Harris oder Trump? Egal, wo Sie Nachrichten lesen, hören oder sehen, ob im Fernsehen, in der Zeitung, im Internet, auf Instagram oder Facebook, es ist das Thema dieses Sommers. Sie wissen sicher längst, dass Barbra Streisand Kamala Harris für eine gute Präsidentin hält, Katy Perry auch, überhaupt alle Celebrities. Sie wissen auch, dass Donald Trump seine Konkurrentin für dumm hält, dumm wie ein Stein. Harris hält Trump für einen Kriminellen und eine Gefahr für die Demokratie. Beide finden, es sei jetzt wichtig, das gespaltene Land zu einen.
This land is your land, this land is my land, this land was made for you and me.
Woody Guthrie
Interessiert Sie meine Meinung über den Ausgang der Wahl? Nicht wirklich, oder? Denn: Ich weiß es nicht. Ich weiß ziemlich genau, wie dieses Duell entschieden würde, wenn die Wähler in Rheinland-Pfalz und in Berlin vor die Alternative Trump vs. Harris gestellt würden: zwei Drittel für Harris, mindestens. Aber das Duell wird in Wisconsin und in Georgia entschieden, nicht in deutschen Bundesländern. Auch nicht in Hollywood, wo mutmaßlich schon daran gearbeitet wird, das Denkmal der vier Präsidenten (Washington, Jefferson, Roosevelt, Lincoln) um die erste Frau im Weißen Haus zu erweitern: #KamalaForMountRushmore! Im Moment habe ich den Hashtag noch exklusiv, aber das kann sich schnell ändern.
Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".
Bemerkenswert finde ich, dass ausgerechnet in deutschen Medien so viele glasklare Analysen zu lesen sind: warum Trump unschlagbar geworden ist, nachdem er in Milwaukee die Kugel mit dem rechten Ohr abgefangen hat; oder warum er, der Straftäter, gegen sie, die ehemalige Staatsanwältin, definitiv nicht gewinnen kann; dass die Zeit reif ist für eine schwarze Präsidentin; dass die Zeit einfach nicht reif ist für eine schwarze Präsidentin. Aus den Tiefen unserer Lokalpresse tauchen versierte Amerika-Experten auf, die mir genau erklären können, wie es um die Befindlichkeit der schwarzen Wähler in Detroit oder der weißen Mittelschicht in Cleveland bestellt ist. Ich hoffe, die Kollegen kennen sich in ihrer eigenen Kleinstadt auch so gut aus.
Wahlergebnisse sind in den Vereinigten Staaten ja schon grundsätzlich schwer zu prognostizieren. Weil oft ein paar Tausend Stimmen darüber entscheiden, ob die Wahlmänner (und -frauen) eines Bundesstaates an die Republikaner oder an die Demokraten fallen. Auch die Fernsehbilder täuschen: Wir sehen eine jubelnde Masse, für die Trump der Heilsbringer ist. Und eine Menschenmenge, die Harris wie einen Popstar feiert. Das sind Randgruppen. Was ist mit denen, die Trump zu wüst finden, aber Harris zu links? Viele Frauen unterstützen die Haltung der Demokratin für ein liberales Abtreibungsrecht, finden aber Trumps Mauer gegen Migranten auch gut. Wen werden sie wählen? Amerika ist nicht das Land der Parteien, sondern das Land der Individualisten.
I'm not a Christian and I'm not a Jew, I'm just living out the American dream.
Madonna
In diesem Wahlkampf kommt etwas Außergewöhnliches hinzu: Das Betriebssystem von Washington, D.C. ist abgestürzt, und das gleich mehrfach in kurzer Zeit. Das erste Mal, als in der TV-Diskussion das ganze Drama um Joe Biden offensichtlich wurde: Im Weißen Haus regiert ein Präsident, der schwere altersbedingte Ausfallerscheinungen hat. Das zweite Mal, als Donald Trump buchstäblich um Haaresbreite dem Tod entging – und sich in der unmittelbaren Gefahrensituation als viriler Instinktpolitiker in Siegerpose präsentierte: "Fight! Fight! Fight!" Das dritte Mal, als ein gebrochener Präsident Biden auf der Plattform X seinen Verzicht auf die Kandidatur ankündigte – und Kamala Harris als seine Nachfolgerin nominierte.
Jedes einzelne dieser Ereignisse hat das Potenzial, den Kampf ums Weiße Haus zu entscheiden. Zusammen genommen entsteht daraus eine unübersichtliche, ja chaotische Lage. In der US-Politik spielen die Spindoktoren eine wichtige Rolle – Leute, die hinter den Kulissen arbeiten und der Realität jenen Dreh geben, der ihrer Sache nützt. Ihre Botschaften lauteten bisher: Doch, Joe Biden ist fit, vor dem TV-Duell hat er nur zu wenig geschlafen. Oder: Joe Biden hält keine zweite Amtszeit durch. Alte Geschichten, die niemand mehr hören will. Die neuen werden gerade erst geschrieben.
And don't speak too soon, for the wheel's still in spin. For the times they are a-changin'.
Bob Dylan
Auch die Meinungsforscher sind verunsichert. Sie haben viel Zeit und Geld investiert, um herauszufinden, wie das Duell der alten Männer in jedem einzelnen der berühmt-berüchtigten Swing States ausgehen würde. Jetzt können sie ihre wertlos gewordenen Dateien nur noch in den Papierkorb verschieben. Sie müssen wieder bei null anfangen: Trump gegen Harris in Michigan, Harris gegen Trump in Ohio … Es wird ein paar Wochen dauern, bis die Demoskopie ein verlässliches Bild der politischen Stimmung liefern kann.
Donald Trump hat zwei widersprüchliche Aussagen über seine neue Konkurrentin gemacht. Einerseits: Sie sei besonders leicht zu schlagen – wer wählt schon eine verrückte, ultraliberale Linksradikale? Andererseits geißelte er den "Betrug" der Demokraten, so kurz vor der Wahl seinen Lieblingsgegner aus dem Rennen zu nehmen. Für seine Kampagne ist das tatsächlich eine mittlere Katastrophe: Viele Millionen Dollar sind bereits ausgegeben für Anti-Biden-Kacheln auf Instagram, Anti-Biden-Videos auf TikTok, Anti-Biden-Spots in den großen Fernsehsendern – alles Fehlinvestitionen. Natürlich geht es den Demokraten nicht anders, die können ihr Joe-Biden-Merchandising auch nur noch in die Tonne treten. Sie reden aber nicht darüber. Sie veröffentlichen stattdessen voller Stolz immer neue Spendenrekorde für die Harris-Kampagne. Stolz ist ein sehr amerikanisches Gefühl.
I live in America. Say it loud, it'll make you proud.
James Brown
Donald Trump und Kamala Harris haben bei allen Gegensätzen zwar nicht eine gemeinsame, aber doch eine gleichlautende Botschaft: Es geht am 5. November um alles – um das Land und um die Demokratie. Ihr Verständnis von Demokratie ist allerdings nicht deckungsgleich. Harris versteht darunter die Herrschaft der Demokratischen Partei, Trump die Herrschaft Trumps. Diese Meinungsverschiedenheit tragen sie in einer Art verbalem Bürgerkrieg aus. Nein, nicht nur Trump, von dem sind wir das gewohnt. Schon der erste TV-Spot von Kamala Harris setzt auf den groben Klotz einen groben Keil. Die pathetisch inszenierte Botschaft: entweder Trump, also Chaos und Hass und Angst. Oder Harris, also Freiheit und Demokratie. Im Hintergrund dazu eine Pop-Ballade von Beyoncé.
Singin' freedom! Freedom! Where are you? 'Cause I need freedom, too.
Beyoncé
Aus den verbalen Entgleisungen und der melodramatischen Überhöhung der Wahlentscheidung schließen viele Kommentatoren, die US-Demokratie stehe tatsächlich am Abgrund. Manche sind ernsthaft besorgt, andere schreiben das mit einem wohligen Schaudern: War doch schon immer klar, dass der amerikanische Kulturimperialismus und die kapitalistische Silicon-Valley-Dekadenz irgendwann kollabieren würden.
Sie können mich für naiv halten, aber ich glaube das nicht. Egal, ob die Amerikaner Harris oder Trump wählen, egal, wie viel rhetorisches Gift in den verbleibenden 98 Tagen noch verspritzt wird – am Wahltag wird sich zeigen, dass die demokratischen Institutionen der USA grundsolide sind. Die Liedzeilen buchstäblich diverser Interpreten, die ich über den Text verteilt habe, künden von der Solidität des amerikanischen Systems.
Ja, Trump hat schon einmal versucht, sich im Oval Office für unabkömmlich zu erklären. Die Szenen, die er provozierte, der Sturm auf das Capitol: eine Schande. Aber dann wurde ihm klargemacht, dass seine Zeit vorbei war und kein Kandidat selbst entscheiden kann, ob er gewonnen hat. Das wäre beim zweiten Mal nicht anders.
Ist es nicht gerade dieser urdemokratische Prozess, der auch uns ins Wahlkampffieber versetzt? Eine Weltmacht sucht sich ihren Präsidenten oder ihre Präsidentin. One man, one vote. One woman, one vote. In der anderen Weltmacht, also in China, entscheidet darüber das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. In der ehemaligen Weltmacht Russland entscheidet Wladimir Putin, der Möchtegern-Zar. In Amerika entscheiden die Amerikaner. In diesem Sinne: Keep on rockin' in the free world! (Neil Young)
- Eigene Überlegungen und das eigene Plattenregal