Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Folgen der Europawahl Zumindest einer bemüht sich
Der Ansehensverlust der Bundesregierung und des Kanzlers ist niederschmetternd. Wer als Nachfolger infrage kommt, liegt auf der Hand.
Es gibt schon länger gute Gründe, darüber nachzudenken, ob Olaf Scholz noch der richtige Kanzler ist. Ist er nicht, wenn man bedenkt, dass nur noch 23 Prozent aller Deutschen ihm Vertrauen schenken, was im Umkehrschluss bedeutet, dass 77 Prozent ihm nicht mehr vertrauen. Auf dieser Grundlage kommt das Urteil Sigmar Gabriels zustande, dass die Deutschen mit dieser Regierung durch sind. Ja, schon wahr, er ist kein besonders guter Kronzeuge der Anklage, aber Gabriel dampfplaudert aus, was andere Sozialdemokraten nicht mehr besonders klammheimlich denken.
Auch wenn man mit Prognosen über die Ampel vorsichtig sein muss, lässt sich doch zweierlei feststellen: Die Diskussion über die Tauglichkeit des Olaf Scholz zum Kanzler ist, erstens, eröffnet. Zweitens wäre die Änderung des Binnenklimas im Dreier-Bündnis eine Sensation, wie Schottland als Fußball-Europameister.
Was Olaf Scholz angeht, muss man der Wahrheit die Ehre geben und ihm zugestehen, dass er mit einer Partei geschlagen ist, die nicht weiß, was sie wollen soll. Die Ambivalenz in geschichtsträchtigen Weltlagen ist ja eigentlich der Normalzustand der SPD. Zur Gestalt geworden ist sie in ihrem Vorsitzenden Lars Klingbeil, einem sympathischen Menschen, der so schmerzlich an den vielen Niederlagen leidet, dass man versucht ist, ihm Trost zu spenden.
Das Problem des Bundeskanzlers
Das Problem liegt darin, dass Scholz auch nicht weiß, was er wollen soll. Zeitenwende-Kanzler und Friedenskanzler geht eben nicht zusammen. Sozialstaatsausbaukanzler und Bundeswehraufbaukanzler auch nicht. Er ist so vieles und nichts davon richtig. Er ist gut im Ignorieren von öffentlichen Empörungswellen und schlecht darin, Prioritäten nicht nur zu setzen, sondern auch daran festzuhalten.
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Sozialdemokratische Bundeskanzler kamen immer irgendwann in die Notlage, gegen die Parteiräson zu verstoßen, weil es um Größeres ging. Bei Helmut Schmidt war es der Nato-Doppelbeschluss, bei Gerhard Schröder die Agenda 2010. Hätte sich Olaf Scholz darauf konzentriert, die Zeitenwende nicht nur auszurufen, sondern auch durchzusetzen, wäre er zwar mit seiner Partei über Kreuz gekommen, stünde aber heute als der Kanzler da, der seinem richtigen Reden die richtigen Taten folgen lässt.
Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
So aber werden ab jetzt ein paar unangenehme Fragen gestellt werden. Wie lange kann Olaf Scholz Kanzler bleiben? Wer folgt ihm? Von heute an tickt die Uhr. Drei Niederlagen bei den ostdeutschen September-Wahlen dürfte er kaum im Kanzleramt überleben.
Wackelt Scholz' Stuhl als SPD-Kanzlerkandidat?
Eine sinnreiche Episode spielte sich übrigens vor kurzem ab. Da ließ Franz Müntefering, das sozialdemokratische Lebenskunstwerk, wie zufällig die Bemerkung fallen, dass parteiintern "noch nicht beantwortet" sei, wer als Spitzenkandidat bei der nächsten Bundestagswahl aufgestellt werde. Müntefering ist zugegeben ein älterer Herr, aber auch ein Kenner der Seele seiner Partei.
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Die Reaktion des Kanzlers ließ nicht lange auf sich warten. Nicht zufällig tötete Olaf Scholz kurz darauf wie nebenbei die Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Mehr dazu lesen Sie hier. Damit machte er Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der ihm an Beliebtheit enteilt ist und händeringend mehr Soldaten braucht, einen Kopf kürzer. So banal geht es zu, wenn die Macht bröckelt. So viel auch zur Zeitenwende für die Bundeswehr.
Noch mal: Wer ist der Kanzler und was will er? Hält er es für möglich, dass Wladimir Putin in ein paar Jahren zum Beispiel im Baltikum fortsetzt, was er in der Ukraine begonnen hat? Und was folgt für Deutschland und die Nato daraus?
Der Anfang vom Ende der Ampel?
Zufällig gibt es einen Sozialdemokraten, der diese Fragen stellt und sich um Antworten bemüht. Das ist Boris Pistorius. Wahrscheinlich hat er sich überlegt, ob er zurücktreten sollte, als ihn der Kanzler brüskierte. Seit gestern gibt es mindestens einen Grund weniger.
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) fordert die Bundesregierung erstaunlich milde dazu auf, den Kurs zu wechseln. Geht das überhaupt noch? Ich finde, wer noch nicht den Glauben verloren hat, dass sich Scholz samt Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) zur Abwechslung zusammenraufen, sodass eine Regierung regiert, die den Namen verdient, ist für sein Durchhaltevermögen zu bewundern.
Vielleicht ist es für eine Veränderung des Binnenverhältnisses ohnehin schon zu spät. Die Grünen sind offenbar verhasst, wie sich an der Europawahl ablesen lässt. Die FDP sackt ab in die Bedeutungslosigkeit und die SPD marginalisiert sich. Die Stärke der AfD ist die Schwäche der Ampel. Und die CDU hat nur scheinbar ein gutes Wahlergebnis erreicht.
Das ist der machtvolle Trend, für den diese Bundesregierung mitverantwortlich ist. Der Sog, der so entsteht, dürfte den Kanzler mit sich reißen, wenn nicht die ganze Ampel.
- Eigene Beobachtungen