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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Bundestagswahl: Darum stagnieren die Umfragen nach Ampel-Aus


Countdown zur Bundestagswahl
Nur noch Verzweiflung

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

16.01.2025 - 08:47 UhrLesedauer: 4 Min.
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Vier Gesichter, aber kein Trend: Die Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, Olaf Scholz, Robert Habeck und Alice Weidel (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON/imago)
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Vorgezogene Bundestagswahl 2025: viel Geschrei und wenig Bewegung. Warum sind die Umfragen wie betoniert, wenn das Land doch erlöst aufseufzte beim Ampel-Aus?

Wie unter Packeis liegt die politische Landschaft. Seit Wochen regt sich kein Lüftchen, keine Bewegung, nirgends. Schon gar keine echte Richtung. Die Umfragen haben sich vor und nach dem großen Knall des Ampel-Aus kaum verändert. Das ist erstaunlich, überraschend und verstörend.

Keine Bundesregierung, an die ich mich zurückerinnern kann, war so unten durch wie jene von Olaf Scholz nach nur drei Jahren. Bei Helmut Kohl hatte sich nach anderthalb Jahrzehnten eine Art Überdruss an seiner Person und seiner Bräsigkeit eingestellt. Er verglomm daher eher still und leise. "Danke, Helmut, es reicht", war in dieser Logik der freundlich-tödliche Slogan, mit dem ihn Gerhard Schröder schließlich beiseite schubste wie auf einer Parkbank. Es war ein gleitender Übergang.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.

Das Ende der Ampel dagegen: Disruption. Warum aber verwandelt sich diese zerstörerische Kraft nicht in eine schöpferische? Warum wachsen die Prozente nicht in gleichem Maße bei einer anderen Machtoption an, wie sie bei der Ampel geschwunden sind? Die Ampel ist tot, es lebe die nächste Regierung? Nichts davon.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber nie war die Verzweiflung über die Wahlentscheidung in meinem Bekanntenkreis so groß wie in diesen Tagen und Wochen. Kaum jemand ist so richtig aus tiefstem Herzen auf eine Partei festgelegt. Die große Mehrheit taumelt Tag für Tag von einem "In Gottes Namen, dann halt …" in die nächste Unentschlossenheit.

Vor allem die Union muss sich die Frage nach der Ursache dieses seltsam Diffusen gefallen lassen. Und vor allem: selbst stellen. An der Oberfläche bieten sich Erklärungen an, die sich an ihrem Kanzlerkandidaten festmachen. Und ja, Friedrich Merz hat nicht das Charisma, die Anziehungskraft als Person, wie sie Gerhard Schröder hatte und in diesen Tagen Robert Habeck bei einem nicht unerheblichen Teil der Wählerschaft hat. Aber er steht in den Rankings der persönlichen Beliebtheit wiederum nicht so abgeschlagen da, dass das als Erklärung ausreichte. Sondern inmitten der andern.

Wechselspiel von These und Antithese

Zu den Reserven seiner Person gegenüber (ein Mann von gestern, keine Regierungserfahrung, Privatflieger) gesellt sich die Performance einer Zwillings-Partei im permanenten Wechselspiel von These und Antithese. Die regiert zum einen in Bayern und zum anderen vor allem in Schleswig-Holstein. Daniel Günther und Markus Söder machen jede Woche aufs Neue klar, dass es nur ein ganz dünner Firnis der Einigkeit ist, den Merz in der Nach-Merkel-Ära über die Union gelegt hat.

Das hat Gründe in den Persönlichkeiten, vor allem jener Markus Söders, der es einfach nicht aushält als Nummer zwei. Und dessen Aussage: "Du kannst Dich auf mich verlassen, Friedrich!" tatsächlich nur eines bedeutet: Ich werde Dich genauso quälen und piesacken wie seinerzeit Armin Laschet. Ich kann gar nicht anders.

Nur wer von sich selbst begeistert ist, kann auch andere begeistern. Diesen zutreffenden Satz hat Oskar Lafontaine einmal in einen Parteitagssaal in Mannheim gerufen, nachdem er den glücklosen Rudolf Scharping weggeputscht hatte. Die Union ist nicht von sich begeistert. Sie hat sich mit sich und ihrem Kanzlerkandidaten irgendwie arrangiert. Mehr nicht. Und deshalb springt da auch nichts über.

Die reine Addition ergibt keine Koalition

Wenn man alle Prozentpunkte der Umfragen auf der rechten Seite bis zur Mitte hin addiert, dann ist erkennbar, dass sich eine deutliche Mehrheit eine Politikwende hin zum Konservativ-Bürgerlichen, teilweise Reaktionären wünscht. Diese Addition ergibt aber keine Koalition. Weil die Union aus gutem Grund ein Bündnis mit der AfD ausschließt. Spätestens am vergangenen Wochenende hat Alice Weidel klargemacht: Das muss auch für lange Zeit, vermutlich für immer so bleiben. Wer sagt, "wenn wir am Ruder sind", dann gibt es Remigration, dann schmeißen wir die Gender-Profs aus den Unis, dann reißen wir die "Windmühlen der Schande" nieder, der (oder die) spielt auf dem Nazi-Klavier. Dieses dräuende "wartet nur ab" ist Nazisprech von vor 1933. Angekündigte "Säuberung" im SA-Ton.

Von Remigration (wiewohl ursprünglich ein unbescholtenes Wissenschaftswort) ist es nicht weit bis Deportation. Das Wort ist so abgrundtief zynisch und perfide wie die Lingua Tertii Imperii, die Sprache des sogenannten Dritten Reiches, die Victor Klemperer in seinem gleichnamigen Buch brillant dechiffriert hat. Es dreht die Aktion um und tut so, als sei es einfach das Gleiche in anderer Richtung. Dabei ist es das Gegenteil. Von einer aktiven Migration aus eigenem Antrieb auf der Suche nach einem besseren Leben zu einer Remigration, die man erleidet. Weidel weiß auch genau, wie ihr Bruder im Geiste, Björn Höcke, der seinerzeit über das Stelenfeld vom "Denkmal der Schande" sprach, was jetzt in ihren Windmühlen der Schande widerhallt. Nur das und sonst nichts ist das Motiv dieser ebenso hysterischen wie sinnfreien Übersteigerung.

Eine wenig lustvolle Vorstellung

Weil sich obendrein die FDP mit ihrem Gelüge über das D-Day-Paper für weite Teile der liberal-konservativen Wählerschaft unmöglich gemacht hat, reicht es realistisch hinten und vorn nicht für den konservativen und wirtschaftsliberalen Politikwechsel. Also wird die CDU am Ende dann doch mit der SPD oder den Grünen gemeinsame Sache machen müssen. Eine wenig libidinöse Vorstellung für die Klientel, die den Wechsel will. Still und starr ruht daher der See, wie im Weihnachtslied über die Vorfreude auf Heiligabend, die sich bei dieser Bundestagswahl nirgends so recht einstellen möchte. Weil das Christkind, der Erlöser, in diesem Fall nicht bald kommt, wie allen schwant.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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