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Migration: Sind Grenzkontrollen nach der EM sinnvoll? | Kommentar


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Illegale Migration
Jetzt amtlich: Merkels größter Irrtum

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 01.08.2024Lesedauer: 4 Min.
Flüchtlinge im Herbst 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze. Aus historischer Sicht lohnt sich Migration langfristig, sagt der Historiker Philipp Ther.Vergrößern des Bildes
Flüchtlinge im Herbst 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze. (Quelle: Sebastian Kahnert/dpa)
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Die Grenzkontrollen in den Wochen der Fußball-EM haben sich unverhofft als wirksam gegen illegale Migration erwiesen. Der Praxistest hat einen seit jeher falschen und fatalen Satz Angela Merkels gründlich widerlegt.

Es gibt Reaktionen, die sind so erwartbar wie der zuckende Unterschenkel, wenn der Arzt mit dem Hämmerchen den Patellasehnenreflex unterhalb der Kniescheibe auslöst. Wie vergangene Woche, als ich an dieser Stelle Bundeskanzler Olaf Scholz nahelegte, es dem amerikanischen Präsidenten gleichzutun und zugunsten der Wahlchancen seiner SPD bei den nächsten Bundestagswahlen beiseitezutreten.

"Aber wer soll es denn machen?", kam als Gegenfrage darauf von einem Leser in einem der sozialen Netzwerke. Abgesehen davon, dass ich die Frage aus meiner Sicht im Text beantwortet habe (Boris Pistorius) – das ist eine ebenso naheliegende wie falsche Frage. Die übrigens in ähnlichen Fällen von Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel in ihrer unnachahmlichen nord-ostischen Art so beantwortet wurde: Es hat sich noch immer jemand gefunden. So ist es.

Warum ist es die falsche Frage? Weil sie nicht am Problem ansetzt, sondern dessen Behebung im Weg steht. Es ist eine Problemlösungsverhinderungsfrage. Und weil Probleme besser gelöst als beibehalten werden, ist es eben eine falsche Frage.

Ebenso verhält es sich mit einem anderen Reflex, den wir gerade in der Debatte darüber erleben, ob die Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen über die Fußball-Europameisterschaft hinaus, wie von Bundesinnenministerin Nancy Faeser bis auf Weiteres verfügt, fortgesetzt werden sollen. "Wir haben nicht genug Leute dafür!" tönt es dazu aus den Reihen der Polizeigewerkschaft. Nachvollziehbar, weil die Bundespolizisten tatsächlich auch sonst über Langeweile nicht klagen können.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".

Und dennoch falsch.

Denn wenn sich die Maßnahme für die Dauer der Fußballspiele in einer Art Nebeneffekt als effektiv gegen illegale Migration erwiesen hat, dann sollte man nicht nach Gründen suchen, diese hilfreiche Aktion zu verhindern. Sondern alles dafür tun, sie zu verlängern, jedenfalls so lange, bis sich der beschlossene Schutz der EU-Außengrenzen konkret manifestiert hat. Mehr als 9.000 illegale Einreisen sind in den Fußballwochen verhindert, 275 Schlepper gefasst worden.

Damit ist wie nebenbei eine fast zehn Jahre alte Frage in einem Praxistest beantwortet worden. Nebenbei, weil es ja nicht im Kern darum ging, Menschen an der Einreise zu hindern, die nichts Böses im Schilde führten, sondern ein besseres Leben suchten, aber nicht das Recht auf freie Auswahl des neuen Heimatlandes hatten. Es ging darum, potenzielle Terroristen auszusieben. Anschläge auf Fußballstadien oder Fanzonen waren zu befürchten.

Aber so ist das eben manchmal, dass sich gewissermaßen aus Versehen etwas als wirksam in ganz anderer Hinsicht als der angestrebten erweist. Viagra ist entwickelt worden gegen Bluthochdruck und Angina Pectoris. Seine segensreiche Wirkung aufs Sexualleben von Abermillionen Männern und Paaren war nie geplant. Gegen Bluthochdruck nimmt es heute kein Mensch.

Grenzen lassen sich sehr wohl schützen

Die alte Frage war seinerzeit von besagter Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt beziehungsweise apodiktisch beantwortet worden. Grenzen ließen sich nicht schützen, behauptete sie zu Beginn der Migrationskrise 2015/2016. Einfach so, ohne jeden Beleg, verfügte sie diese Erkenntnis.

Schon damals widersprach ihr vehement der heute noch amtierende Chef der Bundespolizei, Dieter Romann. Doch, das können wir, wenn wir dazu den Auftrag bekommen, sagte er seinerzeit. Und wurde dafür von Teilen des politischen Raumes verlacht. Haha, wie soll das gehen, grüne Grenze und so. Jetzt zeigt sich: Romann hatte recht und seine Dienstherrin hatte Unrecht. Denn es mag sein, dass sich einige Migranten nach wie vor über Wälder und Wiesen illegal Zutritt nach Deutschland verschaffen. Aber schon die blaue Grenze, Flüsse wie der Inn und andere, sind Barrieren, die sich nicht einfach so überwinden lassen. Bleiben am Ende nur die Straßen und Brücken. Und dort eben die Grenzbäume als Endstation.

Das ist keine Kleinigkeit. Dieser Praxistest und die späte Genugtuung für Dieter Romann haben eine ungeheure politische Dimension. Denn es mögen andere große Themen auf der Tagesordnung stehen: Krieg, Klima, lahmende Konjunktur. Aber kein Thema entscheidet so sehr über Wahlausgänge im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wie die Migration. Der Erfolg der AfD, ihr Aufstieg in den letzten zehn Jahren, hängt fast ausschließlich daran. Es treibt die Menschen um. Aus guten Gründen. Nichts verunsichert eine Gesellschaft so sehr wie das Gefühl der Ohnmacht des Staatswesens, in dem sie leben. Seit bald zehn Jahren breitet sich dieser berechtigte Eindruck aus.

Bis der Außengrenzschutz steht

Wenn nun ein probates Mittel gefunden wurde, dann sollte man es unter allen Umständen nutzen und nicht wegreden mit Totschlagargumenten. Jedenfalls so lange, bis zum einen der Außengrenzschutz da ist – und sich zum andern herumgesprochen hat, dass es nicht mehr so einfach ist, illegal nach Deutschland zu kommen, nach wie vor das Hauptziel von Migrantinnen und Migranten in Europa.

Sollte die Personaldecke tatsächlich zu dünn sein (Romann hat das seinerzeit bestritten, er müsste etwas davon verstehen als oberster Bundespolizist), dann muss zunächst neu priorisiert – und mittelfristig massiv Personal rekrutiert und eingestellt werden. "Wir schaffen das nicht" ist jedenfalls kein Argument, wenn man endlich eine Lösung für das Problem gefunden hat, das von der Mehrzahl der Menschen im Land seit geraumer Zeit als das größte angesehen wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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