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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Video zeigt Aufruf von der Bühne Heilpraktikerin und Gelbwesten lösten Reichstagseklat aus
Verschwörungsideologen der "Gelbe Westen"-Bewegung haben entscheidend zur Eskalation vor dem Reichstag am Samstag beigetragen. Eine zentrale Rolle spielte eine Aktivistin aus der Region Aachen.
Ein Netzwerk von Verschwörungstheoretikern und "Gelbe Westen"-Aktivisten ist offenbar mitverantwortlich dafür, dass Demonstranten vor dem Reichstag Polizeiabsperrungen überwanden und die Treppen des Parlaments besetzten. Recherchen von t-online.de zeigen, dass eine Gruppe um eine Aktivistin zunächst zur Kundgebung dort mobilisierte und dort dann Falschinformationen streute, um die Menge anzuheizen. Schließlich rief die Aktivistin selbst explizit dazu auf, die Treppen des Parlaments zu stürmen.
War die Aktion geplant?
"Wir müssen jetzt beweisen, dass wir alle hier sind. Und wir gehen dadrauf und holen uns heute, hier und jetzt, unser Haus zurück", schrie die Frau mit den auffälligen Dreadlocks von der Bühne. Es spricht einiges dafür, dass es sich dabei nicht um einen spontanen Gefühlsausbruch handelte, sondern dass die sonst eher belächelten Gelbwesten-Aktivisten mit Reichsbürgerideologie eine solche Aktion planten. Die Rednerin selbst streitet das allerdings vehement ab.
Der Name der Aktivistin ist Tamara K. Sie ist Heilpraktikerin im Raum Aachen und seit Jahren bei den Gelbwesten dort aktiv. Für die Gruppe meldete sie offenbar unter anderem eine Demonstration zum Besuch von Macron und Merkel im Januar 2019 in Aachen an und reiste mit anderen deutschen Aktivisten zu den Protesten nach Paris. Von dort streamte sie auch live Bilder für einen der größten deutschsprachigen Kanäle der "QAnon"-Verschwörungsgemeinde. In dem Kanal soll sie auch als Übersetzerin tätig gewesen sein. Dort ist eine Distanzierung zu finden.
Die Gelbwesten: Entstanden ist die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich, wo Bürger zunächst gegen hohe Benzinpreise und einen schwachen Sozialstaat protestierten. Die monatelang andauernden Demonstrationen uferten oft auch in Gewalt aus. Rechts- und Linksextremisten schlossen sich gleichermaßen an. In Deutschland hat die Bewegung kaum Resonanz, weil Reichsbürger und Rechtsextreme den Ton angeben.
Am vergangenen Wochenende war sie mit weiteren Gelbwesten auf den Demonstrationen in Berlin unterwegs. Einer der Köpfe der Berliner Gruppe, Ricardo Sch., hatte sie bereits am Freitag vor der Russischen Botschaft ans Mikrofon geholt. Tamara K. kündigte schon da eine Aktion an – umgeben von schwarz-weiß-roten Reichsflaggen, wie sie auch am nächsten Tag vor dem Bundestag zu sehen waren. "Wir werden morgen vereint dafür sorgen, dass diese BRD-Fake-Regierung abgewickelt wird", sagte die Aktivistin. Die russische Botschaft bat sie, "auf uns aufzupassen, wir werden morgen für unsere Freiheit kämpfen".
Im Publikum stand bei der Rede ein Mann mit markanter Sonnenbrille und gelber Weste, der zum Kern der Berliner Gruppe gehört. Er klatschte. Am nächsten Tag stand er gemeinsam mit K. vor dem Reichstag. Dort verbreitete er per Megafon die Falschinformation, US-Präsident Donald Trump sei in der Stadt: "Er hat uns eine halbe Stunde gegeben, uns hier zu versammeln und uns unsere Souveränität und den Friedensvertrag einzufordern." Ein anderes Video zeigt ihn, wie er Umstehenden sagt: "Wir müssen da in dieses Gebäude." Er sei dazu legitimiert worden.
Das absurde Gerücht über Präsident Trump hatte K. auch bei ihrer Rede auf der Bühne vor dem Reichstagsgebäude wiederholt. Nicht das einzige: Zuvor waren bereits Videoaufnahmen von K. und ihren Mitstreitern entstanden, wie sie mit Megafon versuchten, Passanten zur Teilnahme an der Demonstration vor dem Reichstag zu bewegen. Dabei verbreiteten sie das Gerücht, die Polizei habe keine Macht mehr.
Heilpraktikerin: Aktion war "völlig spontan"
Direkt im Anschluss an die Rede vor dem Bundestag überwanden schließlich Demonstranten die Absperrungen. K. war vorne mit dabei, ist auf Fotos zu sehen. Zu t-online.de sagte sie, ihre Rede und die Aktion seien "völlig spontan" gewesen. Dass sie am Tag zuvor angekündigt habe, die "BRD-Regierung abzuwickeln", sei "ein rein technischer Vorgang", der nicht mit einer konkreten Aktionsform verbunden gewesen sei.
Dem "Tagesspiegel" sagte sie: Ein unglaubliches Gefühl sei das gewesen, man sei sehr glücklich über die entstandenen Bilder. "Die Welt sieht endlich, was in unserem Land abgeht." Sie sei weiterhin überzeugt, dass Trump in Berlin war. Nun werde sie aber angefeindet und bedroht.
In der Szene wird kolportiert, sie sei eine Linke, ein Maulwurf der Behörden, der ganze von ihr initiierte Sturm auf das Reichstagsgebäude eine Aktion unter falscher Flagge, um die Bewegung zu diskreditieren. Die Gelbwesten haben die Bundesrepublik an diesem Samstag nicht abgewickelt. Dass sie es aber planten, haben sie selbst angekündigt. Derzeit ermittelt auch die Polizei zu den Hintergründen der Randale.
- eigene Recherchen
- Tagesspiegel: "Das ist die Frau, die zum Sturm auf den Reichstag aufrief"