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Tagesanbruch – Alles oder nichts: Warum Kramp-Karrenbauer jetzt angreift


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Alles oder nichts: Warum Kramp-Karrenbauer angreift

  • Florian Wichert
MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 17.07.2019Lesedauer: 7 Min.
Annegret Kramp-Karrenbauer.Vergrößern des Bildes
Annegret Kramp-Karrenbauer. (Quelle: snapshot/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Was für ein Tag. Seine historische Dimension hatte er längst erreicht. Die Abgeordneten des Europaparlaments hatten Ursula von der Leyen in einem Wahlkrimi mit nur neun Stimmen mehr als nötig als erste Frau an die Spitze der Europäischen Union gewählt. Dann folgte allerdings am späten Abend eine Nachricht, die mindestens genauso spektakulär war, weil sie noch überraschender kam: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer folgt von der Leyen als Verteidigungsministerin nach. Noch heute soll sie ernannt werden.

Ein cleverer Schachzug.

Das Amt der Verteidigungsministerin – es ist erst mal kein Geschenk. Affären, Skandale und Probleme durchzogen die Amtszeit von der Leyens. Und noch immer gibt es reichlich davon. Zum Beispiel die Berater-Affäre, oder Waffensysteme, die modernisiert und vernetzt werden müssen. Die Sanierung der "Gorch Fock", bei der die Kosten explodiert sind. Oder das mangelnde Personal, den fehlenden Nachwuchs. Da mag man sich fragen: Warum tut sich die CDU-Chefin das an und tritt entgegen jeder Ankündigung doch in Merkels Kabinett ein?

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Ganz einfach: Es ist die Flucht nach vorn. Alles oder nichts? Kramp-Karrenbauer setzt alles auf eine Karte.

Denn seit ihrer Wahl zur Bundesvorsitzenden der CDU im Dezember 2018 ging es in erster Linie bergab für die 56-Jährige. Galt sie zunächst als logische Nachfolgerin Merkels, wirkte sie plötzlich unsicher. Sie patzte unter anderem im Umgang mit dem YouTuber Rezo und sank in der Wählergunst immer weiter ab. Die Kanzlerschaft? Mittlerweile in weiter Ferne.

Bis jetzt.

Mit einem Schlag hat Kramp-Karrenbauer zum einen den aufstrebenden Gesundheitsminister Jens Spahn in die Schranken gewiesen, der seit Tagen als neuer Verteidigungsminister gehandelt wurde und ihr die Show zu stehlen drohte.

Zum anderen hat sie Mut bewiesen, den ihr zuletzt kaum noch jemand zugetraut hätte. Kriegt sie das schwierige Verteidigungsministerium in den Griff oder setzt zumindest schnell erste Impulse, stehen ihr alle Türen offen. Das könnte sich bereits zu den Halbzeitgesprächen der großen Koalition und einem möglichen Ende auszahlen. Doch Kramp-Karrenbauer geht auch ein hohes Risiko ein. Gelingt die Mission nicht, kann es mit der großen Karriere schnell vorbei sein.


Auch sie ging volles Risiko – und gewann. Ursula von der Leyen galt wie Kramp-Karrenbauer einst als legitime Nachfolgerin Angela Merkels. Kanzlerin wurde sie nicht – dafür bekleidet sie künftig ein mindestens genauso wichtiges Amt: das der EU-Kommissionspräsidentin, ausgerechnet in ihrer Geburtsstadt Brüssel. Hier wird die 60-Jährige in den kommenden fünf Jahren die EU-Kommission leiten – mit mehr als 30.000 Mitarbeitern.

Von der Leyen hat es geschafft. Ab dem 1. November ist sie die erste Frau an der Spitze der Europäischen Union, nachdem sich gestern Abend im Parlament in Straßburg 383 der 747 Mandatsträger in einer geheimen Abstimmung für sie entschieden haben. Ganz entscheidend war, dass die Mehrheit der zunächst extrem kritischen Sozialdemokraten am Ende die Vernunft eingeholt hat, wenn auch nicht alle. Das Ergebnis? Trotzdem wahnsinnig knapp. Die Kandidatin brauchte mindestens 374 Stimmen.

Um die warb von der Leyen bis zuletzt. Noch am Morgen legte sie eine der besten Reden ihres Lebens hin. In 33 Minuten und drei Sprachen wurde sie auch persönlich – und besorgte sich die letztlich notwendige Unterstützung des EU-Parlaments.

Das Parlament, aber auch die Staats- und Regierungschefs und auch von der Leyen – alle sind sie mit einem blauen Auge davon gekommen, nachdem sie mit dieser überraschenden Personalie das Spitzenkandidatenprinzip beerdigt hatten.

Sie können erst mal durchatmen.

Wenn auch nur kurz. Denn von der Leyen steht nicht nur vor der wichtigsten, sondern insbesondere vor der schwierigsten Aufgabe ihrer Karriere. Für ihre Wahl hat sie Versprechungen machen müssen, die sie nun auch umsetzen muss. Auch ohne die würde sie schon mehr Baustellen und Probleme übernehmen, als jeder Lastesel schultern könnte.

Zunächst muss sie ihre 27 EU-Kommissare auswählen, für die sie Geschlechterparität versprochen hat. Sie muss womöglich das Austrittsdatum Großbritanniens aus der EU neu verhandeln, eine Reform des Dublin-Systems für Asylsuchende initiieren, ebenso wie die Grundlagen für ein CO2-neutrales Europa bis 2050. Oder national definierte Mindestlöhne. Die Reihe der Aufgaben lässt sich beliebig fortsetzen.

Und deshalb gibt es eine Aufgabe, die die wichtigste ist: Die Mitgliedstaaten zu einen sowie die EU zu reformieren und zukunftsfähig zu machen. Die EU soll selbstbewusst und stark sein – doch die EU-Kommissionspräsidentin wurde von 28 Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen, die in erster Linie ihre eigenen Interessen vertraten, keine europäischen. Die ewigen Diskussionen um das Tableau für die Spitzenpositionen der EU haben offen gelegt, wie zerstritten die Mitgliedstaaten sind.

Eine gigantische Aufgabe – doch von der Leyen hat in ihrer neuen Rolle die nötigen Kompetenzen, um sie zu erfüllen. Und um es besser zu machen als Vorgänger Jean-Claude Juncker. Der war einmal ähnlich ambitioniert und engagiert gestartet wie sie.

Von der Leyen und die Regierungschefs: Es gibt derzeit viele Gewinner. Nur ein Verlierer bleibt zurück: die SPD. Sie hat bis zuletzt an ihrem Protest gegen das Aussetzen des Spitzenkandidatenprinzips festgehalten und sich sogar der Wahlempfehlung der internationalen Sozialdemokraten im EU-Parlament widersetzt. Gebracht hat es ihnen nichts.

Immerhin: Hätten sie mit ihren Gegenstimmen eine Wahl von der Leyens verhindert, wäre die Stimmung in der großen Koalition jetzt an einem noch tieferen Tiefpunkt, als sie es ohnehin seit Monaten ist.


In der Nacht konnten Beobachter in Mitteleuropa eine partielle Mondfinsternis betrachten. Für etwa drei Stunden lagen Teile des Erdtrabanten im Kernschatten der Erde. Der Mond schimmerte dadurch in orange bis rostroten Tönen. Hier sehen Sie eine Sammlung der schönsten Bilder.


WAS STEHT AN?

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Die Entscheidung über die Nachfolge von Theresa May naht. Boris Johnson und Jeremy Hunt präsentieren sich den Parteimitgliedern der Konservativen Partei in der letzten Regionalkonferenz der zweiten Auswahlphase. Die etwa 160.000 Parteimitglieder stimmen per Briefwahl über die Kandidaten ab. Am 23. Juli soll bekannt gegeben werden, wer neuer Parteichef und damit Premierminister wird. Der Auswahlprozess hat dann auch lange genug gedauert.


Heute soll das Strafmaß für den mexikanischen Drogenboss Joaquín "El Chapo" Guzmán verkündet werden. Der 62-Jährige war im Februar in einem der größten Prozesse zu Drogenkriminalität in der Geschichte der USA in allen zehn Anklagepunkten schuldig gesprochen worden. Das wird wohl auf eine lebenslange Haftstrafe hinauslaufen.


Ab 17 Uhr verhandelt das Landgericht Detmold im Missbrauchsfall Lügde ein abgetrenntes Verfahren. Ein heute 49-Jähriger aus Stade in Niedersachsen ist u. a. wegen Anstiftung und Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern angeklagt. Heiko V. soll von 2010 bis 2011 an mindestens vier Webcam-Übertragungen beim Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz in Lügde teilgenommen haben. Am ersten Verhandlungstag hatte er ein Geständnis abgelegt. Möglicherweise gibt es noch am Abend ein Urteil.


Heute vor fünf Jahren starb der asthmakranke Afroamerikaner Eric Garner beim extrem gewaltsamen Anlegen von Handschellen bei seiner Verhaftung in New York. Der Fall erregte damals – befeuert von zwei auf YouTube veröffentlichten Videos – großes Aufsehen. Für die Polizisten blieb der Tod Garners ohne strafrechtliche Folgen. Ohnehin: Tödliche Polizeigewalt ist in den USA alltäglich, wie eine Datensammlung der "Washington Post" zeigt.

Seit 2015 sind dort jährlich rund 1.000 Menschen von Polizisten getötet worden – auch im laufenden Jahr verzeichnet die Statistik bereits 487 Tote. Viel zu viele. Besonders betroffen sind schwarze US-Amerikaner: Bei einem Bevölkerungsanteil von rund 13 Prozent stellen sie zwischen 23 und 26 Prozent der Opfer. Zum Vergleich: In Deutschland sind laut Wikipedia mindestens 515 Menschen von Polizisten erschossen worden – seit 1952.

Mehr Daten der Kollegen von Statista finden Sie hier.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

In der Hölle hat die Digitalisierung Einzug erhalten, sagte Siemens-Chef Joe Kaeser nach einer Morddrohung per E-Mail von adolf.hitler@nsdap.de. Umschlagplatz der Hölle ist aber eine Website in Tschechien. Über sie wurden weitere Hassmails verschickt, wie mein Kollege Lars Wienand herausgefunden hat.


Die Aufregung in den USA ist riesig, seit Präsident Donald Trump am Sonntag seine rassistischen Attacken auf Demokratinnen mit Migrationshintergrund gefahren hat. Gegenwind gibt es aus allen politischen Lagern – auch dem eigenen. Trump unterstellt der Gruppe von Demokratinnen, sie würden "unser Land hassen" und forderte sie auf, "dorthin zurückzugehen, wo sie hergekommen" seien. Er wiederholte seine Attacken zur Sicherheit auf unterschiedlichste Weise und legte noch mal nach. Ist Trump ein Rassist? Diese Frage steht nun im Raum.

Mein Kollege Fabian Reinbold hat sich in Washington mit ihr auseinandergesetzt und festgestellt: Trump verfolgt zwei mittelfristige Ziele – und ein langfristiges. Das Zündeln gegen die Politikerinnen und der darauffolgende Aufschrei seien nur ein Vorgeschmack auf den Präsidentschaftswahlkampf.


Das Statistische Bundesamt hat die neuesten Zahlen zur Zuwanderung für 2018 veröffentlicht – und die sind durchaus spannend. So sind 400.000 Menschen mehr nach Deutschland gekommen, als weggezogen – die Nettozuwanderung ist allerdings leicht zurückgegangen. Bei innerdeutschen Umzügen profitiert vor allem ein ostdeutsches Bundesland. Hier finden Sie die Details.


WAS AMÜSIERT MICH?

Zum Wochenende wird das Wetter endlich wieder besser und sommerlich. Zeit für eine Wassermelone? Der Inhalt dieser Melone ist besonders süß.

Ich wünsche Ihnen einen heiteren Tag – und Bundeskanzlerin Angela Merkel alles Gute zum 65. Geburtstag. Morgen schreibt an dieser Stelle Peter Schink für Sie.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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