Getöteter Politiker Walter Lübcke Immer mehr Spuren führen in die rechtsextreme Szene
Ein 45 Jahre alter Mann aus der rechtsextremen Szene soll Nordhessens Regierungspräsidenten getötet haben. Der Generalbundesanwalt übernimmt nun. Vieles deutet auf ein politisches Motiv hin.
Nach dem tödlichen Schuss auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Festnahme eines Tatverdächtigen hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen. Das bestätigte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde t-online.de.
Um 16 Uhr soll es eine Erklärung an die Presse geben. Polizei und Staatsanwaltschaften haben sich bisher weder zur Identität noch zum möglichen Motiv des Mannes geäußert. t-online.de hatte am Morgen Informationen aus Kreisen der Ermittler erhalten, dass zeitnah keine eindeutigen Erkenntnisse zu einem Motiv bekannt gegeben werden könnten. Nach Medienberichten ist der Mann aber in der Vergangenheit mit rechtsextrem motivierten Taten aufgefallen.
Die Entscheidung des Generalbundesanwalts legt nahe, dass die Behörden eine politische Dimension in der Tat sehen. Der Kriminologe und Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller sagte t-online.de: "Man kann daraus schließen, dass es sich nach Einschätzung des Verfahrensstandes möglicherweise nicht um einen Mord mit Motiven im privaten Umfeld des Opfers handelt." Stattdessen sehe die Bundesanwaltschaft offenbar Anhaltspunkte für einen politischen oder gar terroristischen Motivhintergrund.
Spezialkräfte hatten den 45-jährigen Stephan E. am frühen Samstagmorgen in Kassel festgenommen. Seit Sonntag sitzt er wegen dringenden Mordverdachts in Untersuchungshaft. Die Festnahme erfolgte den Angaben zufolge "aufgrund eines DNA-Spurentreffers".
Medienbericht: An Rohrbombenanschlag beteiligt
Nach Medienberichten war der Mann zumindest in der Vergangenheit mit Taten in der rechtsextremen Szene aufgefallen. Er wurde nach Informationen von "Tagesspiegel" und "Zeit online" für die Beteiligung an einem Rohrbombenanschlag 1993 auf eine Asylbewerberunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenroth verurteilt. Zu dieser Zeit lebte der Mann dort.
Der brennende Sprengsatz in einem Auto war von Asylbewerbern entdeckt worden. Nach damaligen Angaben der Polizei begründete er die Tat mit ausländerfeindlichen Motiven.
Bereits ein Jahr zuvor soll er sich eines versuchten Totschlags schuldig gemacht haben, als er auf der Toilette des Wiesbadener Hauptbahnhof einen Mann mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt habe.
Nach Informationen von "Spiegel Online" ist der Mann auch wegen der Beteiligung an Ausschreitungen von Neonazis in Dortmund im Jahr 2009 verurteilt worden. Er erhielt eine Strafe von sieben Monaten auf Bewährung wegen Landfriedensbruchs. Neonazis hatten dort eine Kundgebung des DGB angegriffen.
Laut "Süddeutscher Zeitung" liegen zu dem Mann auch Erkenntnisse über Waffenbesitz vor. Bei der Durchsuchung sollen Waffen gefunden worden sein, nicht aber die Tatwaffe. Dem WDR zufolge betrieb er einen YouTube-Kanal. Dort hatte er erklärt, es werde Tote geben, wenn die Regierung nicht handle.
Lübcke hatte seit 2015 Morddrohungen erhalten
Der 65-jährige Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha entdeckt worden. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und starb kurz darauf. Seither ermittelte eine 50-köpfige Sonderkommission.
Lübcke hatte seit 2015 immer wieder Morddrohungen erhalten und zeitweise unter Polizeischutz gestanden. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, sagte t-online.de, es verwundere sie überhaupt nicht, dass ein einschlägig bekannter Neonazi als dringend Tatverdächtiger verhaftet worden sei. "Es war leider nur eine Frage der Zeit, bis auf die massive Mordhetze von Rechtsextremen, Neonazis und Rassisten gegen Andersdenkende auch wieder entsprechende Taten folgten."
FDP-Politiker fordert "Zeitenwende"
Linke, Bündnis 90/Grüne und FDP haben eine Sondersitzung des Innenausschusses im Bundestag beantragt, bei der die Sicherheitsbehörden über den bisherigen Ermittlungsstand und die Sicherheitslage Rede und Antwort stehen sollen.
Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagte t-online.de: "Dieses Ereignis muss eine Zeitenwende beim Umgang mit Rechtsextremismus in Deutschland einläuten." Es brauche insbesondere eine harte Abgrenzung bürgerlicher Parteien nach rechts.
Für die Sondersitzung sprach sich auch der AfD-Innenpolitiker Martin Hess aus, selbst Polizist: "Nachdem es den Verdacht eines politischen Motivs beim Täter gibt, befürworte ich eine Sondersitzung." Es müsse alles getan werden, um die Tat lückenlos aufzuklären "und Extremismus, egal welcher Form, effektiv zu bekämpfen".
Übernahme durch Bundesanwalt überraschend
Die Generalbundesanwaltschaft konnte noch nicht sagen, ob und wann sie weitere Informationen herausgeben wird. Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft Kassel für den Montag ein Statement vor den Kameras angekündigt. Nach der Übernahme durch die Karlsruher Behörde wurde das abgesagt. Die Entscheidung kam auch für die Kasseler Behörde überraschend, obwohl es dazu am Wochenende bereits Gespräche gegeben hatte.
Die Nachricht von möglichen Verbindungen ins rechtsextreme Milieu hatte am Sonntag in sozialen Netzwerken sofort vielfältige Reaktionen ausgelöst. Auch ohne nähere Informationen waren viele Forderungen laut geworden, den Kampf gegen rechte Gewalt zu verstärken.
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Ein Braunschweiger Neonazi postete dagegen in einer Instagram-Story Solidaritätsgrüße, zugleich verbunden mit der Drohung aus einem alten Revolutionslied, die "hohen Herren" würden an Laternen hängen. Auf das Bild war der Fotograf David Janzen gestoßen, der in einem Braunschweiger "Bündnis gegen rechts" aktiv ist.
- Nachrichtenagentur dpa
- sz.de: Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen
- Tagesspiegel: Bundesanwalt übernimmt Mordfall Lübcke
- Zeit.de: Verdächtiger im Fall Lübcke verübte 1993 rechtsextremen Anschlag
- tagesschau.de: Generalbundesanwalt ermittelt
- Spiegel online: Generalbundesanwalt übernimmt Mordfall