Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Wie du mir, so ich dir, Donald
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Nach der schlechten Nachricht kommt die gute: Es ist noch leidlich glimpflich ausgegangen für Notre-Dame in Paris. Viel gefehlt hat nicht: 15 bis 30 Minuten, sagt der stellvertretende Innenminister, haben darüber entschieden, ob die Kathedrale noch zu retten war. Sein Chef weist darauf hin, dass das Gemäuer noch immer unter Beobachtung steht: Auch jetzt noch können Teile zusammenbrechen. Ein Turm ist bereits zerstört, das Dach, weitere Gebäudeteile und der Hochaltar wurden stark beschädigt, das ist eine Tragödie. Aber das Innere der Kirche ist in einem besseren Zustand, als man es angesichts der prasselnden Flammen hätte erwarten können.
Wem haben wir dafür zu danken? Der Feuerwehr, ganz klar. Aber vielleicht nicht nur. Denn die Baumeister des Mittelalters haben in Dimensionen gedacht, die heute unser Vorstellungsvermögen übersteigen. Sie wussten, dass ein menschliches Lebensalter nicht ausreichen wird, um eine gotische Kathedrale zu vollenden. Sie begannen Projekte, deren Ende sie nicht miterleben würden. Fast zweihundert Jahre lang wurde an Notre-Dame gehämmert und gemeißelt, und ein Rekord ist das noch lange nicht. Die hohen, luftigen Kirchen dieser Zeit sprengten die Grenzen in jeder Beziehung: mit gewagter Architektur, immensen Kosten, Bauzeiten in Jahrhunderten. Im Vergleich dazu sind der BER, die Elbphilharmonie, die hochmütigen Türme in Dubai schnell hochgezogene Wegwerfware.
Denn die Kathedralen des Mittelalters wurden nicht nur für Menschen erbaut, sondern für Gott und die Ewigkeit. Hätte man die Absichten in Spezifikationen gegossen, wäre bei der geplanten Gebäudelebensdauer "ab 1000 Jahre" einzutragen gewesen. Die Baumeister haben das himmlische Jerusalem auf Erden in Stein abgebildet. Wer das macht, sorgt dafür, dass es hält. Selbst dann noch, wenn auf dem Dach ein flammendes Inferno tobt. Das Gewölbe im Innern von Notre-Dame ist gefährdet, aber es ist noch da. Wir bedanken uns bei den Feuerwehrleuten. Aber nicht nur bei ihnen.
WAS STEHT AN?
Wir haben uns daran gewöhnt, in Habachtstellung zu gehen, sobald der Mann im Weißen Haus sein Smartphone zückt. Wen trifft sein Twitter-Gewitter diesmal? Oft genug uns Deutsche. Wir bereichern uns auf Kosten der Amerikaner, wir liefern uns selbst den arglistigen Russen aus, wir gehen viel zu nachsichtig mit Einwanderern um. Findet Herr Trump. Obendrein subventionieren wir mit unseren EU-Partnern den Flugzeugbauer Airbus, was hundsgemein ist, da wir so den amerikanischen Flugzeugbauer Boeing benachteiligen, der zwar seinerseits von der US-Regierung subventioniert wird, aber so viel Kontext würde jetzt echt zu weit führen und passt auch nicht in einen Tweet. Jedenfalls hat der US-Präsident der EU nicht nur Strafzölle auf Airbus-Maschinen angedroht. Sein Handelsbeauftragter Robert Lighthizer feuerte gleich noch eine Liste von EU-Produkten hinterher, die ebenfalls mit höheren Abgaben belegt werden könnten: Vom Skianzug über die Wanduhr bis zum Roquefort-Käse rücken zahlreiche europäische Alltagsgüter ins amerikanische Fadenkreuz. Gesamtwert der Waren: elf Milliarden Dollar. Nee, das ist kein Pappenstiel. Sollten die Beamten in Brüssel also Habachtstellung annehmen und artig kuschen?
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Pustekuchen, die EU-Kommission droht kurzerhand zurück: Heute will sie ihrerseits eine Liste mit amerikanischen Produkten veröffentlichen, auf die Vergeltungszölle erhoben werden könnten, falls der Twitterpräsident seine Drohung wahrmacht. Noch geht es nur um Importe im Wert von zwölf Millionen Dollar. Mickrig? Nee, denn das wäre nur der Anfang. Die EU-Beamten mögen den Konflikt gemessenen Schrittes angehen, aber sie zeigen Herrn Trump doch sehr deutlich: Was du kannst, das können wir auch. Denn diese alttestamentarische Sprache scheint er zu verstehen. Wie du mir, so ich dir. Schau mal, hier sind die Daumenschrauben. Ob sie zugedreht werden, entscheidest du selbst. Dafür müsstest du den Daumen allerdings bitte kurz vom Smartphone nehmen.
Wochenlang stritten sich Union und SPD über Abschiebungen und Geld für Asylbewerber – jetzt hat die Koalition mehrere Gesetzesvorhaben zu Migrationsfragen ausgebrütet. Heute soll das Kabinett drei Entwürfe aus dem Arbeits- und dem Innenministerium verabschieden. Details erfahren Sie hier.
Mit 260 Millionen Einwohnern ist Indonesien das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. 190 Millionen von ihnen werden heute zur Präsidenten- und Parlamentswahl an die Urnen gerufen. Das Land hat religiöse Toleranz immer hochgehalten – aber in jüngster Zeit bekommen Radikale immer mehr Zulauf und säen ihr Gift in der Gesellschaft. “Der Hass nimmt zu“, schrieb der “Deutschlandfunk“ kürzlich in einem lesenswerten Report. Soziale Medien spielen dabei eine perfide Rolle.
Der heilige Vater darf heute im Vatikan die heilige Greta empfangen. Oder ist es andersherum? Wie auch immer, die Generalaudienz beginnt um 9:30 Uhr; und nach dem Papst will Greta Thunberg römische Schüler treffen, um gemeinsam mit ihnen für mehr Klimaschutz zu streiken.
WAS LESEN?
Die Feuersbrunst von Notre-Dame schockiert Menschen weltweit. Aber wie sie das Leben von fünf Parisern verändert hat, das erzählt uns unser Reporter Tobias Ruf. Wie immer in solchen Fällen bleibt es leider nicht aus, dass böswillige Gesellen versuchen, aus der Katastrophe politisches Kapital zu schlagen. Einige besonders böse Versuche unternahmen AfD-Leute. Das Portal “Volksverpetzer“ weiß mehr.
Sehen Sie, was ich sehe? Genau, ein Gesicht. Es gehört dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Aber sehen Sie auch, wie es entstanden ist? Genau, weder mit dem Pinsel noch mit der Kamera. Es besteht aus Menschen. 21.000, um genau zu sein. Soldaten in hellen und in dunklen Uniformen bildeten das gewaltige Abbild im Jahr 1918. Wie kam es dazu und wie konnte der Fotograf die logistische Meisterleistung ablichten? Das verrät Ihnen unser Zeitgeschichteredakteur Marc von Lüpke in unserer Kategorie “Historisches Bild“.
Apropos US-Präsidenten: Bei den Demokraten gibt es schon mehrere Bewerber für die nächste Wahl – aber jetzt will auch ein Republikaner Donald Trump die Wiederwahl streitig machen. Hat Bill Weld eine Chance? Unser Amerika-Korrespondent Fabian Reinbold liefert die Einschätzung.
Die Bundesliga-Saison geht in ihre entscheidende Phase – und wenn es gegenwärtig einen wirklich undankbaren Job im Fußball gibt, dann ist es: Trainer bei einem Erstligaklub. Denn der Druck auf die Coaches ist immens, egal, ob in München, Gelsenkirchen oder dem wunderbaren, großartigen, bedauernswerten Stuttgart. "Da wird mir schlecht, wenn ich das verfolge", keucht unser Kolumnist Stefan Effenberg – und seziert dann messerscharf die heikle Lage der Bundesliga-Sorgenkinder.
WAS BERÜHRT MICH?
Es gibt das Gute und das Böse, die Freude und die Trauer. Meist treten sie getrennt voneinander auf, aber in den Bildern des Fotografen Uğur Gallenkuş vereinen sie sich auf so radikale Art, dass wir gar nicht anders können, als hinzuschauen. Dabei braucht er dafür nicht mehr als eine digitale Schere und den unbedingten Willen zur Aufklärung.
Ich wünsche Ihnen einen aufgeklärten Tag.
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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