Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Was heute Morgen wichtig ist
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Es war nicht schwer, gestern das Thema des Tages auszumachen: Die Geschehnisse in einem Flüchtlingsheim in Ellwangen bestimmten die Schlagzeilen der meisten Medien. Es war auch nicht schwer, sich dazu schnell eine Meinung zu bilden. Folglich demonstrierten Politiker von links bis rechts und Kommentatoren von rechts bis links sehr laut und in einigen Fällen sehr schrill, dass ihnen das nicht schwer fiel.
Ist ja auch tatsächlich nicht schwer. Selbstverständlich kann es nicht toleriert werden, wenn Polizisten an der Abschiebung eines Asylbewerbers gehindert, wenn sie bedrängt und bedroht werden. Selbstverständlich müssen die Sicherheitsbehörden das Gewaltmonopol des Staates in so einer Situation durchsetzen.
Das haben sie offenkundig viel zu spät getan – erst nach drei Tagen (hier eine Chronologie der Ereignisse). Das ist ein Armutszeugnis, und da darf man schon mal fragen, ob Baden-Württembergs CDU-Innenminister Thomas Strobl seinen Laden eigentlich im Griff hat.
Was ich gestern aber wirklich schockierend fand, war der Furor, auch Hass, der rund um die Ereignisse in Ellwangen in den sozialen Medien aufloderte. Von "Flüchtlingsdreckspack" war dort die Rede und von "Staatsversagen" – und natürlich machten wieder viele Kanzlerin Merkel für den Vorfall verantwortlich.
Ja, Merkels Flüchtlingspolitik war undurchdacht, chaotisch und ein kommunikatives Desaster. Und ja, wer hierzulande Gastrecht genießt, der muss sich wie ein Gast verhalten, wozu das Befolgen der Gesetze gehört. Aber ein "Staatsversagen" hat es im baden-württembergischen Ellwangen ebenso wenig gegeben wie ein Menetekel für den Untergang des Abendlandes. Aus Baden-Württemberg soll übrigens auch ein schönes deutsches Sprichwort stammen: Jetzt lassen wir mal die Kirche im Dorf.
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In einem anderen Fall kann man dagegen tatsächlich von Versagen sprechen. Von Managementversagen. Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn wird deshalb nun in den USA angeklagt. Kaum verwunderlich. mehr
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WAS STEHT AN?
Ich wurde in Stuttgart geboren und lebe nun in Hamburg und Berlin. Manchmal frage ich mich: Liegt es vielleicht an mir? Aber dann verwerfe ich den Gedanken. Sollte mich nicht zu wichtig nehmen. Wobei, seltsam ist es schon, dass alle drei Städte, in denen ich einen großen Teil meiner Zeit verbracht habe, eines eint: Sie können keine Großprojekte. In Stuttgart gähnt seit Jahren ein riesiges Loch, die Hamburger haben sich einen sündhaft teuren Musiktempel in den Hafen gestellt, während Wohnungen, Kitas und Fahrradwege fehlen, und in Berlin … na ja, in Berlin gibt es dieses Monstrum, von dem ich nicht mehr so genau weiß, was es eigentlich ist: ein Luftschloss? Eine Geisterbahn? Oder einfach nur ein gigantischer Schrottplatz?
Heute kommt der Aufsichtsrat der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH zusammen und diskutiert über – versuchen Sie jetzt bitte nicht zu lachen – "Fertigstellung und Ausbau des neuen Hauptstadtflughafens BER". Genauso gut könnten die Herrschaften eigentlich auch darüber diskutieren, wie man Eseln das Fliegen beibringt. Oder könnten auf den Rummel gehen und eine Runde Geisterbahn fahren. Oder einen Blick hier hineinwerfen.
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Der Literaturnobelpreis ist die höchste Auszeichnung für Schriftsteller, weltweit warten jedes Jahr Autoren und Verlage gespannt auf die Verkündung des Preisträgers. Nun wird das Komitee, das den Preis vergibt, von einem üblen Skandal erschüttert. Es geht um den Vorwurf der sexuellen Belästigung und der Korruption. Die schwedische Akademie erwägt deshalb, in diesem Jahr keinen Preis zu vergeben, heute will sie ihre Entscheidung verkünden. Ich denke: Selbstverständlich sind sexuelle Belästigung und Korruption inakzeptabel und müssen geahndet werden. Aber was können die Schriftsteller dafür? mehr
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Die Fußball-Weltmeisterschaft findet in wenigen Wochen in einem Land statt, in dem der Rechtsstaat oft eigenwillig interpretiert wird: Manche Menschen bekommen eher recht als andere, zum Beispiel dann, wenn sie viel Geld und gute Verbindungen zum Kreml haben. Aber nicht nur deshalb, auch wegen möglicherweise drohender Hooligan-Krawalle fordern nun manche Politiker einen Boykott der WM in Russland. Ich habe hier schon mal geschrieben, dass ich das schwierig finde, aber was sagen eigentlich Fußballprofis dazu? Mein Kollege Benjamin Zurmühl hat mit Jannik Vestergaard gesprochen. "Als Fan würde ich zweimal überlegen", sagt der dänische Abwehrrecke. Was er noch sagt, lesen Sie hier.
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Apropos Russland: Falls Sie bisher dachten, Wladimir Putin mache einfach nur Interessenpolitik, wenn es um die Ukraine, Syrien, Rohstoffe, die Nato, die Manipulation von Wahlen in westlichen Staaten geht, dann nehmen Sie sich bitte jetzt und hier zehn Minuten Zeit und lassen Sie sich von einem führenden Historiker unserer Zeit aufklären. mehr (engl.)
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WAS LESEN?
Es war einmal ein Gärtner, der lebte in einer wilden, abgeschiedenen Gegend. Krieg tobte um ihn herum. Böse Menschen zogen durchs Land, und ihre schwarzen Fahnen jagten den Leuten Angst und Schrecken ein. Da sagte der Gärtner zu seinen Gehilfen: Lasst uns losziehen und allen zeigen, dass es noch Schönes gibt und Ordnung und Leben. Lasst uns die Bäume, Hecken und Büsche zu wunderbaren Figuren beschneiden. So machten sie sich ans Werk. Immer noch zogen die Bösen umher, doch nie gewannen sie die Oberhand. Und der Gärtner sagte: Seht, wir haben den Namen Gottes aus Hecken geformt, niemand wird uns etwas anhaben können. Eines Tages wird es uns wieder gut gehen, und Menschen aus der ganzen Welt werden kommen, um uns zu besuchen.
Und sie gingen zu dem Platz, wo die Fremden ankommen würden, und schnitten ein großes "Willkommen" aus den Hecken. Dort warteten sie frohgemut auf die Gäste, auf Frieden für ihr großes, armes Land. Manche sagen, das sei ein Märchen. Doch die wundersamen Worte eines Reisenden erreichten unser Ohr. Wahrhaftig, so hat es sich zugetragen, im wilden Hadramaut, im fernen Lande Jemen, im Jahre 2018. mehr (engl.)
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WAS AMÜSIERT MICH?
Manchmal hat man den Eindruck, fast jeder hat heutzutage eine Drohne in der Garage. Oder zwei. Oder eintausenddreihundertvierundsiebzig. Letzteres in Xi'an, China, wo sie ihre eintausenddreihundertvierundsiebzig Drohnen jetzt mal aus der Garage geholt und gleichzeitig haben fliegen lassen. Bei Nacht. Mit Choreografie. Vielleicht wegen der Lightshow. Vielleicht wegen des Weltrekords. Oder sie haben nur mal die Regale aufgeräumt. mehr
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Zum Schluss ein Hinweis: Kommende Woche schreiben meine Stellvertreter Jan Hollitzer und Rüdiger Schmitz-Normann den Tagesanbruch. Ich bin dann ab Montag, 14. Mai, wieder für Sie da.
Einen frohen Freitag und ein wunderbares Wochenende wünsche ich Ihnen. In ganz Deutschland soll die Sonne scheinen, Hurra!
Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: harms.chefredaktion@t-online.de
Mit Material von dpa.
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