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Breitscheidplatz: Wie andere Länder der Opfer von Anschlägen gedenken


Breitscheidplatz
Wie andere Länder des islamistischen Terrors gedenken

t-online, RP

18.12.2017Lesedauer: 4 Min.
Mass rally for attack victims in ParisVergrößern des Bildes
In der Trauer nicht allein: Staats- und Regierungschefs aus aller Welt gedenken in Paris der Opfer der Anschläge vom November 2015. (Quelle: Olivier Hoslet/dpa-bilder)
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Erst ein Jahr nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz trifft Kanzlerin Angela Merkel die Angehörigen der Opfer. Zu spät. Ein Blick auf Gedenken und Erinnern in anderen Ländern.

Der Prozessauftakt am Montag dauerte nur wenige Minuten. Dann vertagte das Gericht in Brüssel das Verfahren auf den 5. Februar des kommenden Jahres. Angeklagt in Belgien ist Salah Abdeslam, einer der mutmaßlichen Attentäter des Anschlags vom 13. November 2015 in Paris. Der Terror und seine Aufarbeitung lässt Europa nicht los. Ein Blick auf Europas Umgang mit der Erinnerung und den Opfern des Terrors.

Frankreich - die vorbildliche Kunst des Erinnerns: Das Land rückte früh in den Fokus des islamistischen Terrors. Am 7. Januar überfielen zwei Attentäter die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo in Paris, zwölf Menschen starben. Schon kurz nach dem Überfall tauchte auf Twitter der Hashtag auf: #JeSuisCharlie. Weltweit setzte eine Solidaritätsaktion ein für Religionskritik und Meinungsfreiheit.

So war es auch am 13. November 2015 als mutmaßliche Islamisten in Frankreich erst während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland vor dem Stade de France eine Bombe zündeten und später den Musikclub Bataclan im Zentrum von Paris überfielen. 130 Menschen starben, fast siebenhundert weitere wurden verletzt. Die Welt lernte schmerzhaft den solidarischen Hashtag #JeSuisParis. Der Opfer wird später in einem bewegenden Staatsakt gedacht.

In Paris kam es auch zu einer großen Demonstration an der Spitze Staats- und Regierungschefs, darunter Frankreichs Präsident Francois Hollande, Kanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita. Das Signal war klar: Frankreich steht im Kampf gegen den Terror nicht allein. Die Welt zeigte sich solidarisch. Ein vorbildliches Erinnern - nach innen und nach außen.

Belgien - in der Trauer allein: Am 22. März 2016 starben bei Anschlägen am Brüsseler Flughafen und in der Metrostation Maelbeek im Europaviertel 35 Menschen, fast dreihundert weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Die Welt war entsetzt. Aber als wenige Tage später die Innenminister der EU-Staaten zu einem Sondertreffen im Ratsgebäude nur wenige Meter von der U-Bahnstation Maelbeek in Brüssel zusammenkamen, unterließen sie einen demonstrativen Besuch am Anschlagsort. Die Welt ließt Belgien in der Trauer allein, dabei schwang unterschwellig ein leiser Vorwurf mit. Schließlich stammten viele der Pariser-Attentäter vom November aus dem Brüsseler Vorort Molenbeek. Vom „Terrornest“ schrieb die New York Times, die Info-Illustrierte Spiegel urteilte nicht minder gnadenlos: „Belgien exportiert Bier, Pralinen – und Terroristen“. Klang nicht gut für Brüssel. Und für Belgien. Eigentlich war der Anschlag ein Attentat auf das Herz Europas - aber Europa und die Welt solidarisierten sich nicht mit Belgien.

Wenigstens die belgischen Behörden handelten. Sie erkannten den Toten der Anschläge per Brief einen Opferstatus zu. Das erleichterte für die Angehörigen den lästigen Umgang mit den Ämtern. So werden nach einem Gesetz aus dem Jahr 2007 im Fall eines Anschlags die Krankenkassenkosten in Belgien vom Staat übernommen.

Niederlande - die beruhigende Wirkung der Königin: Bei einem Anschlag in Amsterdam wurde am 2. November 2004 der islamkritische Regisseur Theo van Gogh ermordet. Das Land ist kurz im Ausnahmezustand, in einzelnen Städten flogen Brandsätze gegen Moscheen. Es ist Königin Beatrix, die in diesem schwierigen Moment die richtigen Worte fand. In einer Rede an die Nation erinnerte sie an die niederländischen Werte wie Toleranz. Das Wort und die Rede des Staatsoberhaupts wirkten.

Spanien - die politische Instrumentalisierung des Terrors: Bei einem Anschlag auf den Nahverkehr in Madrid wurden am 11. März 2004 191 Menschen getötet. Die Trauer und der Schock werden von der politischen Instrumentalisierung des Attentats überschattet. Spaniens konservativer Premier José Maria Aznar wies wenige Tage vor der Wahl die Verantwortung für den Anschlag der baskischen Terrorgruppe ETA zu - und gewann die Wahl. Erst später wurde der islamistische Hintergrund aufgearbeitet. Versöhnt ist das Land bis heute nicht. Bei einem Anschlag am 17. August 2017 in Barcelona wurden 14 Menschen getötet. Mitten in der Debatte um die Unabhängigkeit Kataloniens einer der wenigen Momente der Einheit in Spanien.

Großbritannien - Ruhe bewahren, weitermachen: Das Vereinigte Königreich rückte am 7. Juli 2005 in den Fokus des islamistischen Terrors. Bei einem Anschlag auf das Nahverkehrssystem starben 52 Menschen. Viele weitere Anschläge folgten. Aber es galt stets das britische Motiv: „Keep calm and carry on“ – Ruhe bewahren und weitermachen. Das mag, wie auch in Spanien, mit der Terrorerfahrung zu tun haben. Großbritannien sah sich jahrelang mit dem Terror der katholizistischen, nordirischen IRA konfrontiert. Die Bevölkerung weiß: Eine restlose Sicherheit gibt es nicht in modernen Gesellschaften.

Deutschland - das große öffentliche Schweigen: Am 19. Dezember 2016 kamen bei einem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz elf Menschen ums Leben. Das Land war schockiert. Aber öffentliche Gesten unterblieben. Kein Trauermarsch, kein öffentliches Gedenken, keine ikonografischen Bilder. Und während die Zeitungen in Frankreich und Belgien den Opfern nach dem Anschlag in Nachrufserien ein Gesicht gaben, blieb es in deutschen Medien still. Die Opfer blieben anonym. So fiel es schwer mit der Empathie.

Das Treffen der Kanzlerin mit den Angehörigen erfolge „zu spät“, sagte Kurt Beck am Montag im ZDF. Der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident und SPD-Chef ist zum Opferbeauftragten der Bundesregierung ernannt worden. Er rügte den Umgang mit Opfern und Angehörigen. Sein Vorbild in Sachen Opferfürsorge ist Frankreich. Dort habe der Staatspräsident nach den Anschlägen der vergangenen Jahre Staatsakte abgehalten und sich bald mit den Opfern getroffen.

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