Streit um Waffenlieferungen Nach Schröder kritisiert auch Gabriel die SPD im Ukraine-Konflikt
In der SPD ist eine Debatte entbrannt über Waffenlieferungen an die Ukraine.
Nach Altkanzler Gerhard Schröder durchkreuzt mit Sigmar Gabriel ein weiterer früherer SPD-Vorsitzender die Linie der Parteiführung in der Ukraine-Krise. Der Ex-Außenminister fordert eine "Diskussion ohne Tabus und Denkverbote" über die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. "Die Wahrheit ist, man kann sich bei Rüstungslieferungen immer schuldig machen – durch Handeln und durch Nichthandeln", sagte er der "Bild am Sonntag".
Parteichef Lars Klingbeil bekräftigte die Absage der SPD-Führung an Waffenlieferungen allerdings prompt. "Wir nehmen gerne Ratschläge entgegen und es ist auch völlig okay, wenn andere sich in die Debatte einmischen. Aber die, die Verantwortung für die Partei tragen, die sind klar und deutlich und unmissverständlich", sagte er in einem Interview für die ZDF-Sendung "Berlin direkt".
Roth wies Schröders Äußerungen zurück
Weder Schröder noch Gabriel haben heute noch eine Funktion in der SPD. Schröder hatte der Nato am Freitag im Podcast "Die Agenda" eine Mitschuld am russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze gegeben und der Ukraine wegen ihrer Forderungen nach Waffen "Säbelrasseln" vorgeworfen.
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Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, wies die Äußerung Schröders beim Nachrichtenportal ntv.de zurück. "Ich halte mich da lieber an die Fakten. Und die lassen doch keine Zweifel zu, wer die Verantwortung für die aktuelle militärische Eskalation trägt." An diesem Montag kommt Klingbeil mit anderen führenden SPD-Politikern zu einer Klausurtagung über die Ukraine-Krise zusammen.
Deutschland "in einem miesen, schlechten Licht"
Der renommierte Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger schlug am Wochenende Alarm, weil er bereits einen spürbaren internationalen Ansehensverlust Deutschlands wegen der Zurückhaltung in der Ukraine-Krise sieht.
"Ungeschicklichkeiten" der Bundesregierungen im Umgang mit der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 und der Frage der Waffenlieferungen hätten dazu geführt, dass Deutschland nun in den USA und bei anderen Bündnispartnern "in einem miesen, schlechten Licht" dastehe, sagte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz der Deutschen Presse-Agentur. "Deutschland hat bei einer ganzen Reihe von Partnern bereits Vertrauen verloren oder riskiert es gerade zu verlieren."
Die Bundesregierung wird vorgeworfen, Russland in der Krise nicht stark genug unter Druck zu setzen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte lange gezögert, bevor er die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 als Sanktionsinstrument für den Fall eines russischen Einmarsches in die Ukraine auf den Tisch legte – und das auch nur verklausuliert.
Ischinger beklagt "Wackeln deutscher Politiker"
Gleichzeitig erteilte er der Lieferung letaler Waffen an die Ukraine anders als andere Bündnispartner eine klare Absage. Das wird von der Ukraine, aber auch von Ländern wie Polen oder den baltischen Staaten kritisiert. In den USA wird ebenfalls die Frage gestellt, ob Deutschland noch ein verlässlicher Partner ist.
Bei allem, was in den letzten Tagen in Washington, Brüssel und Kiew gesagt und in der internationalen Presse über Deutschland geschrieben worden sei, werde ihm "angst und bange", sagte Ischinger. "Es hat einige Ungeschicklichkeiten gegeben. Ich halte die nicht für irreparabel. Aber ein Reputationsschaden ist schon eingetreten." Es werde manches geschehen müssen, um diesen Schaden wieder zu beheben.
Ischinger: Nord Stream 2 "Stachel im Fleisch"
Ischinger beklagte auch, dass die deutsche Zurückhaltung Russland in die Hände spiele. "Das Wackeln verschiedener deutscher Politiker ist natürlich in Moskau genau registriert worden", sagte der frühere deutsche Botschafter in Washington, der zu den erfahrensten deutschen Diplomaten zählt und seit 14 Jahren die Münchner Sicherheitskonferenz leitet.
Dass Deutschland nun so schlecht dasteht, hat für Ischinger zunächst einmal mit Nord Stream 2 zu tun. Er bezeichnete die umstrittene Gaspipeline von Russland nach Deutschland als "Stachel im Fleisch" der deutschen Außenpolitik. "Ich habe den Verdacht, dass wir in der deutschen Politik in Berlin die Größe dieses Stachels und seine negative Wirkung etwas unterschätzt haben. Und dieser Stachel ist jetzt explosionsartig angeschwollen mit der Frage der Waffenlieferungen."
Nicht "weltöffentlich durch den Kakao ziehen lassen"
Bei den Waffen sei "der Eindruck entstanden, dass wir mit gefalteten Händen am Ende des Konvois stehen", beklagte Ischinger. Angesichts der offenen Flanke Deutschlands bei Nord Stream 2 hätte er eine Positionierung in der Mitte für geschickter gehalten – möglichst aufgrund einer EU-Beschlusslage. Angesichts der Vermittlerrolle Deutschlands im Ukraine-Konflikt sei zwar eine gewisse Zurückhaltung beim Thema Waffenlieferungen sinnvoll, sagte Ischinger. "Das muss doch aber nicht heißen, dass wir uns weltöffentlich durch den Kakao ziehen lassen müssen."
Ischinger hält die Kritik an Deutschland in der Sache zwar für nicht ganz fair und verweist auf die umfangreichen deutschen Wirtschafts- und Finanzhilfen für die Ukraine und das über Jahre andauernde diplomatische Engagement zur Lösung des Ukraine-Konflikt. "Aber die Kommunikationspolitik der Bundesregierung war der Bedeutung dieses Vorgangs nicht angemessen", sagt der Sicherheitsexperte.
- Nachrichtenagentur dpa