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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neuer Unionsmanager "Was die Ampel vorhat, ist verfassungswidrig"
Wie will sich die CDU in der Opposition beweisen? Einer, der das gut erklären kann, ist Thorsten Frei. Im Interview sagt er, welche Vorhaben der Ampel er besonders bedenklich findet.
Er ist der neue Manager der Unionsfraktion: Thorsten Frei wurde gerade erst zum Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt. Im Interview mit t-online spricht er über die "wunden Punkte" der Ampelkoalition, den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach und die Zukunft der CDU.
t-online: Herr Frei, Ihr Parteikollege Jens Spahn ist als stellvertretender Fraktionsvorsitzender nun nicht mehr für Gesundheitspolitik verantwortlich. Ein überfälliger Schritt?
Thorsten Frei: Es ist üblich für ehemalige Minister, dass sie in der Fraktion nicht die gleichen Aufgaben wahrnehmen wie in der Regierung. Es wäre nicht richtig, wenn Spahn als ehemaliger Gesundheitsminister nun die Gesundheitspolitik prägen würde, deswegen haben wir eine klare Trennung. Mit seiner Amtsbilanz hat das nichts zu tun.
Für das Thema Gesundheit wird in Ihrer Fraktion künftig Sepp Müller zuständig sein, wie Spahn Bankkaufmann von Beruf. Hat es einen tieferen Sinn, dass in der Union ehemalige Banker diesen Bereich verantworten?
Das ist Zufall. Wir haben den ein oder anderen Bankkaufmann bei uns in der Fraktion.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach befürchtet einen massiven Mangel an Corona-Impfstoffen im ersten Quartal 2022 – und macht Ihren Parteikollegen Jens Spahn dafür verantwortlich. Hat Spahn seinem Nachfolger ein Desaster hinterlassen?
Für mich ist es nicht ausgemacht, ob das Problem, das Karl Lauterbach beschrieben hat, tatsächlich besteht. Selbst wenn es so wäre, ist die Frage, wer dafür die Verantwortung trägt, überhaupt nicht geklärt. Jens Spahn hat darauf hingewiesen, dass bis zum Jahresende etwa 50 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen. So viel braucht man nicht.
Sepp Müller hält Lauterbachs Warnungen vor einem Impfstoffmangel für ein politisches Manöver, mit dem sich der neue Bundesgesundheitsminister profilieren will.
Für mich macht es den Anschein, als wolle da ein Feuerwehrmann ein Feuer löschen, das es gar nicht gibt. Wir haben ohnehin schon aufgeheizte, auch sehr überspitzte Debatten im Zusammenhang mit der Pandemie, etwa über die Impfpflicht. Und da wäre es unverantwortlich, wenn Lauterbach in diese Debatte auch noch Öl gießen würde.
Sie haben angekündigt, die Gesetzesarbeit der Bundesregierung konstruktiv begleiten zu wollen. Nun will die Union gegen den Nachtragshaushalt der Ampelkoalition Verfassungsbeschwerde einreichen. Verstehen Sie das unter einer gedeihlichen Zusammenarbeit?
Die Ampel versucht zielgerichtet, die Schuldenbremse zu umgehen. Sie sagt ganz offen: Wir nehmen die Kredite, die wir nicht für die Corona-Bekämpfung brauchen und transferieren sie in den Energie- und Klimafonds – das sind Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro, eine enorme Summe. Was die Ampel da vorhat, ist verfassungswidrig.
Dann müssten Sie aber auch gegen Ihren eigenen Nachtragshaushalt 2020 klagen. Die Große Koalition hat damals extra die Neuverschuldung erhöht, um Mittel in den Energie- und Klimafonds zu führen.
Das ist nicht vergleichbar. Es ging immer um Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gestanden haben. Auch dort war es so, dass nicht in allen Fällen die Mittel sofort abgeflossen sind und die haben wir dann weiter transferiert. Jetzt haben wir eine Umwidmung. FDP-Chef Christian Lindner hat uns damals im Bundestag übrigens in der Luft zerrissen. Schönere Argumente könnten wir jetzt gar nicht finden als das, was er selbst im Parlament gesagt hat.
Befürchten Sie, dass sich da ein Verhaltensmuster ankündigt? Dass Lindner versucht, für die Finanzierung der Ampelvorhaben Schlupfwinkel zu finden?
Jeder, der den Ampel-Koalitionsvertrag gelesen hat, wird sich die Frage stellen, wie die Ampel den Konflikt auflösen will, dass sie hohe Investitionen, aber keine neuen Schulden will. Das geht nur über Schattenhaushalte. Auch die 400.000 neuen Wohnungen, die gebaut werden sollen, sollen sehr stark über staatliche Gesellschaften wie die Bima abgewickelt werden, Infrastrukturprojekte über die Autobahngesellschaft. Die sind für die Schuldenbremse nicht relevant. Damit schiebt die Ampel die Lasten nur auf die nächste Generation.
Würde man Jugendliche fragen, ob sie lieber keine Staatsschulden wollen oder höhere Investitionen in den Klimaschutz, dann würde sich mit Sicherheit eine deutliche Mehrheit fürs Klima aussprechen. Meinen Sie nicht, die zusätzlichen Milliarden sind gut angelegt?
Diese Argumentation kenne ich gut. Ich war mal Oberbürgermeister und auf kommunaler Ebene rechtfertigt man jede Investition mit dem Argument: Das machen wir für die nächste Generation. Es ist doch so: Am Ende des Tages können wir nur das ausgeben, was wir einnehmen. Diese Regel kann man nicht außer Kraft setzen.
Bei welchen Themen außer dem Haushalt wollen Sie die Ampel attackieren?
Besonders die Pläne der Ampel im Bereich der Migrationspolitik halte ich für grundfalsch. Was Richard von Weizsäcker vor etlichen Jahren gesagt hat, gilt noch immer: "Die Asylmigration ist für diejenigen, die uns brauchen und die Arbeitsmigration ist für diejenigen, die wir brauchen." Die Bundesregierung löst diese Trennung auf und sendet die Botschaft: Du musst es nur nach Deutschland schaffen, verhältst dich für ein paar Jahre ruhig, dann gibt es ein Aufenthaltsrecht und sehr bald auch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) sieht es genau umgekehrt und sagt, die Union habe der Ampel ein absolutes Migrations-Chaos hinterlassen.
Das ist Unsinn. Ich will es keinem Menschen auf der Welt zum Vorwurf machen, wenn er ein besseres Leben sucht. Nur suchen es die meisten inzwischen in Deutschland, was für uns ein echtes Problem ist. Wenn die Ampel ihre Pläne durchsetzt, dann ist Deutschland auch noch der Staat mit der höchsten Chance auf ein Bleiberecht – auch ohne Asylberechtigung. Die Ampel verstärkt damit den Anziehungseffekt um ein Vielfaches und erhöht den Druck auf die EU-Außengrenzen. Wir verscherzen es uns damit mit unseren europäischen Partnern. Dabei haben viele Länder Europas auch im Interesse Deutschlands ihre Grenzen gesichert, wie zuletzt etwa Polen.
Polen wurde für sein Vorgehen an der belarussischen Grenze von vielen Stellen heftig kritisiert, weil Geflüchtete gewaltsam wieder über die Grenze zurückgedrängt wurden. Das verstößt gegen das Völkerrecht.
Die rechtliche Bewertung der Frage, ob Zurückweisungen an der Grenze und die zeitlich begrenzte Aussetzung der Entgegennahme von Asylanträgen mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar ist, obliegt der Europäischen Kommission als "Hüterin der Verträge" und wäre demnach vom EuGH vorzunehmen. Es ist im Augenblick nicht leicht, sich ein Bild zu machen, da niemand in den Grenzbereich vorgelassen wird ...
... auch keine Journalisten ...
... mit der Folge, dass wir keine gesicherten Informationen haben. Wenn es Pushbacks wirklich gab, dann gibt es dafür keine Rechtfertigung. Sie sind illegal. Aber ich bleibe dabei: Die Polen haben enorme Anstrengungen unternommen, um die europäische Außengrenze zu sichern. Auch die Zaunanlagen kritisiere ich ausdrücklich nicht. Wenn es in Europa keine Binnengrenzen geben soll, dann braucht es starke Außengrenzen.
Kommen wir zu Ihrer Partei: Heute endet die erste Runde des CDU-Mitgliederentscheids, morgen wird das Ergebnis bekannt gegeben. Ist die Frage, wer neuer Vorsitzender wird, auch eine Richtungsentscheidung für die CDU?
Nein. Wir haben ja keine Flügel als Union, sondern unterschiedliche Wurzeln: Das ist die christlich-soziale, die liberale und die konservative. Alle diese drei Wurzeln gehören zu unserem Markenkern. Eine Person alleine kann das nicht abbilden. Aber wenn Sie sich anschauen, wie die Teams aussehen, die die drei Kandidaten um sich geschart haben, dann atmen diese den Geist des Ausgleichs.
Als Oppositionspartei scheinen Sie sich ja schon für eine Richtung entschieden zu haben: Sie warnen vor ungesteuerter Einwanderung und kritisieren, dass die Ampel nicht genug für die innere Sicherheit tut. Das klingt wie eine Rückkehr in die 90er. Wer könnte das besser verkörpern als Friedrich Merz?
Das mit den 90ern stelle ich sofort in Abrede. Die Ampel beschneidet die Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Es geht doch eigentlich darum, die Befugnisse aus der analogen auf die digitale Welt zu übertragen. Aber das ist nicht alles: Bei schwersten Straftaten mit richterlicher Anordnung dürfen die Ermittler etwa SMS auslesen, aber nicht WhatsApp-Nachrichten. Ich verstehe den Unterschied nicht. Mit der SPD war da schon in der Großen Koalition nichts zu machen und FDP und Grüne sind, was datenschutzrechtliche Fragen angeht, noch realitätsferner.
Sie stehen vor großen Herausforderungen: Sie müssen die Wähler zurückholen, die Sie an die SPD verloren haben, aber auch die, die in Teilen Sachsens und Thüringens zur AfD wechselten. Kann beides zusammen überhaupt gelingen?
Wir müssen ein Angebot machen, das für die ganze Bevölkerung überzeugend sein kann. Und so ehrlich müssen wir auch sein: Wir haben die Wahl nicht verloren, weil die anderen so toll waren. Wir haben die Wahl verloren, weil wir die Wähler nicht überzeugen konnten. Nun müssen wir es schaffen, dass die Menschen uns wieder vertrauen. Das ist das Ziel.
- Interview mit Thorsten Frei am 15. Dezember in Berlin