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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kür der Spitzenkandidaten Intrigen und offene Machtkämpfe in der AfD
Zwei Duos ringen in der AfD um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl. Gegen das prominente Duo Weidel und Chrupalla kandidieren Digitalpolitikerin Cotar und General Wundrak. Ein Verlierer steht schon jetzt fest.
Normalerweise hat die AfD ein schwieriges Verhältnis zur Presse. Joana Cotar und Joachim Wundrak aber haben in den vergangenen Wochen fleißig Journalisten empfangen, auch an Feiertagen. Denn die beiden haben eine Mission: Ihre Gesichter, ihre Slogans sollen auf den Plakaten der AfD im Bundestagswahlkampf zu sehen sein. Sie wollen die Partei als Spitzenkandidaten anführen – und das sehr viel prominentere Gespann Alice Weidel und Tino Chrupalla ausstechen.
Bis zum Montag, 24. Mai, kann die Basis jetzt online abstimmen: Cotar/Wundrak oder Weidel/Chrupalla?
Ginge es nur nach Prominenz, wäre der Ausgang eindeutig. Fraktionschefin Alice Weidel verkündete ihre Kandidatur mit Chrupalla Anfang des Monats in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" fast beiläufig, vor 2,5 Millionen Zuschauern. Cotar und Wundrak mussten die Presse zu sich einladen und blieben ohne jede Chance auf solche Einschaltquoten.
Doch die AfD gilt, stärker als andere Parteien, als "Wundertüte" bei Abstimmungen. Und Weidel ist nicht unumstritten. Ihr Führungsstil sei fragwürdig bis nicht vorhanden, sagen Kritiker. Mancher fürchtet die Veröffentlichung weiterer Skandale wie die Spendenaffäre. Anderen ist ihr Kuschelkurs mit dem Thüringer Rechtsextremisten und "Flügel"-Gründer Björn Höcke ein Dorn im Auge. Bei Chrupalla hapere es hingegen oft schlicht an Kompetenz, so die Kritik.
Ungleiches Duo, fast widerwillig
Die Alternative in der Alternative hat sich trotzdem nur fast widerwillig gefunden, so scheint es. Es ist ein ungleiches Duo, noch nicht aufeinander eingespielt. Die 48-jährige Hessin Cotar ist digitalpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Sie will der AfD im Wahlkampf mit den Themen Digitales und Bildung ein jüngeres Gesicht geben. Der 65-jährige Wundrak war Generalleutnant der Bundeswehr und hat sich erst nach seiner Pensionierung öffentlich zur AfD bekannt.
Cotar hätte sich lieber mit Chrupalla zusammengetan, daraus macht sie keinen Hehl. Der Malermeister aus Sachsen aber antwortete einfach nicht auf ihre Anfrage, so Cotars Darstellung. "Sehr bedauerlich" finde sie das, sagt sie im Gespräch mit t-online. Taktik, ein Spiel auf Zeit, stöhnen ihre Anhänger. Als Chrupalla nicht reagierte, sagte schließlich Wundrak zu, erzählt er t-online: "Mein Antrieb ist da preußisch pflichtbewusst." Jemand muss den Job ja machen, das ist die Botschaft. Der General kokettiert mit seinem soldatischen Pflichtbewusstsein.
Wahr ist: Die Entscheidung wird in der AfD ein Gradmesser sein, eine erste Entscheidung im zentralen Richtungsstreit vor der Bundestagswahl in der Frage: Wie extrem soll’s werden?
Der Riss geht durch Landesverbände in Ost und West
In Landesverbänden und an der Bundesspitze tobt schon jetzt ein Machtkampf zwischen Sympathisanten des nur formal aufgelösten rechtsextremen "Flügels" um Björn Höcke und den gemäßigter auftretenden Teilen der Partei. In Niedersachsen, Wundraks Bundesland, kämpfen die Lager gerade um die Hoheit über die Wahlliste. Auf der Seite, die als flügelnah gilt, steht auch Landeschef Jens Kestner.
Auch die Spitzenkandidaten-Wahl ist Ausdruck dieser Zerrissenheit der AfD, die sich durch die Landesverbände in Ost wie West zieht. Chrupalla gilt als flügelnah, Weidel als "Scharfmacherin", die sich nach anfänglicher Ablehnung schon länger mit Höcke geeinigt hat. Zuerst auf einen Nichtangriffspakt, vor mehr als einem Jahr lobte Weidel Höcke dann offensiv.
Das Duo Cotar und Wundrak wird hingegen von Parteichef Jörg Meuthen unterstützt, der im November überraschend deutlich in einer Grundsatzrede forderte, die Partei dürfe nicht noch aggressiver und enthemmter auftreten, sie müsse sich von "Provokateuren" distanzieren.
Der Kampf der beiden Strömungen spitzt sich schon länger zu. Bereits im Januar trafen sich Parteispitzen, Sympathisanten und Gründer des "Flügels" in Brandenburg, darunter Chrupalla, Gauland, Kestner, Höcke. Im Zentrum des klandestinen Treffens, das erst später publik wurde, soll neben der Aufstellung für die Bundestagswahl die Frage gestanden haben, wie man Meuthen los werden könne – und zwar so rasch wie möglich.
Die Entscheidung zwischen den beiden potenziellen Spitzenteams ist deswegen auch ein Vorentscheid: Wer hält die Macht in der AfD? Wird sie im Bundestagswahlkampf noch provokanter, härter, schärfer auftreten, um die Prozente im Osten nach oben zu treiben – oder haben Meuthens Leute noch eine Chance mit ihrem Vorhaben, auch die Mitte zu adressieren?
Cotar: Brauchen neue Köpfe ohne "Altlasten"
"Wir durchbrechen die Decke von 11, 12 Prozent nicht", sagt Joana Cotar mit Blick auf aktuelle Umfragen auf Bundesebene. Für bessere Ergebnisse sieht sie nur einen Weg: "Wahlen werden im Westen gewonnen." Die Bürger im Osten tickten anders, die hätten die "Erfahrung aus der DDR noch im Hinterkopf". Dort werde aber ohnehin AfD gewählt – die Partei und das Programm, ganz unabhängig von Gesichtern. Um die Menschen im Westen aber zu erreichen, brauche es jetzt "unverbrauchte Köpfe", die "keine Altlasten mit sich herumtragen".
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Wundrak hält 15 Prozent bei der Bundestagswahl für die AfD für realistisch, sagt er. Wenn man es denn richtig angehe, wenn die Partei das "Provozieren um des Provozierens willen" endlich einstelle. Der "normale deutsche Wähler" wünsche sich eine bestimmte Ruhe und Seriosität, ist er überzeugt. 15 Prozent – das wäre so viel, wie in Umfragen zurzeit die SPD erhält.
Das Höcke-Problem
Ein Ost- oder gar Höcke-Problem wollen die beiden Westdeutschen für ihre Kandidatur nicht sehen. Auch wenn Höcke vor knapp einem Monat auf dem Bundesparteitag in Dresden, als die AfD ihr Wahlprogramm verabschiedete, so prominent aufgetreten ist wie selten.
Die AfD beschloss in Dresden ein radikales Programm, das sich in neuer Härte gegen die EU, Geflüchtete und die Corona-Politik der Bundesregierung wendet. Punkt 1: Deutschland soll aus der Europäischen Union austreten. Außerdem soll die Einwanderung auch von Fachkräften massiv begrenzt werden, anerkannte Flüchtlinge sollen ihre Familien nicht mehr nach Deutschland holen dürfen. Testpflicht und Impfausweise soll es mit der AfD nicht geben.
"Herr Höcke ist kein Liebling der Partei"
Im Gegensatz zu Weidel und Chrupalla gehen Cotar und Wundrak deutlich auf Distanz zu Höcke. "Herr Höcke ist Landespolitiker, er spielt für mich auf Bundesebene keine Rolle", sagt Joana Cotar. "Er ist kein Liebling der Partei, er ist ein Liebling der Medien." Wundrak verweist darauf, dass einige umstrittene Entscheidungen in Dresden am Sonntagnachmittag fielen, als ein Teil der Delegierten aus dem Westen schon abgereist war. Laut Deutscher Presse-Agentur startete der Parteitag mit 570 Delegierten am Samstag, bei der Abstimmung am Sonntag waren nur noch 400 anwesend.
"Das ist taktisches Ausnutzen von Gelegenheiten, das würde ich nicht überbewerten", sagt Wundrak, und räumt zugleich ein: "Die Themen, die er angebracht hat – die spiegeln eben die Stimmungslage in der AfD wider."
Was aber bedeutet "gemäßigt" eigentlich in einer Partei, die ein solches Programm verabschiedet? Wie weit rechts stehen Cotar und Wundrak selbst?
Cotar bezeichnet sich als Vertreterin der "eher freiheitlichen Strömung", Wundrak nennt sich selbst "nationalkonservativ". Er soll, gerade auch als Generalleutnant a.D., als Scharnier dienen, als Brücke in den Osten, als Option auch für "Flügel"-Affine, das wird im Gespräch rasch klar.
Er sehe eine große Übereinstimmung zwischen seiner Position und der von Wählern im Osten, sagt Wundrak. "Da bin ich glaubwürdig, da werden einige sehen, dass ich eine Alternative zu dem Angebot von Chrupalla und Weidel bin."
Maskenpflicht? "Lehne ich ab"
Beide, Cotar wie Wundrak, stehen voll hinter den radikalen Dresdner Parteibeschlüssen. Ein pauschales Verbot des Familiennachzugs für Flüchtlinge, vor dem auch Delegierte auf dem Parteitag warnten, es lasse die Partei "inhuman" erscheinen? Richtig, finden beide, und setzen sprachlich klare Marker: Wundrak spricht von einer Zuwanderung, die "beinahe industriemäßig betrieben" werde, Cotar von "Masseneinwanderung", der durch Einzelfallprüfungen ein Ende gesetzt werden müsse. Gründe, von dem Verbot abzuweichen, fallen ihr nur wenige ein. Krieg ist keiner davon. "Bei Frauen, die vergewaltigt werden, und bei christlichen Flüchtlingen muss man genauer hinschauen", sagt sie.
Die Corona-Krise versteht die AfD schon lange als Chance, die Protestbewegung der "Querdenker" als Wählerpotenzial. Auch das beschränkt sich nicht auf den sogenannten radikaleren Teil der Partei. Cotar wie Wundrak geben gern zu, Demonstrationen der "Querdenker" besucht zu haben. Maskenpflicht? "Lehne ich ab", sagt Cotar. Sie setze auf Eigenverantwortung. Es sei ja auch "wissenschaftlich umstritten, was die Masken überhaupt bringen", sagt Wundrak. Und es würden ohnehin nur die krank, die ein geschwächtes Immunsystem hätten oder einen Mangel an Vitamin D aufwiesen. Theorien, die auch auf "Querdenken"-Demonstrationen populär sind.
Und der Dexit, der geforderte Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, ein als besonders unrealistisch kritisierter Beschlusspunkt des Programms? "Beste Entscheidung, da stehe ich voll dahinter", sagt Cotar prompt. Der "Moloch EU" verfestige sich, gerade in der Corona-Krise. Sie wolle die gesamte EU "rückabwickeln". Für Wundrak ist die "Souveränität der Nationalstaaten" ohnehin ein Steckenpferd.
"Ich bin mit Herrn Meuthen nicht immer einer Meinung. Damit muss er leben"
Parteichef Meuthen, Cotars und Wundraks Förderer, hat sich klar gegen eine zu starke Annäherung an die "Querdenker" und deutlich gegen den Dexit ausgesprochen. "Politik ist die Kunst des Möglichen", appellierte er an die Vernunft der Delegierten auf dem Dresdner Parteitag. Umsonst.
Die Äußerungen von Cotar und Wundrak machen deutlich: Meuthen kämpft gerade in diesen Punkten mit seiner Forderung nach Mäßigung auf verlorenem Posten. Nicht nur in der Partei, sondern auch im eigenen Lager.
"Ich bin mit Herrn Meuthen nicht immer einer Meinung, auch wenn es anders kolportiert wird", sagt Cotar. "Damit muss er leben."
Ob Meuthen so auch an der Spitze der AfD weiterleben kann, bleibt abzuwarten.
- Eigene Recherchen
- Gespräch mit Joana Cotar und Joachim Wundrak
- "RND": "AfD-Geheimtreffen in Brandenburg"
- "Taz": "Kein ruhiges Hinterland"
- "Stuttgarter Zeitung": "Meuthen wendet sich mit Kampfansage an rechten Flügel der Partei"
- "Der Spiegel": "Höckes Flügel und Fraktionschefin Weidel schließen Bündnis"
- "FR": "Alice Weidel lobt Björn Höcke"