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Neues SPD-Papier: Die sozialdemokratische Antwort auf die Klimakrise


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Neues SPD-Papier
Die sozialdemokratische Antwort auf die Klimakrise

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 27.06.2019Lesedauer: 4 Min.
Schienenverkehr spielt eine wichtige Rolle für rote Klimapolitik: Die SPD hat ein Klimapapier beschlossen.Vergrößern des Bildes
Schienenverkehr spielt eine wichtige Rolle für rote Klimapolitik: Die SPD hat ein Klimapapier beschlossen. (Quelle: Manfred Ruckszio/imago)

Die Erde heizt sich auf, die Wähler fordern Lösungen – die SPD hatte sie nicht. Jetzt macht sie Vorschläge. Deren Herleitung ist konsequent, aber Probleme bleiben.

Das Video des Youtubers Rezo, das kurz vor der Europawahl die Politik beschäftigte, hieß: "Zerstörung der CDU". Der wichtigste Vorwurf lautete: Die Partei habe die Klimakrise zu lange ignoriert. Was etwas unterging: Rezo griff die SPD fast ebenso heftig an. Tatsächlich hat sie keinen Begriff davon, was sozialdemokratische Klimapolitik sein könnte.

Die einen wollen radikalen Klimaschutz, die anderen vor allem Kohlekumpel retten, die dritten vor allem niemanden vergraulen und die Niedersachsen VW nicht verärgern.

Dann trat die Chefin zurück

Dass sich das ändern muss, hatte die Vorsitzende Andrea Nahles schon vor der Europawahl erkannt. Deshalb setzte sie einen Prozess in Gang, ein neues Konzept für SPD-Klimapolitik zu erarbeiten. Chefinnensache sollte es sein. Dann trat Nahles Anfang Juni von allen Ämtern zurück. Plötzlich war niemand mehr dafür zuständig, ein Konzept zu erarbeiten für die Lösung eines der dringendsten und aktuell auch präsentesten politischen Probleme der Menschheit, das zu bekämpfen die Menschen vor allem dem gefährlichsten politischen Gegner zutrauen.

Jetzt hat die SPD trotzdem ein Papier beschlossen, unter Federführung des kommissarischen Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel, in Abstimmung mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, Umweltministerin Svenja Schulze und Fachexperten der Partei. Das Präsidium hat es am Donnerstag angenommen. Es liegt t-online.de vor.

Keine Dringlichkeit

Elf Seiten hat das Papier, gegliedert in zehn Punkte. Ein 10-Punkte-Plan ist es trotzdem nicht, denn die einzelnen Kapitel befinden sich auf ganz verschiedenen Ebenen, hängen zusammen, überschneiden sich. Es ist kein ganz großer Wurf geworden, nicht über Wochen und Monate durchgewalkt und abgestimmt. Nicht-Sätze wie "die Schiene muss zukunftsfest gemacht werden" finden sich immer noch. Aus einem früheren Entwurf aus dem Juni ist kaum ein Satz übrig geblieben, viele Vorschläge wurden gestrichen, andere hinzugefügt. Aber es wird zumindest eine klare Erzählung erkennbar.

Die SPD will eine eigene, eine spezifisch sozialdemokratische Klimapolitik anbieten, die nicht mit der der Grünen zu verwechseln ist. Dringliche Warnungen vor den Folgen der Erderhitzung fehlen komplett. "Der Schutz der Umwelt ist nicht alles. Aber ohne ihn kann alles nichts sein." Kann, nicht wird. Dramatischer wird es nicht im Papier. Wie immens der Zeitdruck ist und wie bedrohlich die Lage, entnimmt man dem Konzept nicht.

Konkrete Forderungen:
- Ein Klimaschutzgesetz noch in diesem Jahr (eine Bedingung, die den Koalitionsbruch ermöglichen könnte)
- Kohleausstieg 2038 – oder früher, wenn die Rahmenbedingungen geschaffen sind
- Eine Umschulungsgarantie und ein spezifisches Kurzarbeitergeld ("Tranformationsgeld") für Beschäftigte in Unternehmen, die etwa wegen des Kohleausstiegs Probleme haben
- Aufhebung der Ausbaudeckel für Solarenergie und Windkraft
- Präventiver Ausbau des Leitungsnetzes noch vor dem Kohleausstieg
- 365-Euro-Jahrestickets für den öffentlichen Nahverkehr (das kann der Bund allerdings nicht durchsetzen)
- Weitere Förderung für den Kauf von E-Autos (mehr Förderung für günstige Autos, weniger für teure)
- Dienstwagenprivileg (perspektivisch) nur für E-Autos
- Mehrwertsteuersenkung für Bahntickets
- Steuer auf Kerosin oder Flugtickets – allerdings europaweit (also nicht im Zweifel national)
- eventuell ("Könnte sinnvoll sein") statt der Kaltmiete die Warmmiete zur Grundlager für alle Mietgesetze machen
- energetische Sanierung von sozialem Wohnungsbau stärker fördern
- CO2-Bepreisung (aber ohne Details, ob als Steuer oder Emissionshandel und wie genau) mit Ausschüttung der Einnahmen an die Bürger

Eine schlüssige Erzählung

Stattdessen bleibt die SPD ihrem Ansatz aus dem großen Sozialstaatspapier treu, mit dem sie sich zu Jahresbeginn von Hartz IV lösen wollte: Sie stellt den arbeitenden Menschen ins Zentrum und leitet von ihm alles ab. "Es geht darum, unseren Auftrag als Partei der Arbeitnehmer*innen unter den Vorzeichen dringender klimapolitischer Herausforderungen (...) neu einzulösen." Oder: "Vom gelingen dieser sozial-ökologischen Transformation hängt gute zukünftige Arbeit für Millionen von Menschen und die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts ab." Von Verlässlichkeit für Kumpel ist die Rede. Auf die Kohlekommission ist man stolz.

Übersetzt wird das durchaus in konkrete Maßnahmen: So fordert die Partei eine Kaufprämie für E-Autos, und zwar mehr Geld für günstige Autos und weniger Geld für teure Autos, die sich sowieso nur Gutverdiener leisten können. Gebäude, in denen Sozialwohnungen sind, sollen mehr Förderung für energetische Sanierung bekommen können, im Gegenzug sollen die Kosten der Sanierung nicht wie üblich auf die Miete umgelegt werden.

In der ökologiepolitischen Nische

Wie klingt ein Ökorot im Jahr 2019? Die SPD erzählt sich als Partei, die Klimaschutz als Maßnahme für Wohlstand und gute Arbeit begreift. Ökologisch ist, was Arbeit schafft, Klimaschutz gibt es nicht ohne Arbeitssicherung. "Klimaschutz kann Innovationen 'Made in Germany' antreiben, für neue Arbeitsplätze sorgen und die Exporte unserer Unternehmen stärken." Darin ist sie konsequent.

Es sind natürlich Argumente, die auch alle anderen einflussreichen Parteien außer der AfD machen, so wie alle Parteien außer der AfD auch auf Marktmechanismen setzen, die Dringlichkeit des Problems zumindest formal anerkennen und die Wirtschaft im Blick behalten, aber man kann doch beobachten, dass sich die Parteien ausdifferenzieren und ökologiepolitische Nischen besetzen: Die Grünen warnen am eindringlichsten, die FDP setzt am radikalsten auf den Markt, die Union verteidigt die Industrie am entschiedensten und die SPD betont nun am konsequentesten die Verbindung von Klimaschutz und guter Arbeit.

Nicht so radikal wie der Green New Deal

Wahltaktisch ist das naheliegend, um sich zu unterscheiden und, aus der Perspektive der SPD, nicht mit einem weitgehend identischen Programm mit den Grünen konkurrieren zu müssen, denen mehr Kompetenz und Glaubwürdigkeit zugeschrieben werden. Ob ein solcher Nischenansatz der Dimension des Problems angemessen ist und wie er sich in künftigen Koalitionen in ein Ganzes übersetzt, ist dagegen weniger offensichtlich. Insgesamt wirkt das Papier, als sei es von der Diskussion um einen "Green New Deal" inspiriert – aber in sozialdemokratisch gemilderter Form, ohne die Radikalität des Ur-New-Deals oder der aktuellen Forderungen aus den USA.


Es soll, ist aus der Partei zu hören, allerdings auch nicht alles sein: Von einem ersten Aufschlag ist die Rede, nicht von einem großen konzeptuellen Entwurf.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Beschluss des Präsidiums
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