Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Merkel-Regierung im Abendlicht Ein bisschen Muttermord muss schon sein
Die große Koalition arbeitet emsig Gesetze ab und jede Koalitionspartei darf etwas für ihre Klientel tun. Wie lange noch? Wohl kaum zwei Jahre und auch nicht im glatten Übergang von der einen zur anderen Kanzlerin.
Also, jetzt haben wir auch noch ein Klimakabinett. Die Regierung gibt sich, ein Jahr nach ihrer Formierung, endlich ein Ziel und einen Zweck. Sie richtet sich ökologisch aus, sie wird grün, wir haben eine grüne Bundeskanzlerin und folglich ist es auch kein Wunder, dass die Deutschen Angela Merkel behalten möchten, so lange wie möglich. "Wir wollen ein Land sein, das Klimaziele einhält", darf der Regierungssprecher ankündigen. Bravo, möchte ich rufen, und danke für die späte Besinnung.
Wenn es bloß so wäre. Wenn es nur so gemeint wäre. Wenn es mehr wäre, als eine rasche Reaktion auf diese anschwellenden Schüler-und-Lehrer-und-Eltern-Freitagsdemonstrationen. Wenn es mehr wäre als die übliche Routine Das-nehmen-wir-denen-jetzt-mal-weg-und-dann-beruhigen-sie-sich-schon. Dem Klimakabinett sollen, so heißt es, jene Ministerien angehören, die mit dem Klima zu tun haben. Wer soll das sein? Und wer darf das Gedöns ignorieren?
Mehr Ende als Anfang
Seit einem Jahr regiert diese Koalition vor sich hin. Arbeitsam und mit vielen Gesetzen, die vielen verschiedenen Gruppen zugute kommen. Die Amokläufer aus der CSU haben sich wund gelaufen, immerhin. Aber sonst? Mehr Ende als Anfang, schrieb Nico Fried in einem richtig guten Leitartikel in der "Süddeutschen Zeitung" zum Jubiläum in der vorigen Woche. Er frohlockte nicht, wer würde das auch, er analysierte unzynisch, er bedauerte, dass dieses vierte Kabinett Merkel vieles macht, auch vieles richtig, aber sich nicht zu Größerem aufschwingt, wozu schon mal ein Ziel gehört und auch ein Zweck oder wenigstens eine Überschrift.
- Kommentar: Die erschlaffte Regierung
Eine gelungene Kombination aus Ökologie und Ökonomie wäre so ein Ziel. Wenn sich nicht diese Regierung ernsthaft bemüht, wird es die nächste tun. Wenn es weder die SPD noch die Union schafft, dann werden es die Grünen versuchen dürfen, die dann einer anderen als den sattsam gewohnten Koalitionen angehören sollten.
Doppelstrategien sind angemessen, Vorgaben sollten sein, für Feinstaub wie Dieselmotoren wie E-Mobilität oder Restriktionen für den Autoverkehr in den Großstädten à la London oder Singapur und natürlich das 1,5-Erderwärmungsziel und die Trassen für die Windenergie. Natürlich wird es Widerstand geben, den die Lobby orchestriert, na und? Nicht anders wird es bei der Digitalisierung der Arbeitswelt sein, deren Folgen die Gesellschaft tief greifend verändern wird.
AKK kann nicht zwei Jahre warten
Ironischerweise sind es die Grünen, die immer wieder von der Notwendigkeit sprechen, dass die Regierung tun sollte, was sie tun muss: sich um die großen Probleme ernsthaft und angemessen zu kümmern und dann Gesetze und Regelungen erlassen. So ist es, und sie soll ihr Tun auf ein Ziel ausrichten und einen Zweck bestimmen. Das ist das Lied, das Winfried Kretschmann in seinem Land gesungen hat, und das die Jüngeren jetzt für den Bundestag anstimmen.
Ich vermute, dass wir demnächst nicht nur ein europäisches Parlament und vier Länderparlamente wählen werden, sondern auch den Bundestag. Wer, wie die Kanzlerin, ihren Rückzug verkündet, kann nicht noch zwei Jahre lang regieren, zumal sie ihre Wunschnachfolgerin längst gekürt hat, die keineswegs so lange warten kann, bis sie freundlicherweise übernehmen darf. Ein bisschen Muttermord muss schon sein. Darin liegt nämlich der ultimative Beweis für das Machtbewusstsein, das wir von einer Kanzlerin erwarten. Gerhard Schröder hat Helmut Kohl abgelöst und mit seinem Haifischlächeln auch Oskar Lafontaine vertrieben. Angela Merkels Weg pflastern Männerleichen. Wie du Kohl/Schäuble/Stoiber/Merz, so ich dir, muss der Vorsatz von AKK sein, damit jeder weiß: Yes, she can.
Schwarz-Grüne Koalition nach der nächsten Wahl?
Aber die SPD wird den Kanzlerinnenwechsel nicht mitmachen. Sie wird AKK nicht wählen, das lässt sie heute schon wissen. Sie wird die Gelegenheit nutzen und aus der Koalition aussteigen. Egal, wer nach den drei ostdeutschen Wahlen die Resterampe, zu der die SPD herabgesunken ist, anführen muss: Er oder sie wird dankbar die Ambivalenz beseitigen und sie ganz in die Oppositionspartei verwandeln, die sie jetzt schon ist.
Wer regiert nach der Bundestagswahl mit wem? Jedenfalls nicht die Union mit der SPD. Diesmal wirklich nicht wieder. Wer sich zu Illusionen über Rot-Rot-Grün hinreißen lässt, kann in Berlin empirisch überprüfen, was daraus entsteht: wenig bis nichts, Stagnation durch wechselseitiges Blockieren, an dem die Linke maßgeblichen Anteil hat. Nützt allenfalls der Linken, die einzig auf den Beifall ihrer Klientel bedacht bleibt. Ansonsten niemandem und vor allem der SPD bestürzend (und unverdient) wenig.
Meine Wunschkoalition ist Schwarz-Grün. Mir gefallen der Ernst und die rationale Leidenschaft, die AKK mit Annalena Baerbok und Robert Habeck verbindet. Sie könnten ein Projekt entwerfen, das Strahlkraft besitzt und einen gewissen Sog entwickelt. Der Vorteil von Projekten besteht darin, dass sie Ziel und Zweck definieren müssen.
Vergangenheitsbewältigung bei der SPD
So gesehen wäre Schwarz-Grün das ergänzende Modell zu Rot-Grün aus dem Jahr 1998, das erheblich besser war als sein Ruf. Die wohltuende Konjunktur, die jetzt vielleicht eine Delle erhält, nahm mit der Agenda 2010 ihren Anfang. Nur die SPD hat ein Problem damit und versteht noch immer nicht, dass ihr Niedergang auch mit der seltsamen Vergangenheitsbewältigung zusammenhängt. Für die Grünen war diese Koalition der Beweis ihrer Respektabilität.
Nach den neuesten Umfragen würde es für eine Koalition aus Union und Grünen reichen. Die CDU liegt bei 31, die Grünen bei 17. Noch ein bisschen was hinter dem Komma und schon können sie loslegen.
- Kramp-Karrenbauer über große Koalition: "Kann sein, dass wir im Sommer andere Antworten benötigen"
Für die Kanzlerin und ihr viertes Kabinett fällt die Nacht allmählich herein. Ist wirklich schade darum, dass sie so wenig daraus macht und dass CSU und SPD an Illoyalität schwer zu überbieten sind. Die nächste Regierung kann es nur besser machen.