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Brandenburg-Wahl: SPD rettet sich vor die AfD – jetzt wird es existenziell


Brandenburg-Wahl
Sie kapieren es nur auf die harte Tour


22.09.2024 - 18:55 UhrLesedauer: 4 Min.
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Dietmar Woidke und Olaf ScholzVergrößern des Bildes
Bitte keine Auftritte bei mir: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und sein Kanzlerparteifreund Olaf Scholz (r.) (Quelle: Sebastian Gollnow/dpa/dpa-bilder)

In kompletter Abgrenzung von Ampel und Kanzler hat sich Dietmar Woidke vor der AfD ins Ziel gerettet. Wenn die SPD jetzt nicht begreift und kehrtmacht bei Migration und Sozialem, wird es existenziell. Nicht bloß für Olaf Scholz.

Dietmar Woidke hat über jede Schamgrenze hinweg alles gemacht, was er machen konnte, sich die Berliner Seuche namens Ampel vom Leib zu halten. In beinahe allen zentralen politischen Feldern hatte er sich von der jeweiligen Linie der SPD-geführten Ampel distanziert. Den eigenen Kanzler und Parteifreund wollte er nicht auf seinen Marktplätzen sehen. Und am Schluss hat er sogar seine politische Existenz in die Waagschale geworfen.

Es hat geholfen. Das Senkblei Berlin hat stark an ihm gezogen, er aber hat den Kopf mit aller Kraft über der Wasseroberfläche gehalten. Was ihm dabei half: Er ist trotz oder eben wegen seiner Farblosigkeit als Ministerpräsident allseits beliebt, dass er sogar plakatiert hatte, man müsse die von ihm sonst negierte SPD wählen, um ihn zu bekommen. Denn auf dem Wahlzettel steht SPD und nicht Woidke.

Berlin warf seine Schatten auf Potsdam

Berlin warf bei dieser Wahl seinen langen, dunklen Schatten auf Potsdam. Die Performance der Ampel, der am schlechtesten funktionierenden Bundesregierung, die dieses Land je hatte, hat den Wählerinnen und Wählern den Stift in der Wahlkabine geführt. Und zu annähernd 50 Prozent Protest gewählt.

Die Ursachen für diese Erosion der etablierten Parteien gehen aber nicht nur auf drei quälende Ampeljahre zurück. Politische Stimmungen setzen sich immer aus Oberflächengekräusel des aktuellen Geschehens und Tiefenströmungen zusammen, deren Ursachen längerfristiger Natur sind, aber bis ins Hier und Heute wirken. Im Fall der drei Wahldesaster der Ampel an zwei Wochenenden in diesem Spätsommer hat das Oberflächengekräusel mit der Berliner Ampel und dem ihr vorsitzenden Kanzler zu tun. Woidke wusste schon genau, weshalb er sich ausbedungen hatte, Scholz möge sich, obgleich Wahl-Potsdamer, bitte nicht im Wahlkampf blicken lassen.

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Scholz' kesser Spruch, wer bei ihm Führung bestelle, der bekomme sie auch, hat sich als das leerste politische Versprechen seit "Wir schaffen das" erwiesen. Und im Thema hinter dieser historisch hohlen Merkel-Phrase liegt die Energie der ersten Tiefenströmung. Wie überall in Deutschland, im Osten aber im Besonderen, haben die Wählerinnen und Wähler nach fast zehn Jahren ungesteuerter Migration und permanenter Abwesenheit von wirklicher Kontrolle die Nase gestrichen voll. Die Wahlerfolge der AfD, die Partei lag im Sommer 2015 bei drei Prozent bundesweit, fußen auf genau jenem Umstand. Es mag bei einem Teil ihrer Wähler tiefe Überzeugung sein, ihr Kreuz bei den Blauen zu machen. Bei den meisten aber ist es mehr ein Akt politischer Notwehr. Weil sie von den seit jenem Herbst regierenden Parteien durch die Bank enttäuscht worden sind, vor allem von CDU und SPD. Von den Grünen gar nicht zu reden.

Die Wunden der Wiedervereinigung

Die zweite Tiefenströmung im politischen Ozean dieses Landes ist eine spezifische des Ostens. Auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind die Wunden, die dieser Akt damals zwangsläufig geschlagen hat, immer noch nicht verheilt, bestenfalls schrundig vernarbt. Niemand kann ernsthaft infrage stellen, dass sowohl die friedliche Revolution als auch das Vernähen zweier in der Zwischenzeit konträr verfasster Staaten eine Meisterleistung war, für die Deutschland zu Recht von der ganzen freien Welt bewundert wird. Das bedeutet aber nicht, dass alles perfekt gelaufen ist. Kann es gar nicht bei der monströsen Dimension dieser Operation. Eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Fehler insbesondere der Treuhand ist lange überfällig und müsste endlich eingesetzt werden. Sie wäre ungleich wichtiger als noch ein Untersuchungsausschuss zum Handling der Corona-Pandemie.

Keine einzige der etablierten Parteien inklusive der Linken hat in Brandenburg einen Blumentopf gewonnen. Stattdessen triumphierte Protest in zweierlei Farben. Die SPD hält die AfD nur knapp auf Abstand, das BSW von Sahra Wagenknecht liegt gleichauf mit der CDU. Man könnte daraus folgern, dass die Zeit der Volksparteien, zu denen im weiteren Sinne auch die FDP und die Grünen zählen, vorüber ist. Das ist aber ein Fehlschluss, wie gerade erst eine bemerkenswerte Umfrage des Allensbach-Instituts ergeben hat. Der zufolge sehnen sich 59 beziehungsweise 43 Prozent nach starken und wählbaren Volksparteien CDU und SPD. Insbesondere aber CDU und SPD haben als die Kanzlerparteien im ablaufenden Jahrzehnt der ungesteuerten Migration nicht nur im Osten, dort aber extrem, über Jahrzehnte das Vertrauen der Leute verloren.

Was über zehn bis 30 Jahre lang verloren ging, gewinnt man nicht in Monaten zurück. Es ist ein sehr, sehr langer und mühevoller Weg. Den man obendrein auch gehen wollen muss. Die CDU hat sich unter ihrem Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz auf diesen Weg gemacht und inzwischen konsequent von den Irrungen ihrer letzten Kanzlerin bei der Migration verabschiedet. Sie kann es aber als Opposition vorläufig nicht beweisen.

Realitätsverweigerung bei den Sozialdemokraten

Die SPD könnte das, hat sich aber bis hierher dieser Erkenntnis verweigert, wie der fürchterliche Satz ihrer Vorsitzenden Saskia Esken beweist, aus den Messermorden von Solingen könne man gar nichts lernen. Und von ihrem Bundeskanzler sind bislang auch nur markige Sprüche zu Abschiebungen zu vernehmen, aber wenig Konkretes von einer Zeitenwende in der Migrations- und Sozialpolitik zu sehen: weg von der Fokussierung auf Transferleistungsempfänger hin zu den Belangen arbeitender Steuerzahler.

Wenn die Sozialdemokratie da die Kurve nicht sofort bekommt, egal, mit welcher Person an der Spitze, ist eine Wiederauferstehung ungleich ungewisser als bei den Konservativen, die dabei sind, ihr Ich nach langen Jahren der Selbstentfremdung allmählich wiederzufinden.

Verwendete Quellen
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