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Zustand der Bundeswehr: "Das System ist komplett marode"


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Zustand der Bundeswehr
"Das System ist komplett marode"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 23.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Bundeswehrsoldat bei einer Übung: Lars Winkelsdorf sieht große Probleme bei der Personaldecke der Armee.Vergrößern des Bildes
Bundeswehrsoldat bei einer Übung: Lars Winkelsdorf sieht große Probleme bei der Personaldecke der Armee. (Quelle: Florian Gaertner/imago-images-bilder)
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Wäre Deutschland auf einen russischen Angriff vorbereitet? Ein Experte bewertet die Wehrhaftigkeit der Truppe. Der Zustand ist demnach kritisch.

Glaubt man Alexander Sosnowski, sollte Russland bei der Ukraine nicht halt machen. Jedes Land, das zur Nato gehöre, habe schließlich alles an die ukrainische "Frontlinie geworfen", sagte der angeblich in Deutschland lebende Propagandist kürzlich in einer Talkshow des russischen Staatsfernsehens. Dementsprechend "nackt ausgezogen" sei aktuell auch die Bundeswehr.

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Moderator Wladimir Solowjow, einer der bekanntesten Kremlpropagandisten, stellte daraufhin die Frage, ob man nicht eine weitere Front eröffnen könne, "damit es keine Illusionen bei den Nazis gibt". Solche Drohungen mögen abstrus wirken: Dass sich die Bundeswehr aktuell in keinem guten Zustand befindet, lässt sich trotzdem nicht von der Hand weisen.

So sieht es auch Lars Winkelsdorf. Der Experte für Rüstung und Militär erklärt im Gespräch mit t-online, welche Fehler beim deutschen Militär in den vergangenen Jahrzehnten gemacht wurden, wie das 100-Milliarden-Sondervermögen helfen kann und warum auch in der Rüstungsindustrie ein Umdenken stattfinden sollte.

t-online: Zuletzt wurde in russischen Medien darüber fabuliert, dass Russland Deutschland angreifen könnte, da momentan die Bundeswehr besonders geschwächt sei. Unabhängig davon, wie realistisch solch ein Angriff ist: Wie wäre es um die Wehrfähigkeit unserer Truppen dann bestellt?

Lars Winkelsdorf: Man muss tatsächlich dem Heeresinspekteur Alfons Mais zustimmen, als er sagte: Die Bundeswehr ist blank. Über Jahrzehnte wurden die deutschen Fähigkeiten in der Verteidigung zusammengespart. Ganze Truppengattungen, wie etwa die Heeresflugabwehr, wurden abgeschafft. Genauso wurden bestimmte Waffensysteme vernachlässigt. Den Panzer Gepard, den wir jetzt an die Ukraine liefern wollen, hat die Bundeswehr eigentlich schon abgeschafft. Grob gesagt: Unsere Fähigkeiten in der Flugabwehr haben wir faktisch aufgegeben. Denn in unseren Auslandseinsätzen wurde sie einfach nicht mehr gebraucht. Mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine rächt sich das fatal.

Die Bundesregierung entschied sich dann, ein Sondervermögen von 100 Milliarden einzuführen. Das kann doch nicht ansatzweise ausreichen, um Versäumnisse von Jahrzehnten zu kompensieren.

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die Bundeswehr finanziell besser ausgestattet wird. Doch mehr Geld macht keine Wunderarmee. Mit dem Sondervermögen reparieren wir nur die Schäden der vergangenen 20 Jahre. Doch es bleibt ein großer Personalmangel: Wo sollen die ganzen Leute so schnell herkommen?

Lars Winkelsdorf (*1977) arbeitet als Schießlehrer und selbstständiger Fachdozent in der Sicherheitsbranche. Seit 2005 ist er legitimierter Waffensachverständiger. Außerdem ist er Autor eines Fachbuches zur Schießausbildung. Seit 2003 arbeitet er als freier Journalist für Politmagazine, unter anderem für "Frontal 21" (ZDF), "Report München" und die "Tagesschau" (ARD). Auch auf t-online erschienen bereits Texte von ihm.

Häufig heißt es auch, die Verwaltung arbeite im Verteidigungsministerium und bei der Bundeswehr besonders langsam.

Die Auflösung einer Brigade von Panzergrenadieren benötigt einige Unterschriften und Stempel. Um eine solche Gruppe wieder aufzustellen, braucht es dagegen zehn Jahre. Allein der Kompaniechef muss acht Jahre ausgebildet werden. Beim Personal ist die Situation katastrophal. Ich würde sogar darüber nachdenken, ob man nicht Reservisten oder ehemalige Soldaten mit Zeitverträgen ausstatten kann.

Das Personal ist also die größte Baustelle?

Tatsächlich gibt es eine Reihe von Problemen, ein Beispiel sind auch die Handwaffen. Zuerst hat es mit dem G36-Gewehr nicht geklappt, beim Nachfolger hat es wieder nicht funktioniert. Für unsere Leopard-2-Panzer haben wir vielleicht 6.000 Schuss für die gesamte Bundeswehr.

Angeblich sollen die Bestände bei der Munition generell nur für wenige Tage ausreichen. Wie kann das sein?

Die lässt sich nicht so einfach nachkaufen: Die Fertigung bei den Rüstungsunternehmen wurde immer weiter zurückgefahren, der Bedarf war nicht da.

Weil sowohl Industrie als auch Militär nicht mehr davon ausgingen, dass wir in Europa in einen Krieg geraten, der wieder mit Panzern geführt wird?

Dieses Risiko wurde vollkommen vernachlässigt. Ich sage gerne: 1990 ist der Frieden ausgebrochen. Hinzu kommt: Die Auslandseinsätze deutscher Soldaten hatten in den vergangenen Jahren vollkommen andere Anforderungen, etwa in Mali oder Afghanistan.

Bei der Munition hieß es zuletzt, dass das Defizit wohl zwischen 20 und 30 Milliarden Euro liege.

Diese Schätzung halte ich für realistisch. Das Problem lässt sich ebenfalls nicht so schnell beheben. Auch für die Rüstungsindustrie gilt, dass es erst mal Personal braucht, das die ganze Munition herstellt.

Wir reden über viele Mängel, der Wehretat ist allerdings in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen.

Die Ausgaben mögen gestiegen sein, aber es ist wichtig, genau hinzuschauen. Viele Projekte sind zum Beispiel teurer geworden als erwartet. Denken wir nur an die Debakel um die Gorch Fock oder die Eurohawk-Drohnen. Auch die bereits vorhandene Ausrüstung ist über die Jahre immer kostspieliger geworden. Es wurden etwa Funkgeräte neu nachgebaut, deren Technik aus den Achtzigern stammt, damit sie mit anderen Geräten der Bundeswehr kompatibel sind. Niemand von uns würde das so machen. Aber im System Bundeswehr erschien das sinnvoll. Man muss das so hart sagen: Dass die Bundeswehr noch funktioniert, liegt an den Soldaten. Das System ist komplett marode.

Aus diesem System gibt Deutschland Waffen und weitere Güter an die Ukraine ab.

Isoliert betrachtet schwächt das auch die Bundeswehr. Die Entscheidung, der Ukraine zu helfen, ist aber zweifelsfrei richtig. Ich sehe allerdings nicht, dass in Deutschland Anstrengungen unternommen werden, um die Bestände wieder aufzufüllen. Die fast 15.000 Panzerminen kann die Ukraine sicher gebrauchen, aber wir benötigen sie perspektivisch auch.

Wären wir also allein für unsere Sicherheit verantwortlich, müsste man sich große Sorgen machen.

Der Punkt ist aber, dass wir das eben nicht sind. Die russische Propaganda sagt: Deutschland ist schwach, deshalb sollten wir angreifen. Aber wir sind eben im Rahmen der Nato geschützt. Solange der Westen zusammenhält, kann wirklich jeder von uns beruhigt schlafen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Lars Winkelsdorf am 22.6.2022
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