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Ukraine-Krieg | Russische Raketen auf Deutschland? Putin "unberechenbar"


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Russische Raketen auf Deutschland?
"Putin hat bewiesen, wie unberechenbar er ist"


Aktualisiert am 29.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Russisches Luftabwehrsystem bei einer Übung im Süden des Landes.Vergrößern des Bildes
Russisches Luftabwehrsystem bei einer Übung im Süden des Landes. (Quelle: Russische Armee/ap)

In fünf Minuten könnten russische Iskander-Raketen Deutschland erreichen. Seit die Bundesregierung das als Bedrohung einstuft, wird klar: Gegen Raketenangriffe ist das Land schutzlos. Wie dringend braucht Deutschland einen Raketenschild?

Ein Geschwader brennender Flugkörper steigt in die Luft und fliegt fast schwerelos über dem Meer. Die Raketen, offenbar abgeschossen von russischen Schiffen in der Nähe der Krim, kennen wohl nur ein Ziel: die Ukraine.

Das wackelige Video, offenbar aufgenommen im Hafen von Sewastopol, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, lässt Schlimmes erahnen. Wohin die Marschflugkörper ihre tödliche Ladung gebracht haben und welche Zerstörungen sie angerichtet haben, ist nicht bekannt. Doch es sind solche Szenen, die auch in Deutschland eine Debatte darüber entfacht haben, wie sich das Land vor möglichen Raketenangriffen aus Moskau schützen kann.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bestätigte am Sonntag bei "Anne Will" Pläne der Ampel, ein Raketenabwehrsystem anzuschaffen. "Das gehört ganz sicher zu den Dingen, die wir beraten, aus gutem Grund", so Scholz, ohne konkreter zu werden. "Wir müssen uns alle darauf vorbereiten, dass wir einen Nachbarn haben, der gegenwärtig bereit ist, Gewalt anzuwenden, um seine Interessen durchzusetzen."

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Zuvor hatte die "Bild am Sonntag" über ein Gespräch von Scholz mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, berichtet. Das Thema: einen "Raketenschutzschild über dem Bundesgebiet" zu installieren. Im Fokus stehe das israelische System "Arrow 3", das angreifende Raketen außerhalb der Atmosphäre abfangen kann. Ein Teil des 100 Milliarden Euro schweren Sondertopfs für die Truppe soll dafür verwendet werden.

Doch noch sind viele Fragen offen, etwa: Wie akut sieht die Bundesregierung die Gefahr, von russischen Raketen getroffen zu werden? Was muss der Raketenschutzschild können? Um welche Bedrohungen geht es? Und: Wie teuer wird es?

"Dann wäre Deutschland direkt bedroht"

Lange schien es diverse Bundesregierungen nicht zu stören, dass eine wirksame deutsche Raketenabwehr nicht existiert. Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine hat sich die Ampelkoalition zu einer Neubewertung des Regimes Wladimir Putins durchgerungen. Nun soll auch ein Raketenabwehrsystem besorgt werden – und zwar möglichst "schnell", ließ die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Agnes Strack-Zimmermann (FDP), wissen.

Doch wie dringend braucht Deutschland ein solches System wirklich? Denn den "Nachbarn, der bereit ist, Gewalt anzuwenden" (O-Ton Scholz) gibt es nicht erst seit ein paar Monaten: Russland marschierte 2008 in Georgien ein, annektierte 2014 – mit militärischer Gewalt – die Krim und führte Krieg im Osten der Ukraine. Warum also jetzt?

Es gehe vor allem um den Schutz Osteuropas und die baltischen Staaten, die Bundesrepublik sei derzeit eher "mittelbar betroffen", so CDU-Militärexperte Roderich Kiesewetter zu t-online. Scholz' "zurückhaltende" Äußerungen bei "Anne Will" legten nahe, dass aus Sicht der Bundesregierung russische Raketen für Deutschland im Moment eher eine "abstrakte Bedrohung" darstellten, so Kiesewetter. Eine Einschätzung, die er nur teilweise nachvollziehen könne.

Kiesewetter ist überzeugt: "Sollte Putin tatsächlich das Baltikum überfallen, wäre Deutschland auch direkt bedroht." Man müsse sich auch für solche Szenarien wappnen und mittelfristig die "bodengebundene Luftverteidigung" im Nato-Gebiet modernisieren.

Einen Zahn zulegen will hingegen der Hauptberichterstatter im Haushaltsausschuss für den Verteidigungsetat, Andreas Schwarz. Man brauche ein Raketenschutzschild "so schnell wie möglich", so der SPD-Politiker gegenüber t-online. "Wir wissen, dass auch Terroristen über Raketen verfügen. Daher gibt es keinen Grund, zu warten."

Wie gut ist Deutschland derzeit vor Raketenangriffen geschützt?

Für Raketenangriffe auf mittlere Distanz verfügt die Bundeswehr über das Flugabwehrraketensystem Patriot: Damit können feindliche Flugzeuge, Marschflugkörper oder Mittelstreckenraketen abgefangen werden. Die Patriot-Raketen erreichen Höhen von bis zu 30 Kilometern.

Doch darüber hinaus sieht es mau aus: Ballistischen Raketen, die auf ihrer Bahn große Höhen erreichen und deswegen erst kurz vor dem Einschlag zerstört werden können, hat die Bundeswehr aktuell nichts entgegenzusetzen.

"Wir haben fast nichts", beschreibt CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter die aktuelle "Fähigkeitslücke" der Bundeswehr. Die Patriot-Systeme wurden zudem reduziert, ein Teil in die Slowakei und die Türkei geliefert. Derzeit gebe es nur noch zwölf Abschussanlagen – was nicht annähernd für eine lückenlose Abschirmung reiche. "Deutschland hatte keine Kultur, seine Sicherheit umfassend zu schützen", so Kiesewetter. Nun müsse schnell nachgebessert werden.

Was kann das "Arrow 3"-System?

Hier kommt das "Arrow 3"-System ins Spiel. Es wird in Israel hergestellt und bildet dort die höchste Stufe der mehrstufigen Raketenabwehr des Landes. "Arrow 3"-Raketen können Kurz- und Mittelstreckenraketen abfangen sowie Ziele bis über 100 Kilometer Höhe in der Stratosphäre zerstören. Dabei erreichen sie in der Spitze eine neunfache Schallgeschwindigkeit (Mach 9).

Ob und wieweit sich die Bundesregierung bereits auf das "Arrow 3"-System festgelegt hat, ist unklar. Klar ist, dass es sich nicht um das "Iron Dome"-System ("Eiserne Kuppel"), mit dem Israel seit Jahren Raketen palästinensischer Terrorgruppen abfängt, bemüht. "Das ist Unsinn, Iron Dome fängt Kurzstreckenraketen ab und bringt Deutschland überhaupt nichts", so Kiesewetter. Stattdessen brauche man ein Schutzschild vor Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 800 bis 5.500 Kilometern, etwa "wenn diese in Kaliningrad oder in Belarus stehen".

Laut dem SPD-Politiker Schwarz werde sich die Ampel eng mit der Bundeswehr abstimmen, welches System letztlich angeschafft werde. "Die Entscheidung wird dann der Deutsche Bundestag treffen."

Was kostet das Arrow-System und bis wann ist es einsatzbereit?

Ob die Bundesregierung tatsächlich, das Arrow-System kauft oder least – etwa um parallel in europäische Entwicklungen zu investieren und die Arrow-Raketen später zurückzugeben –, ist derzeit unklar. Die Kosten werden laut "Bild am Sonntag" auf rund zwei Milliarden Euro geschätzt – was der Sicherheitsexperte Thomas Wiegold in seinem Blog bezweifelt.

CDU-Politiker Kiesewetter plädiert für eine "ergebnisoffene Diskussion", bei der mögliche Alternativen auf dem Markt geprüft werden und zuvor die strategische Überlegung steht: Was und wer soll eigentlich beschützt werden? "Ein deutscher Raketenschutzschild darf nicht isoliert angegangen werden, sondern muss in die Nato-Flugabwehrverteidigung integriert werden", so der CDU-Politiker Kiesewetter.

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Denkbar seien die Stationierung von Radaren in Deutschland und von Raketenabschussrampen in Osteuropa. Das würde zudem der "Verzahnung" der Nato-Staaten bei der gemeinsamen Verteidigung zugutekommen.

Auch Wolfgang Richter, Militärexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), fordert eine genaue Prüfung der Optionen, sagt aber auch: "Kurzfristig muss eine Fähigkeitslücke geschlossen werden." Allzu lange dürfe man nicht warten.

Schutzlos gegen russische Überschallraketen

Doch auch das "Arrow 3"-System hat seine Grenzen: "Wir brauchen ein Raketensystem, das bessere Leistung bringt", so Militärexperte Richter auf Anfrage. "Wenn ein Staat bereit ist, für seine imperialen Ziele auch Raketen einzusetzen, muss man sich wappnen." Denn "Arrow 3" könnte letztlich auch gegen russische Hyperschallwaffen vom Typ Kinschal nichts ausrichten. "Diese semi-ballistischen Raketen sind schon schwer zu erfassen. Die werden 20 Kilometer in die Luft geschossen, kommen dann plötzlich hinter dem Horizont hervor und können jederzeit ihre Flugbahn ändern", so Richter. Herkömmliche Flugabwehrsysteme sähen dagegen alt aus.

Die Alternative wäre, auf die Entwicklung eines vergleichbaren Systems zu setzen, um den Gegner abzuschrecken. Davon hielten deutsche Regierungen jedoch bislang nichts. Nachdem Russland sein Waffensystem getestet hatte, forderte im März 2019 der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD) eine Ächtung und ein Regelwerk. Er kündigte einen "internationalen Raketendialog" auf einem Treffen an, das unter dem Motto "Rüstungskontrolle neu denken" stand.

Statt solche Waffensysteme zu ächten, könnte sich die Ampel nun dazu entscheiden, künftig Aufrüstung und Landesverteidigung "neu zu denken". Denn, so SPD-Politiker Schwarz: "Putin hat bewiesen, wie unberechenbar er ist".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefonat mit Roderich Kiesewetter
  • Telefonat mit Wolfgang Richter
  • Email-Anfrage an Andreas Schwarz
  • Material der Nachrichtenagentur dpa
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