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Bundeswehr: Generalinspekteur Breuer fordert Raketenabwehr – aber reicht das?


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Russische Angriffe in fünf bis acht Jahren?
Experte: "Das Szenario ist realistisch bis optimistisch"


Aktualisiert am 24.03.2024Lesedauer: 4 Min.
Ein russischer Soldat posiert mit einem Raketenwerfer: Die Meinungen zur Ukraine sind in Russlands Armee sehr unterschiedlich, sagt ein Deserteur.Vergrößern des Bildes
Ein russischer Soldat posiert mit einem Manpad (Archivbild): "Es braucht Verstärkung in allen Bereichen", sagt Experte Christian Mölling mit Blick auf Deutschlands Raketenabwehr. (Quelle: IMAGO/Stanislav Krasilnikov)

Immer mehr Stimmen warnen vor einem russischen Angriff auf die Nato. Generalinspekteur Breuer fordert deshalb mehr Raketenabwehr. Doch reicht das?

Die Bundeswehr ist nach jahrelangen Einsparungen in einem schlechten Zustand. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Das führte der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine den deutschen Entscheidungsträgern nochmals schmerzhaft vor Augen. Seit 2022 will man gegensteuern: Im Zuge der von Kanzler Scholz so genannten Zeitenwende verabschiedete der Bundestag ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will die Bundeswehr wieder "kriegstüchtig" machen. Mittlerweile ist klar: Einfach wird die Wiederherstellung der deutschen Verteidigungsfähigkeit nicht.

Denn jetzt muss es schnell gehen, wie Bundeswehrgeneralinspekteur Carsten Breuer verdeutlicht: "Wir sehen Russland in einem Zeitfenster von fünf bis acht Jahren befähigt, einen Krieg gegen Nato-Staaten führen zu können", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Freitag. "In diesem Zeitraum müssen wir eine Raketenabwehr aufbauen. Das ist ohne Alternative", sagte Breuer. Deutschland müsse in die Lage versetzt werden, einen russischen Angriff abzuwehren, das Militär auf den "ungünstigsten Fall vorbereitet sein".

Breuers Warnung ist eindringlich – und wirft doch Fragen auf. Angesichts des allgemeinen Zustands der Bundeswehr verwundert es zunächst, dass Deutschlands oberster Soldat seinen Fokus vor allem auf die Raketenabwehr legt. Fehlt es den deutschen Streitkräften tatsächlich nur an dieser Fähigkeit? Sicherheitsexperte Christian Mölling meldet im Gespräch mit t-online Zweifel an den Aussagen Breuers an.

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(Quelle: teutopress GmbH/imago-images-bilder)

Zur Person

Christian Mölling leitet das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sein Schwerpunkt liegt auf der Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands und europäischer Länder, militärischen Fähigkeiten und der Rüstungsindustrie.

"Es braucht Verstärkung in allen Bereichen"

Mölling gibt dem Generalinspekteur mit Blick auf dessen Warnung vor einer Bedrohung zunächst recht. "Breuers Szenario ist realistisch bis optimistisch", meint der Experte. Denn längst würden Stimmen etwa aus Litauen davor warnen, dass es schon deutlich früher zu einem russischen Angriff kommen könnte. Zuletzt berichtete der "Business Insider" zudem, dass deutsche Nachrichtendienste davor warnten, dass Putin bereits "ab 2026" den Befehl zum Angriff auf Nato-Gebiet geben könnte.

Warum Breuer sich angesichts dessen lediglich auf die Raketenabwehr konzentriert, kann Mölling nicht schlussendlich erklären. Kriege würden längst in mehreren Domänen geführt – "nicht mehr nur an Land, sondern auch zu Wasser, in der Luft und auch im Cyberspace", sagt der Experte. "Es braucht also Verstärkung in allen Bereichen." Tatsächlich aber habe Deutschland bei der Raketenabwehr prozentual gesehen den größten Nachholbedarf: "Die Nato geht wohl von einem Defizit von etwa 800 Prozent aus", sagt Mölling. In Europa habe man nach dem Ende des Kalten Krieges in diesem Bereich stark abgerüstet. "Man sah die Notwendigkeit nicht mehr."

"Das rächt sich jetzt", meint Mölling. Bereits angestoßene Initiativen würden in ihrem Umfang längst nicht ausreichen. Schon im Oktober 2022 haben Deutschland und weitere europäische Staaten die "European Sky Shield Initiative" unterzeichnet. Mittlerweile 19 Nato-Staaten wollen sich so gemeinsam gegen Angriffe mit Raketen, Marschflugkörpern oder Drohnen wappnen. Deutschland hat in diesem Rahmen bereits die Beschaffung weiterer Patriot-Flugabwehrsysteme und des israelischen Raketenschutzschirms Arrow 3 beschlossen. Dieser soll laut Verteidigungsministerium erst ab 2030 vollständigen Schutz gewährleisten.

Video | "Arrow 3": Das kann der neue Raketenschutzschirm
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Quelle: t-online

"Für die russische Bedrohung ist das System nicht geeignet"

Dass sich die Bundesregierung für das israelische System entschieden hat, kritisiert Mölling: "Arrow 3 ist ein 'nice-to-have', zur Abwehr einer russischen Bedrohung ist das System aber nicht geeignet." Denn der Schutzschirm sei für Raketen ausgelegt, über die Russland derzeit gar nicht verfüge. Arrow 3 spielt seine Stärken bei Raketen aus, die in mehr als 100 Kilometern Höhe anfliegen. Die ballistischen Raketen Russlands fliegen jedoch gar nicht so hoch. Die Anschaffung des Systems ist deshalb umstritten.

"Es lohnt sich nicht wirklich, eine Bedrohung mitzudenken, die derzeit gar nicht da ist", sagt Mölling. Auch der Verteidigungsexperte Fabian Hoffmann von der Universität Oslo kritisiert die Anschaffung: "Das Geld wäre wohl besser in mehr Patriot-Batterien oder weitere Iris-T-Systeme angelegt", sagte er im Januar im t-online-Interview. Das ganze Gespräch lesen Sie hier.

Laut Mölling brauchen die Bundeswehr, Deutschland und Europa darüber hinaus aber weitere Fähigkeiten. "Denn um einen Raketenbeschuss zu verhindern, hat man drei Möglichkeiten: Man schießt die bereits fliegende Rakete ab, man zerstört den Raketenwerfer oder aber man verhindert, dass die Raketen überhaupt gebaut werden", erklärt der Experte.

"Uns läuft die Zeit davon und es fehlt an Geldern"

Für Zweiteres komme die sogenannte weitreichende Raketenartillerie infrage, meint Mölling. Dazu könnte einerseits der Taurus-Marschflugkörper zählen, der aus der Luft abgefeuert wird. Andererseits aber wären auch landgestützte Marschflugkörper eine Option. "Über solche Systeme verfügt die Bundeswehr bisher nicht, die Nationale Sicherheitsstrategie sieht sie aber vor", sagt Mölling. Mehr zur Sicherheitsstrategie der Bundesregierung lesen Sie hier.

Besonders landgestützte Marschflugkörper könnten Russland vor "erhebliche Probleme" stellen, "da die Abschussanlagen schwer aufzuklären sind", sagt Mölling. Anders als Flugzeuge sind landgestützte Abschussanlagen etwa mit Radartechnik schwerer aufzuspüren.

Doch zwei Probleme bleiben: "Uns läuft die Zeit davon und es fehlt an Geldern", sagt Mölling. Möchte man Systeme wie landgestützte Marschflugkörper beschaffen, müssten diese erst noch entwickelt und dann produziert werden. "Wenn wir wirklich nur fünf bis acht Jahre oder sogar weniger Zeit haben, dann wird es eng", so der Experte.

"Vielleicht noch wichtiger ist es aber, dass Russland die Raketen gar nicht erst produzieren kann", erklärt Mölling. In jeder russischen Rakete steckten noch immer westliche Bauteile, vor allem Mikrochips. Russland sollte wegen der westlichen Sanktionen eigentlich nicht mehr über diese Technik verfügen. Bisher gelingt es Russland aber, die Strafmaßnahmen in weiten Teilen zu umgehen. Mehr dazu lesen Sie hier. "Wenn man effektiv verhindert, dass diese Mikrochips nach Russland gelangen, reduziert man die industriellen Fähigkeiten Russlands und damit die Bedrohung für Europa erheblich", so Mölling.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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