Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online."Hart aber fair" zur Lage der Bundeswehr "Das ist bitter für alle, die friedensbewegt sind"
Kann sich Europa ohne die USA verteidigen? Diese Frage diskutierten die Gäste bei "Hart aber fair" – und kamen zu eindeutigen Antworten.
Die Missstände der Bundeswehr und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands machte "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth am Montagabend zum Thema seiner Sendung und wollte von seinen Gästen wissen: "Die Ukraine kämpft, die Bundeswehr übt noch: Muss Deutschland Krieg können?"
Als Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) den deutschen Streitkräften kürzlich attestierte, nicht verteidigungsfähig zu sein, befeuerte er damit eine weitverbreitete Befürchtung. Die Bundeswehr wäre, sollte es zu "einem offensiven, brutal geführten Angriffskrieg" kommen, wohl nicht in der Lage, die Bevölkerung im eigenen oder einem verbündeten Land ausreichend zu beschützen. Es mangelt an Ausrüstung, Munition, Personal und vielem mehr. Die Konsequenzen diskutierte Klamroth mit seinen Gästen.
Die Gäste:
- Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
- Franz Alt, Friedensaktivist
- Paul Ronzheimer, "Bild"-Kriegsreporter
- Mariya Maksymtsiv, in Deutschland lebende Ukrainerin
- Ulrike Winkelmann, "taz"-Chefredakteurin
Ihm sei bei der Frage, ob Deutschland Krieg könne, nicht ganz wohl, gestand der langjährige Friedensaktivist Franz Alt ein. Der 84-Jährige erinnerte daran, dass die Welt im vergangenen Jahrhundert zweimal auf furchtbare Art und Weise erlebt habe, dass Deutschland Krieg könne. "Wichtiger wäre, dass wir Frieden können", so der Aufruf des Journalisten.
Der Sozialdemokrat Michael Roth konzentrierte sich hingegen auf die jüngere deutsche Vergangenheit. Politik und Gesellschaft bescheinigte er im Rückblick schwere Versäumnisse. Man habe nach Putins völkerrechtswidriger Annexion der Krim den Fehler gemacht, ausschließlich auf Dialog zu setzen, und darüber die Wehrhaftigkeit vergessen.
Europas Verteidigung hängt von USA ab
"Wir müssen mal ganz ehrlich und selbstkritisch sagen als Europäerinnen und Europäer: Unseren Arsch retten derzeit die Amerikaner", urteilte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses unverblümt. US-Präsident Biden blicke zwar weiterhin mit großem Wohlwollen auf Europa, aber man könne nicht darauf setzen, dass das auch nach ihm noch der Fall sei.
Die "taz"-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann sah die Zeit, in der man sich hierzulande militärisch auf die USA verlassen konnte, bereits an ein Ende gekommen. "Ich fürchte, das ist vorbei", erklärte die Journalistin. Es müsse als Lehre aus dem letzten Jahr nicht nur über Frieden, sondern tatsächlich auch über die Verteidigungsfähigkeit geredet werden. "Das ist bitter für alle, die friedensbewegt sind und waren, das ist bitter für alle, die sich dem militärkritischen Lager zurechnen", sagte Winkelmann und meinte damit auch sich selbst.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Wie es sich anfühlt, wenn die Frage nach der militärischen Stärke keine theoretische mehr ist, sondern das Überleben des eigenen Volkes und der eigenen Familie davon abhängt, ging aus den Worten Mariya Maksymtsivs hervor. Die in Lwiw geborene Ukrainerin lebt schon länger in Hannover, wo ihr Ehemann als Pfarrer die ukrainisch-katholische Gemeinde betreut. Immer wieder kehrt sie in die Heimat zurück, um ihre Landsleute ehrenamtlich zu unterstützen. Der innigste Wunsch der Finanzbuchhalterin: Ein Sieg der Ukraine und eine gemeinsame Tasse Kaffee mit ihrem Bruder, der zurzeit an vorderster Front gegen Putins Armee kämpft.
Ukrainerin kritisiert schleppende Waffenlieferungen
Ihr Land werde kein einziges Prozent seines Territoriums an die Russen abgeben, erklärte Maksymtsiv und fügte unmissverständlich hinzu: "Die müssen einfach weg." Gleichzeitig betonte die Ukrainerin, wie stark und dringend man auf die westliche Unterstützung angewiesen sei: "Das dauert alles viel, viel zu lang mit diesen Waffenlieferungen. Wir brauchen diese Waffen."
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Eine Einschätzung, die der Kriegsreporter Paul Ronzheimer teilte. Die deutsche Politik habe immer etwas ausgeschlossen, was sie anschließend mit großer Verspätung doch gemacht habe. Die ukrainischen Partner habe man auf diese Weise verärgert, auch wenn das Verhältnis zwischenzeitlich besser geworden sei. "Mein Eindruck von der ukrainischen Politik ist: Man ist etwas weniger wütend, aber immer noch nicht zufrieden."
Der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur wertete in diesem Zusammenhang die kürzlich eingetroffene Lieferung von achtzehn Leopard-Panzern, über die in Deutschland lange diskutiert worden war, als "nicht entscheidend für die Offensive". Insgesamt machten die ungefähr 150 bis 200 Panzer aus dem Westen aber selbstverständlich einen Unterschied.
Woran es derzeit vor allem mangele, sei Munition, berichtete Ronzheimer von seinen Begegnungen mit ukrainischen Soldaten in der stark umkämpften Stadt Bachmut.
Für die nächsten Wochen oder Monate äußerte Ronzheimer die Hoffnung, dass die Ukrainer Gebiete im Osten und im Süden des Landes zurückerobern könnten. Vom Verlauf der Offensive hänge auch ab, ob es etwa im Herbst dieses Jahres zu Verhandlungen mit Russland komme, prognostizierte der Reporter.
Eine Vorhersage zur Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr wollte in der Runde hingegen niemand wagen. Das reichte allerdings, um zu verstehen zu geben, dass sie so bald nicht wiederhergestellt sein dürfte.
- "Hart aber fair" vom 3. April 2023