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Bundeswehr | Schwer verletzt in Niger: Wie Michelle N. sich zurück kämpfte


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Schwer verletzte Soldatin
Einmal Hölle und zurück

Von Peter Tauber

Aktualisiert am 27.12.2022Lesedauer: 7 Min.
Trotz eines schweren Unfalls ist die Bundeswehrsoldatin Michelle N. wieder in den Einsatz zurückgekehrt.Vergrößern des Bildes
Trotz eines schweren Unfalls ist die Bundeswehrsoldatin Michelle N. wieder in den Einsatz zurückgekehrt. (Quelle: Instagramprofil von Michelle N. (@fluegelflatterschlagen))
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Der große Traum von Michelle N. ist es, zur Bundeswehr zu gehen. Doch dann wird sie bei einem Einsatz in Niger schwer verletzt.

Schon früh will Michelle N. Soldatin werden, so wie ihr Onkel, der mehrfach in Afghanistan im Einsatz war. In den ersten Jahren des Einsatzes waren die Soldaten viel draußen im Land unterwegs. Ihr Onkel berichtet von den Begegnungen, und die junge Frau, die sich bei Unicef ehrenamtlich engagiert, ist begeistert. Sie will etwas bewegen in der Welt. Und sie hat das Gefühl, das könnte sie in der Bundeswehr.

Ex-CDU-Generalsekretär Peter Tauber
Ex-CDU-Generalsekretär Peter Tauber (Quelle: bene!/Droemer Knaur)

Ein Buch über das Weitermachen

Der Text ist eine stark gekürzte Fassung aus dem Buch "Mutmacher – Was uns endlich wieder nach vorne schauen lässt", geschrieben vom früheren CDU-Generalsekretär und Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber. Es erscheint bei bene!/Droemer Knaur und ist ab dem 1. Februar 2023 im Buchhandel erhältlich.

Irgendwann ist es dann so weit: Sie ist auf ihrem Dienstposten fertig ausgebildet und will mit ihrem Geschwader in den Einsatz. Afghanistan ist das Ziel. Sie möchte unbedingt dabei sein und hat sich freiwillig gemeldet. Aber dann kommt es ganz anders. Ein Kamerad, der das Bundeswehr-Kontingent in Niger ergänzen soll, fällt aus. Michelle N. hat die Vorbereitung für den Auslandseinsatz abgeschlossen und sogar schon alle notwendigen Impfungen. Sie meldet sich für den Einsatz.

Keine fünf Wochen später steigt sie mit anderen in das zivile Flugzeug, das die deutschen Soldatinnen und Soldaten nach Afrika bringt.

Am Flughafen in Bamako stehen malische Soldaten, schwer bewaffnet. Sie begleiten die Deutschen im Transitbereich sogar, wenn sie zur Toilette gehen. Für Michelle N. ist das ein komisches Gefühl. Und sie spürt sofort, dass das Klima in der Sahelzone eine Herausforderung für sie sein wird. Der rote Sand durchdringt alles, die Luft ist trocken.

Von Mali geht es mit einer Transall C-160 weiter nach Niamey. In der nigrischen Hauptstadt ist der deutsche Lufttransportstützpunkt das Drehkreuz in der Wüste. Nach einer kurzen Nacht beginnt die Einweisung in den Dienstposten. Der Spieß und der Chef nehmen sie in Empfang. Die Soldatinnen und Soldaten schlafen in Containern, meist zu zweit.

Beeindruckend ist die internationale Atmosphäre im Camp. Auch außerhalb des Camps ist Michelle unterwegs, um Kameraden vom zivilen Teil des Flughafens abzuholen. Langsam wird der Einsatz zur Routine. Jeden Tag sitzt sie in der "Ops", der Operationszentrale. Michelle N. ist eingesetzt in der Koordinierungszelle für die Flüge. "Opsi" nennen die Soldaten sie in ihrer Rolle als Flugbetriebsfeldwebel.

Der Tag, der alles verändert

Die Zeit vergeht wie im Flug. Nur noch wenige Tage, dann soll es schon zurück in die Heimat gehen. Der erste Einsatz ist fast geschafft. Michelle hat ihren Traum wahr gemacht. Wer kann das von sich schon behaupten?

Doch dann kommt der Tag, der alles verändert. Wie jeden Morgen ist Michelle unterwegs, um die Verpflegung für die Crew aus dem französischen Camp abzuholen. Mittags geht man dort gemeinsam zum Essen.

Einer der Kameraden hat Geburtstag. Sie beschließen, ihm im Laden im französischen Camp ein Geschenk zu kaufen. Etwas, das er sich gewünscht hat. Um sich für einen Moment aus der Gruppe zu verabschieden, braucht es eine Ausrede, denn der Mann ist beim Mittagessen dabei. Michelle N. und ein Kamerad nutzen die Gelegenheit, um ihre Wäsche abzuholen. Mit Wäschekörben bewaffnet, ziehen sie los. Beide gehen auf der Straße, nicht weit entfernt sehen sie einen Transporter. Michelle erinnert sich später, dass sie in diesem Moment feststellte: "Der fährt ja genau auf uns zu!"

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"Mutmacher: Was uns endlich wieder nach vorne schauen lässt" von Peter Tauber

Das Buch erscheint am 1. Februar und kann ab sofort vorbestellt werden.

Sie dreht sich um und gibt dem Kameraden dabei noch einen Schubs, doch der Wagen erfasst sie – 40 km/h schnell –, rollt über sie hinweg und kommt mitten über ihr zum Stehen. Sie hört es laut knacken und denkt, das sind die Wäschekörbe. Aber es sind ihre Knochen. Allein ihr Becken ist sechsmal gebrochen. Die Ärzte stellen später fest: instabile Beckenfrakturen, Kreuzbeinfraktur, komplexe Fraktur des zweiten Halswirbels, offenes Schädel-Hirn-Trauma, Felsenbeinfraktur, Kalottenfraktur, Schlüsselbeinfraktur, komplexe Mittelgesichtsfraktur mit Nasenbeinfraktur, Orbitabodenfraktur und eine beidseitige Lungenembolie.

Das rettet ihr das Leben

Als sie unter dem Fahrzeug liegt, ist Michelle bei vollem Bewusstsein, nur bewegen kann sie sich nicht. Jeder Muskel ihres Körpers ist angespannt. Später erklären ihr die Ärzte, dass ihr genau dies das Leben gerettet hat. Wäre sie bewusstlos geworden, dann hätte der Körper jede Anspannung verloren. Nur durch die Anspannung, das Adrenalin, hat sie überlebt. Über eine Stunde lang verfolgt sie mit, was um sie herum geschieht. Sie verdrängt das Ereignis nicht. Und Michelle redet später mit allen, die dabei waren, weil sie wissen will, was genau passiert ist. Sie stellt sich dem Schrecklichen.

Die Ersten, die ihr helfen, sind Franzosen. Sie kümmern sich intensiv und gut um sie. Die deutschen Rettungskräfte sind alarmiert und treffen nach zehn Minuten ein. Alle reden auf sie ein, Michelle N. versteht jedoch kein Wort. Sie sagt auf Englisch: "Everything hurts". Ihr läuft Blut aus dem Ohr. Auf einem Auge kann sie nichts mehr sehen. Durch eine Orbitabodenfraktur ist das Auge nach hinten gerutscht. Ihr Kiefer ist gebrochen. Mit der Zunge fährt sie sich über die Lippe und spürt ihre Zähne nicht mehr. Ihre größte Angst ist es, das Augenlicht zu verlieren. Die Helfer schneiden ihre Uniform auf. Sie hat das Gefühl, völlig entblößt mitten auf der Straße zu liegen. Sie möchte nicht, dass jemand sie so sieht. Schließlich kommen die Sanitäter mit einer Foliendecke, die nicht nur vor Blicken schützt, sondern die Wärme im Körper halten soll. Und das alles bei deutlich über 40 Grad im Schatten. Immer wieder reden die Helfer auf sie ein, inzwischen sind auch die Deutschen da. "Keine Sorge, wir retten dein Auge, und deine schiefe Nase kriegen wir auch wieder hin", hört sie.

Ihr Körper wird auf eine Trage geschoben. Man fährt sie ins zivile Krankenhaus in der Stadt, um sie zu röntgen. Auf dem Rückweg beobachtet sie sich selbst von außen, schaut auf sich, als sei sie eine andere Person. Man sagt ihr beim Erreichen des deutschen Camps: "Wir legen dich jetzt schlafen." Wenn du wieder aufwachst, dann bist du zu Hause in Deutschland.“ Der Rettungsflieger, der sie nach Deutschland zurückfliegen soll, ist schon angefordert.

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Nach dem Unfall am 26. November 2019 und der Verlegung einen Tag später wacht sie am 28. November um 20.30 Uhr auf. In den kommenden Monaten werden die Bundeswehrkrankenhäuser quasi ihr neues Zuhause. Vier Operationen sind zunächst geplant – letztlich wird sie zehnmal operiert. Dabei gibt es auch Rückschläge. Auf dem linken Ohr hört sie nicht mehr so gut wie früher, und beim Blick nach unten sieht sie Doppelbilder. Auch mit dem Schlüsselbein gibt es Probleme. Es sind bleibende Schäden. Doch Michelle hat ein Ziel: Sie will wieder in den Dienst.

Die Zeit im Krankenhaus ist nicht nur lang. Michelle ist auch oft allein. Auch später noch, als sie wieder zu Hause ist. Und sie merkt: Etwas stimmt nicht. Als sie abends auf der Couch sitzt, kann sie sich nicht ausstrecken. Alles erinnert sie an den Moment nach dem Unfall. Als sie da auf dem Boden lag, hingestreckt von dem Transporter, der sie überrollt hatte. Solche Flashbacks hat sie auch, wenn sie Sirenen von Rettungsfahrzeugen hört. Die Ärzte und Psychologen kennen so etwas. Michelle hat Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Wieder erlebt sie viel Fürsorge und Verständnis – aber auch das Gegenteil. Ein Offizier fragt ungläubig, ob sie ernsthaft eine PTBS hätte. Sie sei doch gar nicht im Gefecht gewesen und solle sich nicht so anstellen. Das ist ein Schlag ins Gesicht. In ein Gesicht, dem man die Folgen des Unfalls immer noch deutlich ansieht. Und auch ein Schlag ins Gesicht der Kameradinnen und Kameraden, die ebenfalls mit den Erlebnissen des Einsatzes nicht klarkommen und die doch meist nur eins wollen: normal leben und wieder zum Dienst gehen können.

Das ist der Moment, in dem Michelle sich entscheidet, ihre Geschichte mit anderen zu teilen. Dabei achtet sie penibel darauf, nur positive Dinge zu beschreiben. Klar benennt sie auch schwache Momente und Rückschläge, aber am Ende beschreibt sie immer eine Perspektive für sich – und damit auch für andere. Wieder erfährt sie viel Rückhalt, Bewunderung und Zuspruch. Diese zierliche junge Frau macht anderen Mut, manche davon sind gestandene Kerle.

Nicht alle haben Verständnis für ihren Wunsch

Ihre Wiedereingliederung ins Berufsleben beginnt am 31. Mai 2021. Viele Monate sind seit dem Unfall vergangen. Erst die Operationen, immer wieder Physiotherapie und dann die PTBS und die psychologische Behandlung. Am Bundeswehrkrankenhaus gibt es eine eigene Abteilung für die Betroffenen. Wer sich mit dem Thema etwas auskennt, der weiß sofort, was gemeint ist, wenn von der FU 6 die Rede ist. So lautet die Abkürzung für die Fachärztliche Untersuchungsstelle der Klinik VI Psychiatrie und Psychotherapie. Auch Michelle N. ist hier zur Begutachtung. Sie will von den Ärzten hören, dass nichts dagegenspricht, irgendwann wieder in den Einsatz zu gehen. Das wäre für sie die Bestätigung dafür, dass sie es geschafft hat. Manche reagieren mit Unverständnis auf diesen Wunsch, andere bewundern sie. Einer der behandelnden Ärzte sagt ihr sehr deutlich, dass er kein Freund davon ist, Soldaten, die einmal an PTBS erkrankt waren, wieder in den Einsatz zu schicken. Doch bei ihr macht sich der Oberarzt der Station nach der vollständigen Integrierung in den Dienst und der abgeschlossenen ambulanten Psychotherapie keine Gedanken.

Am 8. September 2021 ist Michelle wieder "Vollzeit verwendungsfähig", wie es offiziell heißt. Kurze Zeit später steht sie auf einer Liste für den Einsatz. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es wieder nach Afrika geht. Michelle N. sagt: "Ich bin nicht Soldatin geworden, um Geld zu verdienen, sondern weil das meine Leidenschaft ist." Aber sie hat auch Verständnis für die Kameraden, die nach schlimmen Erfahrungen nicht mehr in den Einsatz wollen und teilweise nicht einmal mehr dienstfähig im Heimatbetrieb sind.

Michelle ist wieder voll im Dienst und im Leben angekommen. Aber als wir uns das letzte Mal begegnet sind, zeigte sie mir ihren Schwerbehindertenausweis. Da verdunkelte sich die Stimmung. Michelle hat bleibende Schäden davongetragen. Wer sie kennt, weiß allerdings, dass sie stets nach vorne schaut. Und ich bin davon überzeugt: Wenn man wie sie nach vielen schlimmen Erfahrungen nie den Mut verliert, immer an das Gute glaubt und daran, dass gelingen kann, was man sich erträumt, dann kommt man ganz sicher weiter.

Verwendete Quellen
  • Auszug aus dem Buch "Mutmacher"
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