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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olaf Scholz Das muss ihn schmerzen
Ein Kanzler ist für alles verantwortlich. Im Guten, aber eben auch im Schlechten. Das lernen die SPD und Olaf Scholz gerade schmerzlich. Denn die Pannen der neuen Regierung häufen sich.
Und auf einmal regen sich doch irgendwo Gefühle in diesem Olaf Scholz. Was denn gerade bloß schieflaufe, will die ARD-Moderatorin am Sonntag vom Bundeskanzler wissen. Ob er den Bürgern zu wenig Orientierung biete, zu wenig von sich hören lasse? Seine Umfragewerte seien zuletzt ja geradezu abgestürzt!
"Ja, das frage ich mal Sie", antwortet Olaf Scholz ziemlich kurz angebunden, nur um dann doch noch etwas länger angebunden zu antworten. Scholz sieht das natürlich überhaupt nicht so, und redet sich in eine Art hanseatische Rage.
Er halte es für richtig, "nicht aufgeregte Vorschläge zu machen, die alle nichts werden", sagt Scholz. "Ich kenne in diesem Land Politiker, die haben von den 200 Vorschlägen, die sie gemacht haben, genau zwei in ihrer langen Karriere durchgesetzt, und an die kann sich keiner erinnern."
Er, Scholz, wolle ein Politiker sein, der viele seiner Vorschläge umsetze. Er, Scholz, wolle Orientierung dadurch vermitteln, dass "es Dinge gibt, die man verfolgt – und die halten".
Scholz, der Macher. Nicht der Schwätzer. So sieht sich der Kanzler gerne, es ist sein Markenkern. Und die Antwort seiner Leute auf die Frage, was Scholz besser machen wolle als Angela Merkel: mehr "Leadership", mehr nachhaken und nachhalten, damit die Sachen auch laufen. Was ein guter Kanzler ist, entscheidet sich im "Doing", auch so ein Anglizismus aus dem Scholz-Kosmos. Was zählt, ist das Handeln.
Es ist ein hoher Anspruch in eigener Sache. Und das macht die Lage nun besonders gefährlich. Denn das Problem des Olaf Scholz in diesen Tagen sind nicht ein paar Spaßvögel auf Twitter, die lustige Bilder mit "Wo ist Olaf?"-Schriftzügen teilen. Sein Problem ist, dass seine Regierung gerade eben längst nicht alles hält, was sie verspricht. Sie macht handwerkliche Fehler, sehr unglückliche Fehler zum Teil, die sich summieren. Und die den Macher Scholz besonders schmerzen müssen.
Die Umfragewerte sacken ab
Die unerfreulichen Umfragen für Olaf Scholz erschienen zuletzt fast im Tagesrhythmus. Führende Institute sehen seine SPD wieder deutlich hinter der Union: 27 zu 22 Prozent nicht nur bei Forsa, sondern auch beim "Deutschlandtrend" von Infratest dimap. Vier Prozentpunkte hat die SPD dort verloren, die Union vier hinzugewonnen. Und das in nur zwei Wochen.
Mit 57 Prozent ist eine Mehrheit inzwischen weniger oder gar nicht zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Auch hier: 20 Prozentpunkte Unzufriedenheit mehr. Scholz selbst verliert so viel Ansehen wie kein anderer Politiker, um 17 Prozentpunkte sackt er ab. Da sind ein paar Gefühle durchaus angebracht, selbst für einen Olaf Scholz.
Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass die Zustimmung für eine neue Bundesregierung nach der Euphorie des Anfangs nachlässt. Der Alltag kommt schneller als gedacht. Die CDU hat zudem kürzlich mit Friedrich Merz einen neuen Chef gewählt, der in den ersten Tagen aufmerksamkeitsökonomisch viel richtig gemacht hat.
Doch selbst in der SPD gesteht man ein, dass beides allein die aktuellen Umfragewerte nicht erklären kann. Es sei doch etwas mehr als die übliche Delle, sagen Genossen. Und kommen dann auf handwerkliche Fehler zu sprechen, die sich inzwischen im Regierungsalltag angesammelt haben.
Es läppert sich
Da wäre zum Beispiel die Sache mit der KfW: Unglücklich gelaufen, das müsse man einfach einräumen, sagt jemand aus der SPD. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte Ende Januar die Förderung für energieeffiziente Gebäude vorzeitig gestoppt. Der Ärger der Bauherren war riesig.
Noch die Große Koalition hatte im November beschlossen, das Programm Ende Januar auslaufen zu lassen. Die neue Ampelregierung beließ es dabei. Das Programm sollte reformiert werden, weil es inzwischen einen Baustandard mit staatlichem Geld fördert, der völlig üblich geworden ist.
Niemand scheint jedoch bedacht zu haben, dass deshalb im Januar noch alle ganz schnell ihre Förderanträge abschicken würden, um das letzte Geld abzugreifen. Der zuständige Minister Habeck nicht, aber auch niemand sonst in der Regierung. Es folgte die Rolle rückwärts: Für private Bauherren gibt es doch noch Geld.
Da wäre die Sache mit dem Genesenenstatus: Die Ampelregierung hatte im Januar dem Robert Koch-Institut per Verordnung die Aufgabe übertragen, eigenständig über den Zeitraum zu bestimmen, in dem jemand nach einer Coronainfektion als genesen und damit gut geschützt gilt.
Als das Institut seiner Aufgabe nachkam und den Zeitraum halbierte, wurde die Sache jedoch zum Problem. Gesundheitsminister Karl Lauterbach wusste angeblich nichts davon und hatte den Bundesländern kurz zuvor noch etwas anderes gesagt. Auch Länder mit SPD-Regierungschefs fanden das mehr als unglücklich.
Da wäre die Sache mit der Impfkampagne: Von wenigem hat Olaf Scholz Ende vergangenen Jahres so viel gesprochen wie von der Boosterkampagne, die er endlich ins Rollen bringen wolle. Impfen, impfen, impfen, das war und ist sein Credo.
Scholz machte nicht nur den Corona-Auskenner Lauterbach zu seinem Gesundheitsminister, sondern stellte ihm auch noch einen Generalmajor zur Seite: Carsten Breuer wurde zum Leiter des Corona-Krisenstabs. Hauptaufgabe: impfen, impfen, impfen. Doch vollmundige Ziele riss die Bundesregierung zuletzt in Serie. Die Kurve des Impffortschritts entwickelt sich mittlerweile zu einer Waagerechten. Es geht nicht voran.
Da wäre die Sache mit der Impfpflicht: Olaf Scholz war einer der Ersten, der sich im Dezember für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen hatte. Doch einen eigenen Gesetzentwurf will seine Ampel nicht vorlegen, wohl auch aus Rücksicht auf den skeptischen Koalitionspartner FDP. Die Abstimmung im Bundestag soll freigegeben werden. Nach einer klaren Linie, von vorne geführt, sehe das wohl nicht aus, gesteht jemand aus der SPD ein.
Noch viel bitterer für Olaf Scholz, den Macher, ist aber etwas anderes: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die im Dezember von den Ampelfraktionen selbst beschlossen wurde, könnte scheitern. Nicht nur Markus Söder und andere Unions-Länderchefs rücken öffentlichkeitswirksam von ihr ab. Auch in der Pflegebranche sind offenbar längst nicht alle Bedenken ausgeräumt.
Zumindest zum eigentlichen Stichtag wird sie wohl vielerorts nicht in Kraft treten, weil es einfach nicht funktioniert. Es ist ein GAU für jemanden wie Scholz, der die Dinge, die er sich vornimmt, auch gut hinkriegen will. Zumal das Chaos eine weitere Frage provoziert: Wenn die Impfpflicht schon in einigen Branchen nicht funktioniert – wie soll es dann mit einer allgemeinen Pflicht klappen?
Und da wäre die Sache mit Russland und der Ukraine: Es mag stimmen, dass sich Olaf Scholz seit Wochen mit keinem Thema so sehr beschäftigt wie mit dem Konflikt an der ukrainischen Grenze. Allerdings war davon öffentlich lange nicht viel zu sehen. Das geben auch Genossen zu.
Dass Scholz Nord Stream 2 lange als "privatwirtschaftliches Projekt" bezeichnete und so offen ließ, ob das Pipeline-Aus überhaupt eine mögliche Sanktion sein könnte, fanden auch nicht alle in der SPD glücklich. Zumindest kommunikativ ausbaufähig, heißt es.
Im Guten wie im Schlechten
Der Bundeskanzler, das lernen sie in der SPD gerade noch mal ganz neu, ist am Ende für alles verantwortlich. Für alles, was schiefläuft in Deutschland, aber eben auch für alles, was gut geht. In der aktuellen Situation liegt darin auch eine Chance, die Olaf Scholz offensichtlich nutzen will.
Seit einigen Tagen hat der Kanzler die Krisendiplomatie für sich entdeckt. Anfang der Woche war er in Washington bei Joe Biden, nächste Woche geht es in die Ukraine und nach Russland zu Wladimir Putin.
Es sind große internationale Bühnen, auf denen Scholz sein behauptetes Engagement nun auch öffentlich zeigen kann. Wenn er das gut macht, so die Hoffnung in der Partei, kann sich die Stimmung auch schnell wieder drehen.