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Seehofer gegen "taz"-Journalistin: Erst das Eigentor, dann die Rolle rückwärts


Seehofer gegen "taz"-Journalistin
Der Geläuterte und sein Eigentor

dpa, Martina Herzog

Aktualisiert am 25.06.2020Lesedauer: 3 Min.
Horst Seehofer bei einer Bundespressekonferenz: Der Innenminister sorgte mit einer geplanten Anzeige gegen eine Journalistin für Diskussionen.Vergrößern des Bildes
Horst Seehofer bei einer Bundespressekonferenz: Der Innenminister sorgte mit einer geplanten Anzeige gegen eine Journalistin für Diskussionen. (Quelle: Jürgen Heinrich/imago-images-bilder)

Terrorbekämpfung, Corona-Krise, Reform des europäischen Asylsystems. Als Innenminister hätte Seehofer genug zu tun. Stattdessen verstrickt er sich in die Auseinandersetzung mit einer Journalistin.

Bundesinnenminister Horst Seehofer und die "taz", das war ein Drama in (bislang) fünf Akten. Sonntag in der "Bild"-Zeitung: "Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der "taz" über die Polizei stellen." Montag in Stuttgart: "Ich beabsichtige das." Dienstag: abgetaucht. Mittwoch in Berlin: zu viel um die Ohren mit aktuellen Terminen, wie der CSU-Politiker Journalisten erklärt. Donnerstagmorgen: eine Erklärung, in der der Innenminister lang darlegt, warum die Kolumne unmöglich, die Polizei zu schützen und eine gesellschaftliche Diskussion über den Umgang miteinander nötig sei. Und er keine Anzeige stellen werde.

Seehofer rudert zurück

Vier Tage hat der Minister gebraucht, um vom Angriffs- in den Dialogmodus zu schalten. Er wolle sich an den Presserat wenden und die "taz"-Chefredaktion zum Gespräch einladen, führt Seehofer am Donnerstag aus. Eine schlüssige Erklärung für das, was da geschehen ist und seine Entscheidung sucht man auch zwischen den Zeilen vergeblich.

Als Reaktion darauf hat sich die "taz" offen für die Gesprächseinladung von gezeigt – schlägt aber einen anderen Ort als Seehofer vor. "Ich halte aber das Bundesinnenministerium nicht für den richtigen Ort für dieses Gespräch", meinte Chefredakteurin Barbara Junge. " Ich schlage einen gemeinsamen Besuch der Polizeischule in Eutin vor, die ihrem Rassismusproblem in den eigenen Reihen begegnet, indem sie sich dem Netzwerk "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" angeschlossen hat."

Streit um eine Kolumne

Doch wie begann das alles? Die umstrittene Kolumne der Journalistin Hengameh Yaghoobifarah war Anfang vergangener Woche in der linken Tageszeitung "taz" erschienen. Darin ging es um ein Gedankenspiel: Wo könnten Polizisten arbeiten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Zum Schluss hieß es in dem Text: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."

In seiner Erklärung vom Donnerstag bringt Seehofer die Emotion ins Spiel, die aufrichtige Empörung: "Ich darf und will mich nicht daran gewöhnen, dass dies als zulässige Form der Auseinandersetzung dargestellt wird", lässt er sich zitieren. "Verantwortung für diejenigen, die als Polizistinnen und Polizisten jeden Tag dafür einstehen, dass diese Gesellschaft in Frieden und Freiheit leben kann."

Er sei "der Auffassung, dass mit der Kolumne durch die menschenverachtende Wortwahl auch Straftatbestände erfüllt werden", lässt sich Seehofer da zitieren. Dazu lägen bereits Strafanzeigen vor. Genau das war am Sonntag auch schon der Fall, als sich Seehofer nach der Gewaltnacht von Stuttgart dazu hinreißen ließ, eine weitere anzukündigen.

"Grenzen einer Auseinandersetzung"

Der Bundesinnenminister will Anzeige gegen eine Journalistin erstatten – so ein Satz wirft Fragen auf nach den Grenzen des Einflusses, den sich ein Regierungsvertreter genehmigen sollte im Umgang mit der Presse. So sei das nicht gemeint gewesen, erklärt Seehofer: "Mir geht es bei der von mir angestoßenen Diskussion nicht um Strafverfolgung einer Person und schon gar nicht um einen Eingriff in die Pressefreiheit. Mir geht es im Gegenteil darum, dass wir dringend eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen müssen, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen und wo die Grenzen einer Auseinandersetzung sind."

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Diese Auseinandersetzung gab es schon in der vergangenen Woche. Sie versandete allerdings in dem Moment, als Seehofer seine Strafanzeige ankündigte und auch noch eine Verbindung zwischen der Kolumne und den gewalttätigen Krawallen in Stuttgart herstellte. Damit wurde aus einer engagierten Diskussion um Rassismus, die Rolle der Polizei und die Wahl der Worte eine Debatte um Pressefreiheit und Seehofers Politikverständnis. Dem fiel auch die Sachpolitik zum Opfer: Die für Dienstag geplante Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für 2019 wurde ohne Angabe von Gründen bis auf weiteres abgesagt.

Keine Rückendeckung durch die Kanzlerin

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schien nicht amüsiert über Seehofers Fehde, sonst hätte ihr Sprecher nicht schon zu Beginn der Woche verlauten lassen, sie befinde sich "im Gespräch" mit ihrem Minister". Dennoch brauchte es Tage, bis Seehofer seine Worte kassierte. Am frühen Donnerstagmorgen berichtete der Newsletter "Hauptstadt. Das Briefing" von Mediapioneer, Seehofer solle nach Gesprächen mit Beamten aus dem eigenen Haus und Parteifreunden von der Anzeige Abstand genommen haben.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) begrüßt Seehofers Entscheidung vom Donnerstag als "einzig mögliche". DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall merkt dennoch an: "Wenn aus einer plötzlichen Erregung ein Angriff auf die Pressefreiheit resultieren kann, ist in der Bundesregierung etwas faul."

In Seehofers Mitteilung heißt es: "Sprache ist verräterisch." Der Minister meint die "taz"-Kolumne. Es würde auch auf seine Ankündigung passen.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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