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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gefahr für die Demokratie? Was Leser über Hass im Netz denken – was Politiker fordern
BKA-Präsident Münch hat bei t-online.de mehr Einsatz im Kampf gegen Hasskommentare gefordert. Die Bundestagsparteien wollen das auch. Die Methoden aber sind umstritten.
Ein CDU-Politiker, der auf seiner Veranda erschossen wird. Ein Junge, der in Frankfurt vor einen Zug gestoßen wird und stirbt. Zwei Mordfälle, die Deutschland im Sommer 2019 erschüttert haben – und die das gesellschaftliche Klima weiter anheizten.
Die entfesselten Debatten und der wachsende Hass im Netz bereiten immer mehr Menschen Sorgen. Auch den Lesern von t-online.de, die in diesem Artikel zu Wort kommen. Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, sieht in den Hetzkommentaren eine Bedrohung für das demokratische Zusammenleben. Im Interview mit t-online.de macht er konkrete Vorschläge, wie er dem begegnen will: mit mehr Ermittlern, präziseren Gesetzen und einer Vorratsspeicherung personenbezogener Daten durch die Netzbetreiber. Kontroverse Ansätze, die bei den Fraktionen im Bundestag auf ein geteiltes Echo treffen.
Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab. Gerichte hätten geklärt, dass diese weder mit dem Grundgesetz noch mit den EU-Verträgen vereinbar seien. Kuhle hält eine anlassbezogene Speicherung für sinnvoller. "Diese wäre auch einfacher umzusetzen, würde die Union nicht immer die Sau durchs Dorf treiben und die Vorratsdatenspeicherung unbescholtener Bürger fordern."
Schärfere Gesetze hält der FPD-Politiker nicht für notwendig. Stattdessen sollten bestehende Gesetze konsequenter umgesetzt werden. "Wenn jemand ein Bild, das ich gemalt habe, ins Netz stellt, kann ich ihn nach dem Urheberrecht verklagen. "Wenn jemand mich mit dem Tod bedroht, geht das nicht – das darf nicht sein." Kuhle spricht sich zugleich dafür aus, das Zivilrecht zu stärken. Dann könnten sich Betroffene auch besser selbst wehren.
t-online.de-Leser P.Langkous schreibt:
"Hassbotschaften bergen immer Gefahren. Und Menschen, die Hassbotschaften senden, werden auch ihren Hass auf etwas oder jemanden irgendwann in die Tat umsetzen. Der Junge im Gleisbett Frankfurt,ist ja nicht das einzige Opfer das ins Gleisbett geschupst wurde. Auch da hat jemand seinen Hass rausgelassen. Aber auch da wo Flüchtlingsunterkünfte abgefackelt wurden, war Hass u. Wut der Grund. Hass und Gewallt kommt aus allen Richtungen und da muss was gegen getan werden. Sonst wird sich nie wasändern."
Auch die Grünen-Politikerin Irene Mihalic, Innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, spricht sich gegen eine Speicherung von Vorratsdaten aus. "Nicht ohne Grund ist sie sowohl vor dem Bundesverfassungsgericht als auch vor dem EuGH gescheitert und wird derzeit nicht angewendet", sagte Mihalic zu t-online.de. Als wesentlich wichtiger ist aus ihrer Sicht eine bessere Kooperation von Bund und Ländern und eine Bündelung von Kompetenzen beim Kampf gegen Hass im Netz.
Mihalic sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht, stärkeren Druck auf die sozialen Netzwerke auszuüben, sich an die Vorgaben zum Löschen von Hasskommentaren zu halten. "Wenn die sozialen Netzwerke nicht stärker in die Pflicht genommen werden, sind selbst personell wesentlich besser ausgestattete Sicherheitsbehörden völlig überfordert damit, Hass im Netz angemessen zu verfolgen.
t-online.de-Leser Feldie schreibt:
"Die Gefahr besteht dass berechtigte Kritik mit Hetze verwechselt wird. Internetunternehmen könnten dazu neigen in vorauseilendem Gehorsam sämtliche Kritik zu unterbinden so dass wie bereits heute Leserbriefe die die Regierung kritisieren von den Printmedien aussortiert werden. Das nennt man dann Netiquette..."
In der Union hingegen unterstützt man die Forderung nach einer besseren Ausnutzung des technisch Möglichen. Deren Innenpolitischer Sprecher Mathias Middelberg forderte im Radiosender SWR2, die Nachverfolgung von Kommunikation und Online-Durchsuchungen zu erleichtern. "Viele aus dem linken Bereich haben für die Anonymität der Beteiligten gefochten. Jetzt erkennt man, welche verheerenden Folgen das haben kann."
Middelberg sprach sich für Vorratsdatenspeicherung und – anders als Münch – auch für Klarnamenpflicht aus. "Wir sind sehr dafür, dass strafbare Inhalte eine Zeitlang gespeichert werden. Das Massenhass-Posting, das einfach wieder zurückgerufen wird. Solche Dinge müssen gespeichert werden. Damit wir sichere Beweise haben."
t-online.de-Leser Mediterraneo schreibt:
"Verbale Gewalt führt zwangsläufig zu körperlicher Gewalt. leider haben wir eine Partei am rechten Rand die dafür steht und auf der anderen Seite sind es Linksextremisten. Wer nicht zu diesen Rändern steht, ist aufgerufen diese, verbal, zubekämpfen."
Der AfD-Innenpolitiker Christian Wirth unterstützt die CDU-Forderung nach einer Kommunikation mit Klarnamen. Die Vorratsdatenspeicherung lehnt er hingegen ab. Sie sollte in Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten nur bei Kapitalverbrechen eingesetzt werden, sagte Wirth zu tonline.de.
Die bestehende Rechtslage hält der AfD-Politiker für ausreichend. Die Gesetze seien scharf genug, der Strafrahmen müsste nur entsprechend ausgenutzt werden. Eine engere Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Strafsachen hält Wirth in jedem Fall für angebracht. Das könne helfen, hier bessere Ergebnisse zu erzielen.
t-online.de-Leser Abraham schreibt
"Ich habe manchmal Bedenken vor der immer mehr um sich greifenden Totalüberwachung jedes Bürgers. Neuer Personalausweis, Führerschein, Vorratsdatenspeicherung, Handy-Ortung, Videoüberwachung, forcierte elektronische Bezahlsysteme, Steuer-ID, Gesichts-Scanner usw. usw. machen es möglich, die Mehrheit der nicht-kriminellen Bürger im Lande (und das sind immerhin über 80 Millionen) bald rund um die Uhr zu kontrollieren. Warum? Zum Schutz?"
Schärfere Gesetze lehnt auch die Linke ab. Die Innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Ulla Jelpke, verweist auf die Gesetzesänderungen nach dem 11. September. "Bis heute fehlt jeglicher Beweis dafür, dass auch nur ein einziges dieser Gesetze die Sicherheit tatsächlich verbessert hat", sagte Jelpke zu t-online.de. Die von Münch geforderte Vorratsdatenspeicherung bezeichnete die Linken-Politikerin als organisierten Angriff auf die Privatsphäre der Bürger. "Ein Staat, der lückenlos erfassen will, wer mit wem zu welcher Uhrzeit wie lange telefoniert oder elektronisch kommuniziert, ist totalitär."
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Im Kampf gegen Hass im Netz sieht die Linken-Politikerin die Polizei überfordert. Allerdings braucht es aus ihrer Sicht hier eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. "Dazu gehört natürlich auch, dass Politikerinnen und Politiker mit gutem Beispiel vorangehen und zum Beispiel aufhören, Asylsuchende oder Muslime per se als Sicherheitsproblem darzustellen."
- Eigene Recherchen
- Radio-Interview mit Mathias Middelberg bei SWR2