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Politisch motivierte Kriminalität: Ist Hitlergruß von Afghane auf dem Oktoberfest rechts?


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Politisch motivierte Kriminalität
Was, wenn ein Afghane den Hitlergruß zeigt?


18.10.2018Lesedauer: 4 Min.
Auf dem Oktoberfest bekommt es die Polizei mit Besuchern häufiger zu tun, die den Hitlergruß zeigen. Der Fall eines Afghanen hat Diskussionen ausgelöst.Vergrößern des Bildes
Auf dem Oktoberfest bekommt es die Polizei mit Besuchern häufiger zu tun, die den Hitlergruß zeigen. Der Fall eines Afghanen hat Diskussionen ausgelöst. (Quelle: imago-images-bilder)
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Ein Afghane zeigt beim Münchner Oktoberfest den Hitlergruß. Wieso das für die AfD hochwillkommen ist, und was das über die Statistik zu politisch motivierten Straftaten aussagt.

Ein Zwischenfall mit einem Afghanen beim Münchner Oktoberfest ist für die AfD Anlass, die Aussagekraft der Statistik zu politisch motivierter Kriminalität anzuzweifeln. Gegen den Mann wird wegen eines Hitlergrußes ermittelt und der Vorfall als rechte Straftat gewertet. "Krude", nennt die AfD das: Hitlergrüße – nur echt von Deutschen? Experten finden es richtig, dass das in der Statistik anders gehandhabt wird. Da begehen auch Deutsche Ausländerkriminalität.

"Ich sehe an dieser Stelle keine Problem", sagt der Rechtswissenschaftler und Kriminologe Henning Ernst Müller, Professor an der Universität Regensburg. "Rechts heißt ja auch nicht gleichzeitig, dass es immer gegen Flüchtlinge gerichtet ist." Rechte Ideologien gebe es in allen Ländern – "wieso sollten Straftaten nicht in die entsprechende Statistik eingehen, nur weil sie nicht von Deutschen begangen werden? Und auch ein Flüchtling kann natürlich rechts eingestellt sein."

Dr. Michael Kohlstruck von der Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus im Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, forscht seit Jahren zum Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch Motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) und wundert sich über die Frage. "Es wäre verwunderlich, wenn die Rubrizierung einer Straftat abhängig davon ist, wer sie begeht." Wer bewusst ein Symbol nationalsozialistischer Ideologie zeige, begehe eine Straftat aus dem Feld Politisch motivierter Kriminalität-rechts.

Afghane war in Begleitung zweier Deutscher

AfD und rechte Publikationen verschweigen zudem die Nationalität von zwei Begleitern des Afghanen: 18 und 19 Jahre alte Deutsche mit zumindest sehr deutsch anmutenden Namen. Der ältere soll ebenfalls den Hitlergruß gezeigt haben, der 18-Jährige soll Security-Mitarbeiter als "Kanacken" beleidigt und ihre Exekution gefordert haben, erklärte ein Sprecher der Münchner Polizei t-online.de.

Der Afghane landet also mit deutschen Kumpels in der Statistik PMK-rechts – und hat dort internationale Gesellschaft vom Oktoberfest. Am zweiten Oktoberfestwochenende gab es Ermittlungen gegen einen Schweizer und zwei Italiener wegen Zeigen des Hitlergrußes, dazu kam ein Italiener, der sein SS-Totenkopf-Tattoo offen spazieren führte. Die AfD hätte sich schon früher beschweren können.

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Kriminalität von rechts ging 2017 zurück

Die AfD spricht davon, dass durch "krude Bewertung" die Zahl rechter Straftaten "stetig ansteige". Da verfügt sie über anderes Wissen als die Sicherheitsbehörden: 2017 ist die Kriminalität von Rechts um 13 Prozent zurückgegangen. Doch 20.520 Fälle bedeuten immer noch, dass alle 26 Minuten ein Fall registriert wurde.

2017 gingen dabei in München 28 Fälle alleine auf das Konto von Pegida-Unterstützern bei deren Umzügen. Allerdings wurden dort den Gegendemonstranten von der Polizei 51 links motivierte Straftaten zur Last gelegt.

Wenn sich ein Sachverhalt später in einem Verfahren noch anders darstelle, solle das zwar durch eine Nachmeldung korrigiert werden, so Kriminologe Müller. In der Praxis geschiehe dies oft nur unzureichend. "Es ist durch die Erfassung eine sehr grobe Zählweise", sagt Müller. Bei gleichbleibender Methodik kann sie dennoch zu dem Zweck dienen, zu dem sie gedacht war: als Frühwarnsystem.

Keine Einschätzung zu Gesinnung von Afghane

Das deutsch-afghanische Trio vom Oktoberfest ist nach t-online.de-Informationen zwar zuvor mit Kleinkriminalität aufgefallen, aber nicht mit Staatsschutzdelikten. Über die Gesinnung des Afghanen zu spekulieren, lehnt die Polizei dabei ab: "Mutmaßungen über eine zu Grunde liegende Motivation der Tatverdächtigen wären höchst unseriös und können daher nicht beantwortet werden." Der 19-Jährige streite den Vorwurf auch ab.

Für Kriminologe Müller ist das Problem auch ein anderes als die Frage eines einzelnen Falles: "Nur ein Bruchteil der Fälle geht überhaupt in die Statistik ein. Der Hitlergruß wird vielleicht hundertmal häufiger gezeigt als erfasst." Das Lagebild sei deshalb bei diesem Delikt sehr unvollständig.

Jüdische Verbände kritisieren auch, muslimische Täter würden bei antisemitischen Straftaten unzureichend abgebildet. Die Statistik schreibt hier bei 1.504 Straftaten 94 Prozent davon Tätern von rechts zu.

Als Kind von Muslimen in der NPD
In der NPD spaltete sich die Jugendorganisation vor Jahren wegen der Frage auf, ob ein Sohn muslimischer Bosnier mitmachen darf. Man könne doch nicht gegen Multikulti sein und das Gastarbeiterkind Safet Babic aufnehmen, erklärte der sächsische JN-Landesverband. Inzwischen erlangte deutsche Staatsbürgerschaft und "nordisches Aussehen" reichten nicht. Inzwischen hat Babic auch eine Verurteilung wegen eines Übergriffs auf NPD-Gegner vorzuweisen.
Anmerkung der Redaktion: Wir hatten an dieser Stelle zunächst auch über eine Verurteilung Babics wegen Volksverhetzung berichtet. Tatsächlich wurde Babic allerdings in einem Berufungsverfahren von dem Vorwurf freigesprochen.

Von Opferorganisationen und Journalisten wird Sicherheistbehörden immer wieder vorgeworfen, rechte Tötungsdelikte nicht entsprechend auszuweisen. Bei weniger schwerer Kriminalität werde dagegen schneller von politisch motivierter Kriminalität ausgegangen, so Müller. "Man muss die Pragmatik dahinter sehen: Ein Polizist kann sich mit der Frage nicht lange beschäftigen." Die Polizei in Bayern orientiert sich bei der Einstufung an einem Katalog des LKA, der bundesweit abgestimmt ist.

Kohlstruck sieht bei der Methodik generelle Probleme. Er hat mit seinem Team eine Studie zu rechten Tötungsdelikten in Berlin und deren polizeilicher Klassifikation erarbeitet. "Die Polizei folgte in ihrer Erfassungspraxis lange Zeit ausschließlich strafrechtlichen und strafprozessualen Kriterien."

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Zur Beobachtung von Ausmaß und Entwicklung politischer Gewalt sei es nicht ausreichend, Tötungsdelikte erst mit gerichtlicher Nachweisbarkeit von rechtsideologischen Motiven als politisch rechte Delikte zu erfassen. Bei schwerer Gewaltkriminalität sollten deshalb Informationen zur Szenezugehörigkeit und andere einschlägige Vorerkenntnisse einbezogen werden, so Kohlstruck. "Erst dann erhalten wir ein halbwegs stimmiges Bild, welche politischen Strömungen in welchem Ausmaß für Gewaltakte verantwortlich sind."

Die Länder Brandenburg und Berlin seien bereits Empfehlungen zur Neuklassifikation gefolgt, nachdem sie Altfälle von wissenschaftlichen Instituten untersuchen ließen. Insofern könne sich hier eine Veränderung abzeichnen.

Deutschenfeindlichkeit bisher nicht erfassbar

Die bisherige ausschließliche Orientierung am Strafrecht führe auch zu einem anderen Defizit: Deutschenfeindliche Straftaten könnten im Erfassungssystem nicht berücksichtigt werden. Im Volksverhetzungsparagrafen ist von Aufstacheln zum Hass oder zu Gewalt gegen "Teile der Bevölkerung" die Rede, Attacken gegen Herkunftsdeutsche sind damit nach überwiegender Ansicht der Gerichte aber nicht gemeint. "Deutschenfeindliche Straftaten werden strafrechtlich nicht in gleicher Weise behandelt wie Angriffe auf gesellschaftliche Minderheiten" – entsprechend werden sie aktuell nicht erfasst.

Dafür kann es sein, dass Deutsche hinter Fällen stecken, die als "PMK-Ausländer" registriert sind. Die Polizei München lieferte dafür selbst einen bekannt gewordenen Fall: Sie hat den pro-kurdischen Aktivisten Kerem Schamberger für auf Facebook gepostete Fotos angezeigt und ist bundesweit gegen zahlreiche weitere Nutzer vorgegangen, die seine Postings geteilt haben. Auf Fotos waren Symbole der Organisationen YPG, YPJ und PYD zu sehen, die in Syrien gegen den IS gekämpft haben, aber der verbotenen PKK nahe stehen.

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