"Nicht Sprachpolizei" Seehofer legt sich mit Deutschlands höchstem Richter an
Die CSU nutzt im Asylstreit Begriffe wie "Anti-Abschiebe-Industrie". Dies kritisiert der Präsident des höchsten deutschen Gerichts und handelt sich prompt einen Rüffel von Seehofer ein.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat Kritik von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle an der Wortwahl von CSU-Politikern in der Asyldebatte scharf zurückgewiesen. Er habe hohe Achtung vor dem Bundesverfassungsgericht, sagte Seehofer, der auch Verfassungsminister ist, der "Süddeutschen Zeitung". "Aber die jüngste Kritik von Herrn Voßkuhle halte ich für unangemessen, weil der Präsident eines solchen Gerichts nicht Sprachpolizei sein sollte."
"Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat"
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hatte den Ausdruck "Herrschaft des Unrechts", den Seehofer im Februar 2016 im Zusammenhang mit der Aufnahme vieler Flüchtlinge verwendet hatte, zuvor als inakzeptable Rhetorik bezeichnet. "Sie möchte Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat wecken, die völlig abwegig sind", sagte Voßkuhle der "Süddeutschen Zeitung", ohne Seehofer oder andere CSU-Politiker beim Namen zu nennen.
Zum Begriff "Anti-Abschiebe-Industrie", den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit Blick auf Asylanwälte und Flüchtlingshelfer benutzt hatte, sagte er: "Wer rechtsstaatliche Garantien in Anspruch nimmt, muss sich dafür nicht beschimpfen lassen."
Seehofer reagierte empört: "Die Unterstellung, ich hätte mit dieser Rhetorik Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat wecken wollen, halte ich für nicht akzeptabel", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sprach sich der CSU-Chef, der maßgeblich für den unionsinternen Asylstreit verantwortlich war, für eine zurückhaltende Wortwahl in der Flüchtlingsdebatte aus: "Wir müssen Kurs halten, allerdings mit einer angemessenen Sprache."
Den Populisten Paroli bieten
Voßkuhle betonte: "Das Problem des Populismus ist nicht, dass mit harten Bandagen gestritten wird." Emotionalisierte Debatten seien nichts Neues. Doch Populisten nähmen für sich auch eine Rolle als "unmittelbare Repräsentanten des Volkes" in Anspruch. "Wer sie kritisiert, ist daher ein Feind des Volkes und muss bekämpft werden." Solche Vorstellungen fänden sich bei vielen der neuen identitären und illiberalen Bewegungen. Demokratische Parteien müssten den Populisten mit "konkreten Handlungsoptionen" Paroli bieten.
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Zur möglicherweise rechtswidrigen Abschiebung von Sami A., der früher angeblich Leibwächter des inzwischen getöteten Al-Kaida-Terrorchefs Osama bin Laden gewesen war, wollte Voßkuhle keine abschließende Bewertung abgeben, da die Umstände noch nicht ganz aufgeklärt seien. Grundsätzlich sagte er aber: "Gerichtliche Entscheidungen, seien sie von erstinstanzlichen Gerichten oder vom Bundesverfassungsgericht, sind von anderen Hoheitsträgern zu akzeptieren und umzusetzen. Andernfalls ist das ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Versprechen, das wir uns gegenseitig in der Bundesrepublik gegeben haben. Ein Verstoß, der nicht zu tolerieren ist."
Wenn der Rechtsstaat zum Beispiel durch Terroranschläge oder starke Zuwanderung unter Druck gerate, würden grundsätzliche Fragen gestellt, sagte Voßkuhle. "Das sind Stresstests unter Wirklichkeitsbedingungen." Die Diskussionen über Migration wirkten auf ihn aber "teilweise ziemlich schrill und sind der Komplexität der Situation nicht angemessen". Dabei werde vom Rechtsstaat auch etwas erwartet, was dieser nicht leisten könne. "Es ist eben keine Frage des Rechtsstaats, ob man es schafft, eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage zu formulieren. Das ist eine Frage der Politik!"
- dpa