Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Einigung zum Finanzpaket Bis zur Selbstaufgabe

CDU-Chef Merz hat binnen kürzester Zeit fast alle politischen Leitlinien aus dem Wahlkampf über Bord geworfen. Dass der Kanzler in spe sich mit SPD und Grünen geeinigt hat, ist richtig – nur sollte der Preis ihm eine Lehre sein.
Und dann tut Friedrich Merz so, als sei nie was gewesen. Als der CDU-Vorsitzende am Freitagnachmittag vor die Kameras tritt, sagt er: Union, SPD und Grüne hätten in den vergangenen zwei Wochen viele Tage und viele Stunden miteinander verbracht, hart gerungen. Es sei um die Frage gegangen, ob man aus der parlamentarischen Mitte heraus eine Lösung findet, die alle drei Seiten mit gutem Gewissen in die Abstimmung gehen lässt, wenn es darum geht, das Grundgesetz in drei Artikeln zu ändern. Gemeint ist das riesige Schuldenpaket, für das Merz im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit benötigt. Der CDU-Vorsitzende spricht von einem "für alle Beteiligten akzeptablen, guten Ergebnis".
Aus dem geplanten 500 Milliarden schweren Sondervermögen Infrastruktur sollen 100 Milliarden in den Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft fließen. Es ist ein ziemlicher Brocken, den die Grünen Union und SPD da abverhandelt haben. Trotzdem sagt Merz noch, es habe "Freude gemacht", die Verhandlungen mit dem CSU-Politiker Alexander Dobrindt zu führen. Ist das wirklich sein Ernst? Merz bekommt sein Finanzpaket jetzt aller Voraussicht nach durch den Bundestag. Das ist wichtig, denn andernfalls hätte der CDU-Chef vor kaum lösbaren Problemen gestanden. Nur muss er sich fragen: Zu welchem Preis?
Die Wahl ist keine fünf Minuten her, da hat der CDU-Chef nämlich schon zwei ziemliche Böcke geschossen. Erst lässt Merz von sämtlichen finanzpolitischen Prinzipien der Union ab, um einen riesigen Schulden-Aufschlag zu wagen. Dann vergisst er, bei seinem Manöver einen Teil der notwendigen Akteure einzubinden, und gibt den Grünen so die Möglichkeit, Union und SPD noch vor Beginn einer neuen Koalition ordentlich vorzuführen. Während die Schulden mit Blick auf die weltpolitische Lage zwar streitbar, aber immerhin in Teilen notwendig sind, ist Letzteres ein solcher strategischer Reinfall, dass man sich fragt, wie das die nächsten Jahre weitergehen soll.
Erster Bock: Merz hat mit seiner Union die Wähler getäuscht
Der CDU-Vorsitzende hat in den vergangenen Wochen fast alle politischen Leitlinien aus dem Wahlkampf über Bord geworfen – ohne mit der Wimper zu zucken. Während bis zum 23. Februar galt: Erst sparen, dann Wachstum und am besten gar keine Schulden, hieß es an Tag Eins nach der Wahl: Erst Geld auf Pump und dann mal sehen. Kurz gesagt: Merz hat die Wähler getäuscht. Zwar hat er Kredite nie vollends ausgeschlossen, aber dass er eine solche Kehrtwende hinlegen würde, hat wirklich keiner geahnt. Auch in Unionskreisen nicht.
Es stimmt zwar, dass die notwendigen Ausgaben für Verteidigung ohne Kredite aller Voraussicht nach nicht finanzierbar wären. Und auch ein Sondervermögen Infrastruktur kann sinnvoll sein, wenn damit Investitionen ermöglicht werden, die für Wachstum sorgen. Das ändert aber nichts daran, dass die Union bis zum Wahlabend mit ziemlicher Vehemenz daran festhielt, genau das nicht tun zu wollen. Es ist nie gut, wenn sich der Wähler getäuscht fühlt. Und von komplett veränderten Umständen zu sprechen, ist heuchlerisch. Wenn Merz wirklich nicht geahnt hat, was für eine Welt mit Donald Trump auf der einen und Wladimir Putin auf der anderen Seite auf den nächsten Kanzler wartet, hat Deutschland mit dem CDU-Chef ganz andere Probleme. Man kann also davon ausgehen, dass CDU und CSU sich die Dinge hier so zurechtlegen, wie sie ihnen gerade passen.
Wenn die Kehrtwende nun langfristig hilft, besteht zwar die Möglichkeit, Vertrauen zurückzugewinnen. Für das nächste Mal sollte aber gelten: Ehrlichkeit währt am längsten.
Zweiter Bock: Merz fehlt Verhandlungsgeschick
Dann ist da noch die Frage, was das Theater der vergangenen zwei Wochen eigentlich sollte. Hätten Union und SPD es sich mit den Grünen nicht einfacher machen können? Es war absehbar, dass die Art und Weise, wie man sich entschied, die Grünen einzubinden, zu Konflikten führen würde. Zwar ist verständlich, dass Union und SPD als Koalition in spe für das Finanzpaket zunächst einen Vorschlag gemeinsam ausarbeiten wollten. Man hätte dann aber die Grünen kontaktieren und verhandeln können, bevor man ein Ergebnis in einem Statement der Presse vorlegt, das eigentlich nur noch abgenickt werden soll.
Der Auftritt des CSU-Vorsitzenden Markus Söder beim politischen Aschermittwoch hat zudem nicht geholfen. Es ist das eine, wenn im Wahlkampf mit harten Bandagen gekämpft wird. Dann aber nachzutreten, wenn man eigentlich etwas vom anderen braucht – das kommt nicht gut.
Union und SPD haben die Grünen also nicht nur zu spät, sondern auch unter erschwerten Vorzeichen an den Tisch gebeten. Dass der Preis für ihre Zustimmung jetzt entsprechend hoch ist, überrascht nicht. Den Grünen-Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann ist es nicht nur gelungen, einiges für ihre Partei herauszuholen, sondern auch, die schwarz-rote Koalition vorzuführen, bevor sie richtig gestartet ist. Am Ende ist es also nicht nur mehr Ehrlichkeit, die man sich von einem Kanzler Merz für die Zukunft wünschen darf, sondern auch etwas mehr Verhandlungsgeschick. Andernfalls droht seine Koalition genau dort weiterzumachen, wo die Ampel aufgehört hat.
- Eigene Überlegungen