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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Top-Ökonom über Sondervermögen "Damit hätte eine künftige Regierung genug Luft"
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Ein Sondertopf für die Bundeswehr und einer für die Infrastruktur: Berichten zufolge könnte die künftige schwarz-rote Koalition Schulden in Höhe von Hunderten Milliarden aufnehmen. Der Ökonom Sebastian Dullien findet das richtig.
Der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, lobt die Idee, zwei milliardenschwere Sondervermögen für die Bundeswehr und die Infrastruktur aufzulegen. Ein entsprechender Vorschlag mehrerer Ökonomen für die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD sei "sehr sinnvoll", so Dullien.
"Zwei Sondervermögen hätten den Vorteil, dass dadurch die nötigen Investitionen in die Infrastruktur nicht gegen Ausgaben für die Verteidigungsfähigkeit ausgespielt würden", sagte Dullien am Montag im Gespräch mit t-online. "Darum ist das ein sehr sinnvoller Vorschlag. Deutschland braucht diese Milliarden dringend."
Ökonomen schlagen zwei Sondervermögen vor
Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom Wochenende haben vier Volkswirte ein Papier entworfen, das Gegenstand der Sondierungsgespräche sein soll. Darin umreißen der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, sowie der Ökonom Jens Südekum von der Uni Düsseldorf einen Plan: Dieser sieht zwei Geldtöpfe mit einem Volumen von jeweils 400 Milliarden Euro vor. Aus diesen Töpfen sollen künftige Investitionen in Straßen, Brücken, Schienen einerseits und Ausgaben für die militärische Aufrüstung andererseits finanziert werden.
Demnach sollen die Fonds wie schon das bestehende Sondervermögen für die Bundeswehr im Grundgesetz verankert werden. Sondervermögen unterliegen nicht den strengen Regeln der Schuldenbremse: Das Geld, das darin für bestimmte Ausgaben reserviert ist, darf über einen längeren Zeitraum ausgegeben werden und wird nicht auf den erlaubten Schuldenrahmen angerechnet.
Für eine solche Verankerung in der Verfassung ist jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig. Diese gäbe es noch für knapp drei Wochen im "alten" Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen. Im gerade gewählten neuen Parlament hätten Linke und AfD eine Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Sitze. Beide Parteien positionierten sich bereits gegen weitere Rüstungsausgaben.
"Schafft schnell Handlungsfähigkeit"
Dullien dazu: "Der Weg über Sondervermögen schafft schnell Handlungsfähigkeit." Zwar sei aus seiner Sicht eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse geboten, um jenseits von Sondertöpfen mehr staatliche Investitionen auf Kreditbasis zu ermöglichen. "Das aber ist ein kompliziertes Unterfangen, das sich keinesfalls binnen drei Wochen umsetzen lässt", sagt er. "Mit den rund 800 Milliarden, die jetzt in Rede stehen, hätte eine künftige Regierung genug Luft, um in der neuen Legislaturperiode alle nötigen Ausgaben zu finanzieren, vielleicht reicht das Geld damit sogar noch darüber hinaus."
Das wiederum verschaffe Zeit, um in Ruhe über eine Reform der Schuldenbremse nachzudenken. Womöglich lasse sich eine dafür nötige Mehrheit dann auch mit der Linkspartei finden, so Dulliens Hoffnung.
Investitionsbedarf von 60 Milliarden Euro pro Jahr
Dullien wirbt wie viele seiner Ökonomen-Kollegen schon seit Längerem dafür, dass der Staat mehr Schulden machen sollte, um Investitionen in Deutschlands "Zukunftsfähigkeit" zu finanzieren. Im vergangenen Jahr sprach er sich dafür aus, dass Deutschland bis Mitte der 2030er-Jahre 60 Milliarden Euro pro Jahr ausgeben sollte: für die Modernisierung der Infrastruktur, für Energie- und Verkehrsnetze, für Klimaanpassungen sowie für die Digitalisierung. In Summe seien also rund 600 Milliarden Euro nötig, rechnet der Ökonom vor.
"Mit den nun im Raum stehenden 400 Milliarden Euro für die Infrastruktur aber ließe sich auch schon viel machen", so Dullien. Mit Blick auf die zusätzlichen Militärausgaben merkt er jetzt an: "Eine funktionierende Infrastruktur ist nicht nur wichtig, damit die Wirtschaft besser läuft. Wir brauchen sie auch, weil Deutschland im Zentrum Europas für die militärische Mobilität extrem wichtig ist. Jede große Nato-Übung erinnert uns daran: Unsere Brücken müssen so stabil sein, dass auch Panzer darüber rollen können."
Lob auch von anderen Experten
Zudem seien Investitionen in die Infrastruktur und Netze wichtig, damit die Unternehmen produktiver werden können, etwa durch mehr Digitalisierung ihrer Abläufe. Bestenfalls lasse sich so mit weniger Personal mehr produzieren. "Wenn wir die Bundeswehr besser ausstatten wollen, braucht sie mittelfristig auch mehr Soldaten", sagte Dullien. "Damit die nicht anderswo fehlen, muss die Produktivität steigen."
Auch mehrere andere Volkswirte begrüßen die von Union und SPD in ihren Sondierungsgesprächen erwogenen milliardenschweren Sondervermögen. Reichlich ausgestattet, könnten diese "einen Mentalitätswechsel anstoßen und dringend überfällige Prioritäten adressieren", sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, am Montag.
Ökonomen der Deutschen Bank sehen derweil einen "historischen finanzpolitischen Wandel" heraufziehen. Dieser könnte zu einem Wachstumsimpuls für die rezessionsgeplagte Wirtschaft führen.
- Gespräch mit Sebastian Dullien am 3. März 2025