Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Zum Tod von Gerhart Baum Eine Stimme der liberalen Vernunft ist verstummt
![Gerhart Baum gehörte zu einer neuen Generation der Sozialliberalen – jetzt ist der bekannte FDP-Politiker gestorben. Gerhart Baum gehörte zu einer neuen Generation der Sozialliberalen – jetzt ist der bekannte FDP-Politiker gestorben.](https://images.t-online.de/2025/02/08EfLqKhLVH-/0x507:3291x1851/fit-in/1920x0/image.jpg)
Seinem ganzen Wesen nach war Gerhart Baum ein Liberaler, in dessen Augen sich die FDP zu einseitig auf Wirtschaft fixierte. Hochbetagt kritisierte er mit geschliffener Rhetorik auch das Aufblühen der AfD.
Gerhart Baum war ein liebenswürdiger Mensch. Ihm zu begegnen, war immer eine Freude. Er war hellwach, neugierig, wollte hören, was andere dachten, wie sie die Lage einschätzten, welche Schlussfolgerungen sie zogen. Seine eigene Meinung kannte er ja. Er plusterte sie nicht im Stil der Weisheit auf, gewonnen aus einem Leben, das mit deutscher Nachkriegsgeschichte identisch war. Ich verabschiedete mich oft genug klüger und fröhlicher von ihm. Gerhart Baum war schon vor 30 Jahren eine Seltenheit, ein Politiker, der es der Politik nicht erlaubte, ihn als Mensch unsichtbar zu machen.
Er war oldschool, das ja. Geprägt von seiner großbürgerlichen Herkunft und der Jugend im Nationalsozialismus. Er war zwölf, als seine Heimatstadt Dresden im Feuersturm unterging. Natürlich schärften die Erfahrungen im Krieg und danach seine politische Haltung. Er machte Abitur in Köln in der neuen Demokratie, studierte Jura im Wirtschaftswunder, befürwortete die Aussöhnung mit den Kriegsgegnern in der Entspannungspolitik. Die AfD erschien aus dieser Lebenserfahrung als Wiederkehr des Bösen in neuem Gewand. Die neuen Verhältnisse, in denen die Rechte gedeihen konnten, trieben ihn zur Verzweiflung.
70 Jahre lange gehörte Gerhart Baum der FPD an
Gerhart Baum war seinem ganzen Wesen nach ein Liberaler. Rund 70 Jahre lang gehörte er der FDP an und machte etliche ihrer Häutungen mit. Den größeren Teil seines Lebens litt er an seiner Partei, wollte sie verändern und trug zu ihrer Reputation bei. Er verstand das Leben und die Geschichte als steten Prozess. Wer so denkt, für den ist es keine Überraschung, dass es nie nur hoch- und nie nur runtergeht. Das Auf und Ab lässt sich nicht verhindern, aber abfedern.
Selten ging es mit der FDP so bergab wie derzeit. Dass sie am 23. Februar wieder in den Bundestag einziehen darf, ist unwahrscheinlich. Aus der Sicht eines Veteranen wie Baum lag die Ursache in der Eindimensionalität. Denn die FDP ist heute gleichbedeutend mit Christian Lindner, und der ist gleichbedeutend mit Wirtschaftsliberalismus. Engführung ist schlecht, so viel lässt sich aus der Geschichte des deutschen Liberalismus lernen.
Die neue Generation der Sozialliberalen
In den 1950er-Jahren war die FDP ein Sammelbecken alter Nazis. Darauf zielte sie ab, damit ließen sich Stammwähler sichern. Sie regierte als kleine Partei mit der großen CDU/CSU, die Kanzler Konrad Adenauer zuerst als Patron und später als Patriarch führte. In diesem Schlepptau blieb die FDP bis zum Machtwechsel 1969. In die Koalition mit der SPD trat sie als doppelte FDP ein: mit der Altlast und einer neuen Generation der Sozialliberalen, zu der Gerhart Baum gehörte.
Sozialliberal hieß: moderner Rechtsstaat und Datenschutz, Betonung des Sozialen in der Marktwirtschaft, Emanzipation der Frauen (die bis 1977 nur mit Erlaubnis des Ehemannes arbeiten durften). Dazu kam der Umweltschutz – jawohl, kaum zu glauben, aber es war die FDP, die als erste deutsche Partei über Umweltschutz redete und ihn in ihr Programm schrieb. Der Bericht des "Club of Rome" 1972 stieß im etablierten Parteiensystem allein bei den Liberalen auf Aufmerksamkeit.
Als Gerhart Baum ins Abseits geriet
In dieser Phase war die FDP die spannendste Partei, in der die entscheidenden gesellschaftlichen Diskussionen stattfanden. Dazu trugen Koryphäen wie Karl-Hermann Flach bei, damals ein intellektueller FDP-Generalsekretär, oder Ralf Dahrendorf, der polyglotte Soziologe. Es ist selten, dass in der Politik die gesellschaftlich relevanten Debatten geführt werden. Damals war es so, und die FDP war der Transmissionsriemen.
Es war auch operativ eine goldene Zeit. Es gab nur drei Parteien und wer regieren durfte, SPD oder CDU/CSU, entschied die FDP. Sie war das "Zünglein an der Waage", so hieß das damals. Damit war es allerdings vorbei, als die Grünen, gerade gegründet, in den Bundestag einzogen. Das politische Spektrum verbreiterte sich, die FDP verlor ihr Monopol. Wie reagierte sie darauf? Sie beschränkte sich auf Wirtschaftspolitik und wechselte von der Helmut-Schmidt-SPD zur Kohl-Union. Gerhart Baum, der Innenminister in den schwierigen Jahren des linksextremen RAF-Terrorismus gewesen war, geriet wie viele Sozialliberale ins Abseits.
Gerhart Baum war ein gefragter Anwalt
Bald darauf verließ Baum den Bundestag und ließ sich als Rechtsanwalt nieder. Sein zweites Leben begann, in dem er tat, was er immer hatte tun wollen: Er fiel dem Staat, der in seinen Ansprüchen zu weit ging, in den Arm. Erfolgreich legte er etliche Verfassungsbeschwerden ein und sorgte so dafür, dass zum Beispiel die Telefonüberwachung eingeschränkt wurde, wovon auch Journalisten profitierten. Zudem ging er erfolgreich gegen das Luftsicherheitsgesetz vor, das erlaubt hätte, Passagierflugzeuge abzuschießen.
Gerhart Baum war ein gefragter Anwalt. Auch Familien, die Angehörige bei Flugzeugabstürzen oder anderen Unglücken wie Lockerbie (libyscher Anschlag auf ein Flugzeug über der schottischen Stadt) oder Ramstein (Absturz bei einer Flugschau mit etlichen Opfern) verloren hatten, wandten sich an die Kanzlei, der Gerhart Baum angehörte.
"Auch die Gleichgültigen sind eine Gefahr"
Er war in seinem Element. Als Bewahrer des Rechtsstaats hatte er sich von jeher gesehen. Auf beispielhafte Weise gelang ihm der Abschied von der Politik nach rund 40 Jahren. Dass sie ihn dennoch nicht ganz losließ, versteht sich von selbst. Im hohen Alter, als die AfD sich zur Bedrohung der real existierenden Demokratie entwickelte, war er ein gefragter Gesprächspartner in den Talkshows.
Nicht zufällig luden sie ihn ein, die Maischbergers und Illners. Er hatte etwas zu sagen, er trug seine Auffassungen leidenschaftlich, aber differenziert vor. Ein bürgerlich gesonnener Politiker eben mit langer Lebenserfahrung, für den die AfD alles verkörperte, was die Nachkriegsrepublik hinter sich gelassen hatte.
Wenn er sagte: "Es muss besser regiert werden", so stand dahinter der Zorn über das Schlafwandlertum der Ampel. Wenn er sagte: "Auch die Gleichgültigen sind eine Gefahr", so stand dahinter das Wissen, wie die Weimarer Republik endete.
Jetzt ist sie verstummt, diese kraftvolle Stimme liberaler Vernunft. Wie gut für uns, dass wir sie immer wieder hören durften.
- Eigene Beobachtungen