Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-General Linnemann "Da kann ich nur sagen: Selbst schuld"
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Bis zur Bundestagswahl sind es nur noch wenige Tage. Und die CDU hat gute Chancen, sie zu gewinnen. Nur, reicht das für den versprochenen "Politikwechsel"? Im Interview erklärt Generalsekretär Carsten Linnemann, warum ein schwacher Sieg für die Union nicht gut genug ist.
Carsten Linnemann läuft im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses auf und ab. Den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, mit einer Hand hält er das Handy ans Ohr, mit der anderen gestikuliert er wild. Sobald das Gespräch vorbei ist, fegt der Generalsekretär der CDU im Schnellschritt in sein Büro. Kurz durchatmen, weiter geht's. "Die letzten Meter", sagt er und kurz glaubt man, Linnemann meine die vergangenen Wochen. Dabei überschlagen sich seine Termine nicht erst seit dem Wahlkampf.
Über drei Jahre hat Linnemann die CDU restauriert. Erst als Vorsitzender der Grundsatzprogrammkommission, dann als Generalsekretär. Jetzt ist er kurz vor dem Ziel. In wenigen Tagen könnte seine Partei die Bundestagswahl gewinnen. Ein Moment der Erleichterung, so sollte man meinen. Aber Linnemann denkt jetzt schon daran: Was kommt danach? Was, wenn die Union nicht stark genug wird? Wenn es wieder nur für ein Dreierbündnis reicht? Wie gut kann die CDU ihre Versprechen einlösen, wenn sie plötzlich wieder zu Kompromissen gezwungen ist?
t-online: Herr Linnemann, bis zur Bundestagswahl sind es noch wenige Tage. Worauf kommt es in dieser Endphase für die CDU an?
Carsten Linnemann: Wir müssen jetzt noch einmal deutlich machen, dass es nur mit einer starken CDU eine stabile Regierung und einen Politikwechsel gibt. Mit einer schwachen CDU wird das nicht gehen. Deshalb geht es jetzt noch einmal darum, maximal zu mobilisieren.
Was wäre denn eine "schwache CDU"?
Wir brauchen ein starkes Ergebnis. Es muss über die 30 gehen, wenn sich wirklich etwas verändern soll. Und ich bin mir sicher: Eine Dreierkonstellation kann niemand wollen.
Heißt, Sie hätten lieber Schwarz-Grün als eine Deutschlandkoalition mit der FDP?
Heißt, unser Ziel ist ganz klar, dass es für eine Zweierkonstellation reicht. Mit wem, das werden wir dann sehen, im besten Fall können wir zwischen zwei Optionen wählen. Fest steht aber schon jetzt: Wir waren noch nie so konkret in den Themen und mit dem, was wir wollen. Ich habe klare Vorstellungen davon, wie ein Politikwechsel funktioniert.
Dann, bitte ...
Wir müssen die illegale Migration stoppen. Dazu müssen wir an den Grenzen kontrollieren und auch zurückweisen. Dann muss Schluss sein mit der Habeckschen Wirtschaftspolitik. Wir müssen wieder Politik für Familienunternehmen und den Mittelstand machen, denn sie sind das Herzstück für Wohlstand und Wachstum in unserem Land. Und drittens müssen wir das Sozialsystem vom Kopf auf die Füße stellen. Es muss wieder ein System sein, das für diejenigen da ist, die sich nicht selbst helfen können. Nicht für die, die arbeiten könnten, es aber nicht tun. Das Bürgergeld gehört abgeschafft. Für mich kommt es bei unserem nächsten Koalitionspartner darauf an, dass wir diese Punkte gemeinsam hinkriegen.
Sie haben auf der einen Seite das Problem bei der Migration mit den Grünen. Auf der anderen Seite ist schwer vorstellbar, wie Sie beim Bürgergeld mit der SPD auf einen Nenner kommen wollen. Wie lösen Sie das auf?
Bei den drei Themen ist offensichtlich, dass es so nicht weitergeht. Ich glaube, dass ich für eine Mehrheit in der Bevölkerung spreche, wenn ich sage: Wir müssen die illegale Migration stoppen. Und wir brauchen ein gerechtes Sozialsystem und das Bürgergeld ist alles andere als gerecht. Deswegen muss es auch im Interesse eines möglichen Koalitionspartners sein, hier Lösungen zu finden. Das Gleiche gilt für die Wirtschaftspolitik. So wie in den vergangenen drei Jahren kann es nicht weitergehen.
So optimistisch sind die Bürgerinnen und Bürger nicht. Laut ARD-Deutschlandtrend haben jüngst 69 Prozent sehr große oder große Sorgen, dass es nach der Wahl zu einer instabilen Regierung kommen könnte. Geht es dann neben der Schärfung des eigenen Profils nicht auch darum, zu zeigen, wo Kompromisslinien verlaufen könnten?
Die Analyse teile ich ausdrücklich nicht. Die Bürger interessiert fünf Tage vor der Wahl nicht, wie der Kompromiss aussieht. Sie wollen sehen, wofür die unterschiedlichen Parteien stehen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Die Wählerinnen und Wähler müssen wissen: Was wäre, wenn die Partei, die man wählt, die absolute Mehrheit hätte? Was würde etwa die Union dann umsetzen? Das müssen wir klar machen. Die fehlende Unterscheidbarkeit war doch genau das Problem der letzten Großen Koalition. Die Menschen wussten gar nicht mehr, wo die Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD lagen.
Unser Ziel ist ganz klar, dass es für eine Zweierkonstellation reicht.
Carsten Linnemann
Dann lassen Sie uns über Ihre Vorhaben sprechen. Eins ihrer größten Wahlversprechen ist, dass Sie das Thema illegale Migration lösen wollen. Wecken Sie da nicht zu hohe Erwartungen?
Der Staat muss ein vitales Interesse daran haben, zu wissen, wer in unser Land kommt. Wir als CDU sagen, wir möchten die Migration steuern und ordnen. Dazu gehört aktuell auch die Zurückweisung an den deutschen Grenzen. Das ist nicht nur möglich, es ist geboten. Ich frage mich ja, warum ist das in Frankreich an der Cote d’Azur möglich, bei uns aber nicht? Warum können andere Länder legal zurückweisen, Deutschland aber nicht? Ich finde, wir sollten aufhören, immer nur nach Gründen zu suchen, warum es nicht geht.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der europäische Gerichtshof die Zurückweisungen an der französischen Grenze für rechtswidrig erklärt hat. Ist es mit Blick auf die aktuell instabile internationale Lage klug, wenn jetzt jedes Land auf sich schaut und "einfach mal macht"?
Und warum wird dann an der französischen Grenze weiter zurückgewiesen? Ja, wir brauchen dringend eine europäische Lösung. Aber solange es die nicht gibt, braucht es auch nationale Anstrengungen.
Wir gehen noch mal auf ein anderes Thema: Die Union plant eine große Steuerreform, sollte sie die Wahl gewinnen. Der Vorwurf von SPD und Grünen lautet: Da werden vor allem die Reichen entlastet. Stimmt das?
Nein, das stimmt nicht. Wir entlasten vor allem die arbeitende Mitte. Wir haben ein progressives Steuersystem, in dem der Spitzensteuersatz schon zu früh greift, schon bei einem Jahreseinkommen von etwa 67.000 Euro. Wir wollen, dass der Spitzensteuersatz später greift. Dadurch flachen wir die Tarifkurve ab und es bleibt dann gerade für untere und mittlere Einkommen mehr Netto vom Brutto übrig. Mich stört übrigens, dass wir gefühlt nur noch über die ganz Wohlhabenden und über das Bürgergeldsystem reden. Aber die Millionen Menschen, die dazwischen sind, kommen zu kurz. Die wollen wir in den Fokus rücken.
Können Sie es mal an einem Beispiel für uns durchrechnen? Wie stark wird jemand mit einem Jahresnetto von 80.000 Euro entlastet – und wie wird jemand mit einem Einkommen von 40.000 Euro entlastet?
Ja klar, nehmen wir als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern und zwei arbeitstätigen Elternteilen. Einer arbeitet Vollzeit und verdient brutto etwa 48.000 Euro, der andere in Teilzeit etwa 24.000 Euro im Jahr. Durch die Einkommenssteuerreform wird die Familie pro Jahr um circa 1.040 Euro entlastet. Diese vierköpfige Familie verbraucht etwa 4.000 kWh Strom im Jahr. Durch die Senkung der Stromsteuer und Netzentgelte von mindestens 5 Cent pro Kilowattstunde wird diese Familie um weitere 200 Euro im Jahr entlastet. Um für die Altersversorgung der Kinder vorzusorgen, erhält die Familie jährlich 240 Euro durch unsere geplante Frühstartrente. Insgesamt hat die Familie also knapp 1.500 Euro mehr im Jahr.
Zweiter Teil der Frage: Wer soll das bezahlen? Nach der Analyse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler würden die Steuerversprechen der Union das Staatsdefizit immerhin um 2,5 Prozent erhöhen.
Die Berechnungen, die da gemacht werden, beruhen auf falschen Annahmen. Denn wir wollen ja nicht alles auf einmal machen, sondern in vier Stufen bis 2029. Wenn man die Einkommenssteuer schrittweise reduziert, ist es finanzierbar. Da gibt uns auch Clemens Fuest vom ifo-Institut recht. Es gibt also unterschiedliche Meinungen unter den Experten dazu.
Es gäbe dann keine finanzielle Lücke mehr?
Wir rechnen mit neuem Wirtschaftswachstum. Und natürlich sehen wir auch Einsparpotenzial, etwa bei der illegalen Migration oder beim Bürgergeld. Da kommt man insgesamt schon auf 30 bis 40 Milliarden Euro.
Das wäre bei fehlenden 90 bis 111 Milliarden Euro nicht ausreichend. Oder gibt es noch eine geheime "Streichliste" für den Haushalt?
Nochmals: Die Schätzungen rechnen nicht mit ein, dass wir die Reform auf vier Jahre strecken. Unsere Reform entlastet Bürger und Unternehmen und ist finanzierbar.
Die Berechnungen, die da gemacht werden, beruhen auf falschen Annahmen.
Carsten Linnemann
Im Gegensatz zu den vergangenen Wahlkämpfen spielen die Themen Gesundheit und Pflege bisher kaum eine Rolle – und das obwohl gerade die Beiträge auf ein Rekordniveau gestiegen sind. Wie bleiben Pflege und Gesundheit finanzierbar?
Indem wir beispielsweise die private Vorsorge stärken. Wir haben ja kein Vollversicherungssystem.
Ist das nicht nur eine weitere Belastung der Versicherten – nur, dass sie nicht in den Statistiken auftritt?
Es geht darum, das System langfristig zu sichern. Dazu muss die private Vorsorge attraktiver gemacht werden. Es gibt aber noch weitere Punkte: Was mich etwa schon immer geärgert hat, ist, dass versicherungsfremde Leistungen über Beiträge finanziert werden. Da ist ein Riesenpotenzial. Allein, dass die gesetzliche Krankenversicherung 10 Milliarden Euro pro Jahr für die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern ausgibt, zeigt, dass da der Wurm drin ist.
Wenn die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern nicht von Beitragszahlern querfinanziert wird – wie dann?
Die ehrliche Antwort: Die müssen über Steuern finanziert werden. Denn es ist eine gemeinschaftliche Aufgabe und nicht die Aufgabe der Beitragszahler. Ich bin bereit, diese Debatte zu führen. Ich weiß, dann wird der Druck beim Thema Steuern wieder größer. Aber das heißt nicht, dass man nicht mal drüber sprechen sollte.
Schließen Sie darüber hinaus Leistungskürzungen aus, um die Finanzierung von Gesundheit und Pflege zu konsolidieren?
Wir müssen vor allem darüber reden, wie wir unser Gesundheitssystem effizienter ausgestalten können. Es gibt noch viel Potenzial, das wir zum Beispiel durch konsequente Digitalisierung und den Ausbau von ambulanten Behandlungsmöglichkeiten heben können. Das sind nur zwei Beispiele, wie wir Kosten einsparen und gleichzeitig die Versorgung der Patienten verbessern können.
Die Pflegeversicherung hat schon heute Zahlungsschwierigkeiten. Kommt zu Beginn der neuen Legislaturperiode eine große Pflegereform?
Ich würde noch weiter gehen. Wir brauchen eine echte Sozialreform. Sprich, Rente, Gesundheit und Pflege. Dazu liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch, zum Beispiel unsere Frühstart-Rente. Ich glaube, dass diese drei Themen zentral sind. Auch, wenn ich mich mit Kommissionen schwertue, weil die in der Vergangenheit oft dazu geführt haben, dass Dinge zerredet wurden. Wir brauchen nach der Wahl dennoch eine Gruppe, die sich diesem Thema widmet. Ein Kernziel der nächsten Koalition muss es sein, dass die Beiträge nicht weiter steigen. Eigentlich müssen sie wieder sinken.
Apropos Koalitionsverhandlungen: Ist es für die Union eigentlich gut oder schlecht, wenn die FDP in den Bundestag einzieht?
Ich persönlich finde, eine liberale Partei gehört grundsätzlich in den Bundestag. Aber ich muss auch sagen: Die CDU hat nichts zu verschenken, erst recht keine Zweitstimmen. Die FDP hat das neue Wahlrecht selbst zu verantworten. Wenn das jetzt dazu führt, dass es nicht reicht, kann ich nur sagen: Selbst schuld. Jede Partei kämpft für sich.
Friedrich Merz hat in dem TV-"Quadrell" einen interessanten Satz gesagt – auf die Frage, ob Markus Söder ihm aus Bayern die Koalition nicht ohnehin diktiere, antwortete er: "Der hat mir eigentlich gar nichts zu sagen". Ist dem so? Und wenn ja, weiß Markus Söder das auch?
Friedrich Merz hat klar gesagt: "Wir sind uns einig in der Frage". Und genauso ist es.
Aber sie sind sich ja nicht einig. Wenn Friedrich Merz sagt, er sieht als potenzielle Partner SPD und Grüne, Söder Schwarz-Grün aber klar ausschließt – wer hat dann das letzte Wort?
Markus Söder und Friedrich Merz wollen beide einen Politikwechsel. Und der ist mit den Positionen der Grünen schwer vorstellbar, da sind wir uns einig.
Heißt, Schwarz-Grün scheitert im Zweifel nicht an Markus Söder?
Wir alle in der Union wollen den Politikwechsel. Und ich kann Ihnen eins sagen: Markus Söder macht einen klasse Wahlkampf. Es hätte nicht besser laufen können.
Herr Linnemann, letzte Frage, was schätzen Sie an Lars Klingbeil und Robert Habeck?
Mit beiden kommt man menschlich klar. Trotzdem hat Robert Habeck als Wirtschaftsminister das Vertrauen des Mittelstands verspielt.
- Interview geführt am 17.02.2025