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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ratlose FDP-Fraktion Ampel-Aus? Von wegen
In der FDP-Fraktion herrscht nach den Landtagswahlen im Osten Ratlosigkeit. Ein Ampel-Aus steht nicht zur Diskussion. Stattdessen wollen die Liberalen mit zwei Themen bei den Wählern punkten.
28 Grad, blauer Himmel, endlich Freitag – und ein FDP-Fraktionschef, der demonstrativ gute Laune verbreitet: "Ich bin ein grundoptimistischer Mensch", sagt Christian Dürr lächelnd auf die Frage eines Journalisten. Und fast will man innerlich ergänzen: Das muss er auch sein.
Denn so recht zueinanderpassen wollen das perfekte Sommerwetter und die schwierige Lage der Liberalen nicht in diesen Tagen. Am vergangenen Wochenende hat die FDP eine heftige Klatsche bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen bekommen, verpasste meilenweit den Einzug in die Landesparlamente.
Zwar war das für alle erwartbar, besser macht's das allerdings nicht. In Sachsen schnitt die Partei mit einem Stimmanteil von 0,9 Prozent sogar so schlecht ab, dass nun ein Ende der Parteienfinanzierung und damit schwere Geldnöte drohen.
"Allgemeine Ratlosigkeit"
Bei der Klausur der FDP-Bundestagsfraktion zum Ende dieser Woche war deshalb nicht nur klassische Politarbeit angesagt, das Ausarbeiten neuer Papiere und Positionen. Sondern auch Wundenlecken.
Getroffen haben sich Dürr und die FDP-Abgeordneten dafür in der Hamburger Speicherstadt. Fast drei Tage saßen sie dort in einem verglasten Konferenzraum beisammen, um zu diskutieren. Die Presse war erst am Freitag dazu geladen, dem Sonnenschein-Tag, an dem es um das Lieblingsthema der Liberalen ging: die Wirtschaftspolitik.
Vorher jedoch, am Mittwochabend, soll es zur Sache gegangen sein. Bis 22 Uhr dauerte dem Vernehmen nach die "Aussprache nach den Landtagswahlen" an. Als "teils sehr bedrückend" beschrieben Teilnehmer im Nachgang die Atmosphäre, andere sprachen von "allgemeiner Ratlosigkeit". Wieder andere lobten: "Der Austausch war offen und ehrlich. Und das war gut."
Abgeordnete bangen um ihre Mandate
Eine Rolle spielte bei der Diskussion demnach wohl auch, dass angesichts der schwachen Umfragen immer mehr Abgeordnete um ihr Mandat bangen. Nach der nächsten Bundestagswahl dürften für die Liberalen deutlich weniger Sitze herausspringen als die derzeit 91, die man mit einem Ergebnis von 11,4 Prozent bei der Bundestagswahl 2021 erreichte.
Denn von einem solchen Ergebnis auch bei der nächsten Wahl können die Liberalen derzeit nur träumen. Im ARD-Deutschlandtrend kamen sie unlängst auf nur noch 4 Prozent, damit liegt die FDP unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde, wäre im nächsten Bundestag nicht vertreten. Doch selbst wenn der Wiedereinzug gelänge, kommt hinzu: Durch die geplante Verkleinerung des Bundestags gibt es insgesamt weniger Mandate zu verteilen, bekämen also auch die Freidemokraten noch einmal weniger Sitze.
Die vorderen Listenplätze, über die die Partei zum Ende des Jahres in den Landesverbänden entscheidet, werden damit noch begehrter. Auch in der Partei der Unternehmer, in der viele selbstbewusst betonen, dass sie auch "vor und nach der Politik" einen gut bezahlten Job hätten, geht es um Einfluss, Macht, um Lust am politischen Gestalten.
Zentrale Themen: Wirtschaft und Migration
Man könnte meinen, dass sich deshalb Panik breitmacht in den Reihen der Abgeordneten. Doch anders als in Teilen der Parteibasis ist in der Fraktion davon nur wenig zu spüren. Ein vorzeitiges Ampel-Aus, wie es eine Gruppe von FDP-Mitgliedern fordert, steht in der Fraktion jedenfalls nicht zur Debatte. "Nach einem bitteren Wahlabend hinzuwerfen und sich aus der Verantwortung zu stehlen, ist keine Option für die FDP", sagte Dürr am Mittwoch den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Viele Fraktionsmitglieder sehen das ähnlich. "Was würde uns das bringen? Nichts!", sagte einer am Rande der Klausur. Man wäre nur der "Buhmann", der das Land ins Chaos stürze. "Das findet niemand gut." Dann lieber unverwüstlich weitermachen – und mit guter Arbeit im Parlament dafür sorgen, dass der Plan der Partei aufgeht.
Mit ihrer Kernkompetenz, der Wirtschaftspolitik, wollen die Liberalen im nächsten Wahlkampf so sehr werben, dass mindestens die Stammwähler, bestenfalls aber auch noch viele klassische CDU-Sympathisanten, ihr Kreuz bei der FDP machen. Nach den jüngsten Terroranschlägen soll außerdem eine "neue Realpolitik" zur "Wende" in der Migrationspolitik führen, ebenfalls ein Thema, das nach Ansicht vieler den Wahlkampf beherrschen wird.
Dürr: "Zurückweisungen müssen auch funktionieren"
Für beide Politikfelder beschlossen die FDP-Abgeordneten am Donnerstag und Freitag jeweils ein umfassendes Positionspapier. In der Migrationspolitik erarbeiteten sie mehr als 50 Maßnahmen, "die wir natürlich auch in die Regierungspolitik der Bundesregierung einbringen wollen", sagte Dürr. Dazu zählen etwa das Streichen von Leistungen für ausreisepflichtige Menschen sowie Ausweisungen und Abschiebungen auch nach Afghanistan und Syrien, "beispielsweise auch, indem man Nachbarstaaten an dieser Stelle um Mithilfe bittet".
Außerdem schloss sich die Fraktion der Forderung von CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz an, Flüchtlinge an den deutschen Grenzen notfalls zurückzuweisen, wobei Dürr einschränkte: Neben rechtlichen seien dabei auch noch zahlreiche technische Fragen zu klären, vor allem mit Blick auf die "grüne Grenze". "Wenn wir Zurückweisungen machen, müssen diese auch funktionieren", sagte er. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
In der Wirtschaftspolitik sprachen sich die Liberalen für eine "weitergedachte Wirtschaftswende" aus. Das Ideenpaket, das die Abgeordneten beschlossen haben, geht dabei über die ohnehin von der Bundesregierung geplanten Gesetzesinitiativen für mehr Wirtschaftswachstum hinaus. Unter anderem sieht das Papier die Einführung einer Arbeitstagepauschale für Steuerzahler vor sowie eine Rücknahme des Verbrennerverbots der EU.
Schwierige Ampelverhandlungen erwartet
Inwieweit die FDP damit wird punkten können, wird sich voraussichtlich schon in den nächsten Wochen entscheiden. Für kommenden Dienstag ist eine Fortsetzung der Gipfelgespräche in der Migrationspolitik anberaumt.
Parallel beginnen nächste Woche zudem die Beratungen über den Bundeshaushalt 2025, auf den sich die Regierung in den Sommermonaten mit Ach und Krach hat einigen können. In diesem Zuge soll es auch um die geplanten Gesetze gehen, die das Wachstum ankurbeln sollen.
Leichte Verhandlungen mit den Koalitionspartnern können die Liberalen dabei nicht erwarten. Schon die bislang vorgestellten wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung bergen Sprengstoff, etwa beim Bürgergeld, wo sich Teile der SPD gegen die geplanten Verschärfungen von Sanktionen sträuben. Auf noch mehr FDP-Ideen zur Wirtschaftspolitik dürfte bei SPD und Grünen kaum einer gewartet haben.
- Eigene Beobachtungen vor Ort