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Paragraf 353d: Wegen zwei Sätzen vor Gericht


Pressefreiheit
Wegen zwei Sätzen vor Gericht


Aktualisiert am 04.09.2024Lesedauer: 4 Min.
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Amtsgericht Hamburg-Mitte: Verhandlung um Zitate. (Quelle: IMAGO/Dirk Sattler/imago)

Ein Investigativreporter von t-online wird wegen wörtlicher Zitate in einem Bericht verurteilt. Grundlage für die Entscheidung ist ein umstrittener Paragraf.

Zwei Teilsätze und vier Anführungszeichen sind es, die Carsten Janz am Dienstag in einen Saal am Amtsgericht Hamburg-Mitte führen. Diese Sätze stehen in einem Text, den der Investigativjournalist am 11. Dezember 2023 bei t-online veröffentlicht hat. Die Überschrift: "Durchsuchung rechtswidrig – Niederlage für die Staatsanwaltschaft".

Janz schildert darin, wie die Hamburger Behörden nach einem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas mit sieben Toten die Räume eines Sachkundeprüfers durchsuchten. Allerdings entschied ein Gericht später: Für diese Durchsuchung gab es keine rechtliche Grundlage, der Anfangsverdacht einer Straftat liege nicht vor. Der t-online-Redakteur berichtete über diesen Beschluss.

Das Problem für Janz: Er zitierte im Text zwei Sätze aus Akten eines da noch laufenden Verfahrens – und zwar direkt, mit Anführungszeichen. Paragraf 353d im Strafgesetzbuch verbietet das. Daraufhin wurde jene Staatsanwaltschaft gegen Janz aktiv, deren Vorgehen er in seinem Text als rechtswidrig aufdeckte. Die Folge: ein Strafbefehl für Janz über 3.200 Euro.

Janz will das nicht hinnehmen. An diesem Dienstag wehrte er sich vor Gericht, vertreten von dem renommierten Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate. Am Ende ohne Erfolg – das Gericht befand ihn für schuldig. Die Diskussion über Paragraf 353d aber ist damit noch lange nicht beendet.

Umstrittener Paragraf

Der Paragraf ist seit Jahren umstritten. Er stellt das Zitieren im Wortlaut von "wesentlichen Teilen" aus Behördenakten unter Strafe, wenn sie noch nicht in öffentlicher Verhandlung diskutiert worden sind oder das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Der Paragraf soll unter anderem Persönlichkeitsrechte und Angeklagte in einem Verfahren vor Vorverurteilung schützen. Er soll auch Zeugen und Richter vor Voreingenommenheit bewahren und damit den Strafprozess an sich. Bei Verstoß drohen Geldstrafen oder Haftstrafen von bis zu einem Jahr.

Kritiker aber weisen bereits seit Langem darauf hin, dass der Paragraf veraltet sei. Korrekte Berichterstattung werde durch ihn kriminalisiert, argumentierte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schon 2007. Denn Journalisten dürfen die Inhalte der Akten ja wiedergeben – nur eben nicht direkt, nicht in Anführungszeichen.

Für Carsten Janz ist der Paragraf "pressefeindlich" – und ein Einfallstor für politisch instrumentalisierte Prozesse gegen Journalisten. Speziell in seinem Fall sieht er einen Versuch der Staatsanwaltschaft, Druck auszuüben.

Denn: Die Behördenleitung selbst soll die Ermittlungen angestoßen haben. Das berichtet die "Süddeutsche Zeitung", die sich auf einen internen Vermerk aus der Staatsanwaltschaft beruft. Demnach soll erst ein hochrangiger Behördenangehöriger überhaupt auf den Artikel von Janz hingewiesen haben. Pikant dabei: Ebenjener Mann war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Janz' Berichten – sie setzten ihn so sehr unter Druck, dass er ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst einleitete, das positiv für ihn endete.

Die Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage von "Correctiv", dass der Hinweis Ausgangspunkt für das Verfahren gegen Janz gewesen sei. Eine "Weisung" oder "Anordnung", ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, habe es aber nicht gegeben.

Verstimmung über Überschrift

Im Hamburger Amtsgericht saßen sich am Dienstagmorgen beide Seiten gegenüber: der Journalist, der schon so oft kritisch über die Behörde berichtete, und die Staatsanwaltschaft, die nun gegen ihn vorgeht.

In seinem Plädoyer wies der Vertreter der Staatsanwaltschaft darauf hin, dass davon auszugehen sei, dass Janz vorsätzlich gehandelt habe und er habe wissen können, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Denn der Text sei nur vier Tage nach dem Gerichtsbeschluss veröffentlicht worden.

Bemerkenswert: Explizit thematisierte er neben den zitierten Stellen auch die Überschrift des Artikels ("Niederlage für die Staatsanwaltschaft") und wollte sie dem Journalisten zunächst strafverschärfend zur Last legen. Man ärgere sich darüber als Staatsanwalt, sagt er, die Überschrift suggeriere einen Wettbewerb. Dabei sei es so: "Anträge werden gestellt, abgelehnt, Menschen machen ihren Job".

Anwalt sieht keine Gefahr der Vorverurteilung

Verteidiger Strate hingegen argumentierte: Janz habe nie über ein Verfahren berichtet, das später vor Gericht behandelt worden sei – der Paragraf 353d also sei gar nicht anzuwenden, weil die Gefahr der Vorverurteilung nicht bestehe.

Und: Wenn Janz die Passagen "nur ein wenig anders, inhaltlich aber identisch" formuliert hätte, "wäre es ihm nicht vorzuwerfen". Lediglich die Authentizität des Zitats sei strafbewehrt, nicht aber der wiedergegebene Inhalt. "Ich weiß gar nicht, was das eigentlich soll", so Strate.

Er verwies außerdem auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2011. Der hatte in einem ähnlich gelagerten Fall eine Abwägung gefordert, bei der die Bedeutung der Pressefreiheit zu berücksichtigen sei.

Nächster Fall schon im Oktober vor Gericht

Die Richterin folgte am Ende der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Sie sprach den Investigativjournalisten schuldig, insgesamt 2.600 Euro soll er zahlen. Strafmildernd wirke sich aus, dass Janz in seinem Text nur "sehr, sehr kurz" aus den Akten zitiere. Der Paragraf 353d aber sei immer wieder Gegenstand von Diskussionen. "Ob man ihn für zweckmäßig hält, das kann man diskutieren", sagte sie. "Im Moment" jedoch sei er verfassungsgemäß.

Das könnte sich ändern. Der Transparenzaktivist und Journalist Arne Semsrott geht gerade ebenfalls gegen den Paragrafen vor, die Richterin in Hamburg verweist in ihrem Urteil darauf. Semsrott sagte t-online: Der Fall Janz sei ein "anschauliches Beispiel, wie der Paragraf missbraucht werden kann, um gegen Kritiker vorzugehen – und das ist ein großes Problem".

Mitte Oktober also schon wird erneut über den Paragrafen verhandelt – dann vor dem Landgericht Berlin. Und auch Carsten Janz kann noch in Revision oder Berufung gehen.

"Die Verurteilung ist völlig unverhältnismäßig", sagte Janz' Anwalt Strate t-online. "Der Paragraf müsste längst abgeschafft sein."

Verwendete Quellen
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